Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss01.10.1990
Notwendigkeit einer sofortigen Notoperation eines Patienten kann Geschwindigkeitsüberschreitung eines Facharztes rechtfertigenVoraussetzung eines rechtfertigenden Notstands ist unter anderem Ausschluss einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
Muss in einer Klinik ein Patient durch den behandelnden Facharzt notoperiert werden, so kann dies die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Facharzt gemäß § 16 OWiG rechtfertigen. Ein rechtfertigender Notstand ist aber unter anderem dann ausgeschlossen, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden oder dies zu befürchten ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Bei einer Schwangeren setzten im Oktober 1989 nach der Entbindung unerwartet schwere Blutungen ein. Dies machte eine unverzügliche Notoperation durch den behandelnden Facharzt erforderlich. Da sich dieser nicht in der Klinik aufhielt, wurde er gerufen. Der Facharzt machte sich daraufhin auf den Weg. Um schnellstmöglich in der Klinik zu erscheinen, überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 35 km/h. Das Amtsgericht verhängte aufgrund dessen gegen den Facharzt eine Geldbuße. Es verwies in diesem Zusammenhang auf die Gefährlichkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung. Der Facharzt legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein.
Erforderliche sofortige Notoperation kann Geschwindigkeitsüberschreitung eines Facharztes rechtfertigen
Das Bayerische Oberste Landesgericht führte zum Fall aus, dass eine sofort erforderliche Notoperation eines Patienten eine Geschwindigkeitsüberschreitung des behandelnden Facharztes nach § 16 OWiG rechtfertigen kann, wenn dieser den Patienten und die Anamnese im Gegensatz zu den in der Klinik anwesenden Assistenzärzten kennt. Ein rechtfertigender Notstand sei aber dann zu verneinen, wenn die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommt oder diese zu befürchten ist.
Verweis auf generelle Gefährlichkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung genügt nicht zur Verneinung eines rechtfertigenden Notstands
Nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgericht genüge es nicht, allein auf das Vorliegen einer generellen Gefährlichkeit abzustellen, um einen rechtfertigenden Notstand zu verneinen. Vielmehr müsse geklärt werden, welche Gefahren durch die Geschwindigkeitsüberschreitung im konkreten Fall bestanden und wie die allgemeine Verkehrslage sowie die Verkehrsdichte zur Tatzeit war.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.03.2015
Quelle: Bayerisches Oberstes Landesgericht, ra-online (zt/NJW 1991, 1626/rb)