03.12.2024
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Bayerischer Verfassungsgerichtshof Urteil22.10.2012

Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens gegen die Abschaffung von Studien­bei­trägen erfolgreichBayerisches Verfas­sungs­gericht genehmigt Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens zum Wegfall der Studiengebühren

Das Volksbegehren, die von Hochschulen geforderten Studienbeiträge zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen (bis zu 500 Euro pro Semester) abzuschaffen, ist zulässig. Dies entschied der Bayerische Verfas­sungs­ge­richtshof.

In dem vorliegenden Fall erheben die Hochschulen nach Art. 71 des Bayerischen Hochschul­ge­setzes (BayHSchG) seit dem Sommersemester 2007 von den Studierenden Studienbeiträge (bis zu 500 Euro pro Semester); diese Beiträge dienen der Verbesserung der Studien­be­din­gungen. Am 12. Juni 2012 wurde beim Bayerischen Staats­mi­nis­terium des Innern der Antrag gestellt, ein Volksbegehren zuzulassen, dessen Ziel es ist, die Studienbeiträge abzuschaffen.

Bayerisches Staats­mi­nis­terium: Abschaffung der Studienbeiträge beeinträchtigt das Budgerecht

Das Bayerische Staats­mi­nis­terium des Innern ist der Auffassung, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens seien nicht gegeben.

Das Volksbegehren sei mit Art. 73 der Bayerischen Verfassung (BV), wonach über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfindet, nicht vereinbar. Eine Abschaffung der Studienbeiträge beeinträchtige das parla­men­ta­rische Budgetrecht, weil getroffene Haushalt­s­ent­schei­dungen nicht unverändert bleiben könnten. Die Gesamt­kon­zeption des Haushalts­ge­setz­gebers für die Hochschul­fi­nan­zierung müsse dann neu bewertet und gegebenenfalls angepasst werden. Im Hinblick auf laufende Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse, bereits begonnene Baumaßnahmen und abgeschlossene Dauerverträge könne sich sogar eine Verpflichtung zur Anschluss­fi­nan­zierung aus staatlichen Mitteln ergeben. Die Beauftragten des Volksbegehrens hätten sich bei dessen Vorstellung für einen Ausgleich der Einnahmen aus Studien­bei­trägen durch allgemeine Haushaltsmittel ausgesprochen.

Beauftragter des Volksbegehrens: Staatshaushalt wird durch Wegfall der Studienbeiträge nicht belastet

Der Beauftragte des Volksbegehrens hält die Voraussetzungen seiner Zulassung für gegeben.

Die Studienbeiträge würden in den Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen vereinnahmt, die getrennt vom Landesvermögen zu führen seien. Über die Körper­schafts­haushalte könnten die Hochschulen direkt und unmittelbar Mittel zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen verausgaben. Die Studienbeiträge dienten nicht der Finanzierung von Staatsaufgaben; der Staatshaushalt würde durch den Wegfall der Studienbeiträge nicht automatisch belastet. Zwar sähen die Unterstützer des Volksbegehrens es als politisches Ziel an, Hochschulen mit staatlichen Mitteln besser auszustatten. Eine rechtliche Verpflichtung zum Ausgleich wegfallender Einnahmen durch den Staat bestehe jedoch nicht.

Der Bayerische Gerichtshof hat entschieden, dass das Volksbegehren zuzulassen ist. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Grundsätze:

1. Art. 73 BV, wonach über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfindet, steht der Zulassung des auf die Abschaffung der Studienbeiträge gerichteten Volksbegehrens nicht entgegen, weil ein Wegfall dieser Beiträge nur in den Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen zu Mindereinnahmen führen würde.

2. Soweit Einnahmen aus Studien­bei­trägen nach derzeitiger Praxis von den Hochschulen an den Staatshaushalt abgeführt und über diesen verausgabt werden, handelt es sich um Durchlaufposten, aus denen sich für den Staatshaushalt weder Einsparungen noch zusätzliche Belastungen ergeben.

3. Da der Freistaat Bayern rechtlich nicht verpflichtet ist, eine bei Abschaffung der Studienbeiträge entstehende Finan­zie­rungslücke im Hochschul­bereich durch die Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel auszugleichen, wird der Anwen­dungs­bereich des Art. 73 BV auch unter diesem Gesichtspunkt nicht eröffnet.

Sondervotum:

Zwei Mitglieder des Verfas­sungs­ge­richtshofs sind der Auffassung, das Volksbegehren sei mit Art. 73 BV unvereinbar.

Verfas­sungs­ge­richtshof soll prüfen, ob Volksbegehren mit Art. 73 BV vereinbar ist

Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat gemäß Art. 67 BV i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden. Dabei hat er zu klären, ob das Volksbegehren mit Art. 73 BV vereinbar ist, wonach über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfindet. Es ist dagegen nicht Aufgabe des Verfas­sungs­ge­richtshofs, darüber zu befinden, ob die Erhebung von Studien­bei­trägen bildungs- und sozialpolitisch zweckmäßig erscheint.

Das Volksbegehren ist zuzulassen

Das Volksbegehren hat das Ziel, die derzeit nach Art. 71 BayHSchG bestehende Verpflichtung der Hochschulen zur Erhebung von Studien­bei­trägen abzuschaffen und die Beitrags­freiheit des Studiums gesetzlich zu normieren. Es steht nicht im Widerspruch zu Art. 73 BV und ist daher zuzulassen.

Studienbeiträge nichtstaatliche Mittel zur Finanzierung der Hochschulen

Die Studienbeiträge werden seit dem Sommersemester 2007 erhoben und tragen als nichtstaatliche Mittel zur Finanzierung der Hochschulen bei.

Studienbeiträge dienen der Verbesserung der Studien­be­din­gungen

Bei den Studien­bei­trägen handelt es sich um eine Gegenleistung für die potenzielle Inanspruchnahme des von den Hochschulen bereit­ge­stellten Lehrangebots. Die Studierenden werden damit an den Kosten ihrer Hochschul­aus­bildung beteiligt. Nach der Zweckbestimmung in Art. 71 Abs. 1 Satz 2 BayHSchG dienen die Studienbeiträge der Verbesserung der Studien­be­din­gungen.

Studienbeiträge gehören zum Körper­schafts­vermögen der Hochschulen, das getrennt vom Landesvermögen verwaltet wird

Die Erhebung der Studienbeiträge ist – wie Art. 71 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG ausdrücklich bestimmt – eine Körper­schafts­an­ge­le­genheit. Die Beitrags­er­hebung ist als Verpflichtung ausgestaltet; innerhalb des durch Art. 71 Abs. 1 Satz 3 BayHSchG eröffneten Rahmens – bis zu 500 € – haben die Hochschulen bei der Festsetzung der Höhe des Studienbeitrags einen Gestal­tungs­spielraum. Als nichtstaatliche Mittel gehören die Einnahmen aus Studien­bei­trägen zum Körper­schafts­vermögen der Hochschulen, das getrennt vom Landesvermögen verwaltet wird; sie fließen nicht in den allgemeinen Staatshaushalt. Einnahmen aus Studien­bei­trägen können unmittelbar von der Hochschule für Maßnahmen zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen verausgabt werden.

Übertragung von Einnahmen aus Studien­bei­trägen in den Staatshaushalt möglich

Der Haushalts­ge­setzgeber hat allerdings durch die Aufnahme entsprechender Titel im Haushaltsplan des Bayerischen Staats­mi­nis­teriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst auch die Möglichkeit geschaffen, Einnahmen aus Studien­bei­trägen von den Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen in den Staatshaushalt zu übertragen und über diesen zu verausgaben. Die Hochschulen entscheiden autonom, ob und in welchem Umfang sie diese Möglichkeit nutzen. Im Doppelhaushalt 2011/2012 sind in den Haushalts­ka­piteln aller bayerischer Hochschulen solche Einnahme- und Ausgabetitel enthalten. So kann vor allem das zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen einzustellende Personal als staatliches Personal beschäftigt werden. Da die Hochschulen über keine eigene Dienst­her­ren­fä­higkeit verfügen, kommt auf diese Weise überhaupt erst die Beschäftigung von zusätzlichen Beamten in Betracht. Zur Umsetzung der Möglichkeit, staatliches Personal einzustellen, wurde das Bayerische Staats­mi­nis­terium der Finanzen erstmals in Art. 6 Abs. 7 Haushaltsgesetz 2007/2008 ermächtigt, im Staatshaushalt aus Studien­bei­trags­mitteln Planstellen für Beamte und Stellen für Arbeitnehmer zu schaffen.

Hochschulen werden größtenteils aus staatlichen Mitteln finanziert

Der Anteil der Studienbeiträge an der Gesamt­fi­nan­zierung der Hochschulen beläuft sich auf rund 5,4 %. Die Studienbeiträge tragen damit nur zu einem verhältnismäßig kleinen Prozentsatz zur Finanzierung der Hochschulen bei. Weit überwiegend werden die Hochschulen aus staatlichen Mitteln finanziert. Im Jahr 2011 belief sich dieser Anteil des Freistaates Bayern auf 63,8 %.

Gesetzesentwurf des Volksbegehrens soll Wegfall der Studiengebühren bewirken

Durch den Gesetzentwurf des Volksbegehrens soll die derzeit bestehende Regelung in Art. 71 Abs. 1 bis 7 BayHSchG beseitigt werden, mit der Folge, dass die Hochschulen Studienbeiträge nicht mehr erheben dürften. Der Gesetzentwurf schließt Beiträge nicht nur zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen, sondern auch zur Sicherstellung der finanziellen Grund­ausstattung aus und gilt unabhängig davon, ob solche Abgaben in die Körper­schafts­haushalte der Hochschulen oder in den Staatshaushalt fließen.

Beabsichtigte Änderung der Beitrags­freiheit soll Studien­bei­trags­pflicht abschaffen

Aus den Regelungen im Gesetzentwurf des Volksbegehrens ergeben sich Auswirkungen für die Körper­schafts­haushalte der Hochschulen. Da die beabsichtigte Änderung die Beitrags­freiheit des Studiums normiert und eine Erhebung von Studien­bei­trägen durch die Hochschulen damit ausschließt, würden die derzeit in den Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen vereinnahmten Mittel aus Studien­bei­trägen entfallen.

Art. 73 VB sichert Budgerecht des Landtags

Hierdurch wird der Anwen­dungs­bereich des Art. 73 BV jedoch nicht eröffnet. Diese Verfassungsnorm, die – als Ausnah­me­re­gelung zum Grundsatz der Gleich­ran­gigkeit von Parlaments- und Volks­ge­setz­gebung – Volksentscheide und ihnen vorausgehende Volksbegehren für nicht statthaft erklärt, beschränkt sich auf den Staatshaushalt. Durch Art. 73 BV wird das Budgetrecht des Landtags gesichert. Dieser Haushalts­vor­behalt zugunsten des Parlaments erstreckt sich aber nicht auf die Körper­schafts­haushalte der staatlichen Hochschulen, für die der jeweilige Hochschulrat zuständig ist.

Gesetzentwurf verhindert Übertragung von Mitteln aus Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen in den Staatshaushalt

Allerdings hätte die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehene Abschaffung der Studienbeiträge auch zur Folge, dass eine Übertragung entsprechender Mittel aus den jeweiligen Körper­schafts­haus­halten der Hochschulen in den Staatshaushalt – wie sie derzeit im Hinblick auf 82 % der Einnahmen aus Studien­bei­trägen praktiziert wird – nicht mehr in Betracht käme. Daher könnten künftig Einnahmen aus Studien­bei­trägen, die von den Hochschulen nicht über den Körperschaftshaushalt selbst abgewickelt werden, sondern zur Verbesserung der Studien­be­din­gungen dem Staatshaushalt zugeführt werden, nicht im Haushaltsplan des Freistaates Bayern ausgewiesen und auch nicht über diesen verausgabt werden.

Erhebung von Studien­bei­trägen ist eine Körper­schafts­an­ge­le­genheit

Gleichwohl stellen sich die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens enthaltenen Regelungen nicht als Akt der Haushalts­ge­setz­gebung dar. Da die Erhebung der Studienbeiträge eine Körper­schafts­an­ge­le­genheit darstellt, fließen die damit verbundenen Einnahmen (zunächst) in den Körper­schafts­haushalt der jeweiligen Hochschule. Im Haushaltsplan des Freistaates Bayern stellen die weiter­ge­leiteten Mittel lediglich Durchlaufposten dar, aus denen sich für den Staatshaushalt grundsätzlich weder Einsparungen noch zusätzliche Belastungen ergeben.

Finan­zie­rungslücke durch Wegfall der Studiengebühren

Der Anwen­dungs­bereich des Art. 73 BV ist auch nicht etwa deshalb betroffen, weil durch den Wegfall der Einnahmen aus den Studien­bei­trägen eine Finan­zie­rungslücke bei den Hochschulen entstünde, die durch den Freistaat Bayern zu schließen wäre.

Grund­ausstattung wird durch Wegfall der Studienbeiträge nicht infrage gestellt

Zwar verfolgen die Initiatoren des Volksbegehrens das politische Ziel, dass die Hochschulen mit staatlichen Mitteln besser ausgestattet werden. Es besteht aber keine rechtliche Verpflichtung des Haushalts­ge­setz­gebers, für einen Ausgleich zu sorgen. Es ist nicht ersichtlich, dass durch den Wegfall der Einnahmen aus den Studiengebühren eine ausreichende Grund­ausstattung der Hochschulen infrage gestellt würde.

An dem Ergebnis, dass kein Anwendungsfall des Art. 73 BV vorliegt, vermag der Einwand des Staats­mi­nis­teriums des Innern, bei einem Erfolg des Volksbegehrens könne ein politisch-faktischer Zwang für den Haushalts­ge­setzgeber zur Neubewertung und Anpassung der getroffenen Entscheidungen entstehen, nichts zu ändern. Da es sich hierbei um eine Wirkung handelt, die sich nicht anhand objektiver rechtlicher Maßstäbe erfassen lässt, muss dieser Einwand bei der Prüfung der verfas­sungs­recht­lichen Frage, ob ein Anwendungsfall des Art. 73 BV gegeben ist, außer Betracht bleiben.

Einwendungen zur Auswirkung auf den Staatshaushalt führen zu keiner anderen Beurteilung

Das Argument des Staats­mi­nis­teriums des Innern, der Wegfall der Studienbeiträge könne wegen einer künftigen Verpflichtung zur Anschluss­fi­nan­zierung aus staatlichen Mitteln Auswirkungen auf den Staatshaushalt haben, führt zu keiner anderen Beurteilung.

Die über den Staatshaushalt mit Mitteln aus Studien­bei­trägen finanzierten Stellen dürfen nach Art. 6 Abs. 7 Satz 2 Haushaltsgesetz nur so lange in Anspruch genommen werden, als die Perso­na­l­auf­wen­dungen aus Studien­bei­trägen finanziert werden können. Diese Einschränkung gilt nicht nur für zusätzliches Personal, sondern auch für sonstige Maßnahmen, wie z. B. Bauvorhaben, die Beschaffung von Literatur oder den Erwerb von Geräten, Ausstattungs- und Ausrüs­tungs­ge­gen­ständen.

Verpflichtungen durch Schaffung von Beamtenstellen aus Staatshaushalt beruhen auf einer eigenständigen Entscheidung des staatlichen Haushalts­ge­setz­gebers

Soweit der Freistaat Bayern aufgrund im Staatshaushalt ausgewiesener Mittel beispielsweise durch die Schaffung von Beamtenstellen oder durch Baumaßnahmen längerfristige Verpflichtungen eingegangen sein sollte, ohne dass dafür durch die Hochschulen bereits Einnahmen aus Studien­bei­trägen bereitgestellt wurden, beruht dies auf einer eigenständigen Entscheidung des staatlichen Haushalts­ge­setz­gebers zur Übernahme der künftigen Finanzierung. Eine Abschaffung der Studien­bei­trags­pflicht kann daher nicht dazu führen, dass der Anwen­dungs­bereich des Art. 73 BV eröffnet wird.

Volksbegehren schließt Erhebung von Studien­bei­trägen zugunsten der Staatskasse aus, so dass der Staatshaushalt nicht berührt wird

Schließlich führt der Umstand, dass der Gesetzentwurf des Volksbegehrens die Erhebung von Studien­bei­trägen auch zugunsten der Staatskasse ausschließt, zu keiner anderen Bewertung. Der Staatshaushalt wird hierdurch schon deshalb nicht berührt, weil der Gesetzentwurf insoweit nicht auf eine Änderung der geltenden Rechtslage abzielt. Für eine entsprechende Beitragspflicht fehlt es schon bisher an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage.

Quelle: Bayerischer Verfassungsgerichtshof/ra-online

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