21.11.2024
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Dokument-Nr. 10333

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Bundesverwaltungsgericht Urteil29.09.2010

BVerwG: Verwal­tungs­gericht muss erneut über Entschädigung für Erben eines Staatssekretärs im ersten Kabinett Hitlers entscheidenGenaue Rolle in NS-Zeit und konkretes Verhalten des Rechts­vor­gängers der Erben bisher nicht ausreichend betrachtet

Die Klage der Erben eines Staatssekretärs im ersten Kabinett Hitler nach dem Ausgleichs­leis­tungs­gesetz (AusglLeistG) muss vor dem Verwal­tungs­gericht Greifswald neu verhandelt werden, da das Gericht vorherige Entscheidungen auf unzureichenden Tatsa­chen­grundlagen getroffen hat. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Die Kläger im zugrunde liegenden Rechtsstreit begehren die Gewährung einer Ausgleichsleistung für die auf besat­zungs­ho­heit­licher Grundlage erfolgte entschä­di­gungslose Enteignung eines über 1.200 ha großen Gutes sowie eines Brenne­rei­be­triebes.

Sachverhalt

Der Rechtsvorgänger der Kläger war Vorsitzender des Pommerschen Landbundes und bis 1932 Abgeordneter der Deutsch-Nationalen-Volkspartei (DNVP) im Preußischen Landtag. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde er Anfang Februar 1933 zum Staatssekretär in dem Hugenberg übertragenen Reichs­mi­nis­terium für Ernährung und Landwirtschaft berufen. Unter dem Minister Darré, der Hugenberg Ende Juni 1933 ablöste, wurde er Ende September 1933 zunächst in den einstweiligen und im Januar 1934 in den dauernden Ruhestand versetzt. Im Zusammenhang mit dem so genannten „Röhm-Putsch“ wurde er Ende Juni 1934 auf seinem Gut von der SS gesucht, konnte jedoch fliehen. Im Juni 1939 wurde er in einem Verzeichnis des Reichs­si­cher­heits­hauptamts im Unter­ver­zeichnis „Recht­sop­po­sition und Reaktion“ aufgeführt. Im Dezember 1943 verurteilte ihn das Landgericht Greifswald zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten, weil er zwei sowjetischen Kriegs­ge­fangenen ein christliches Begräbnis bereitet hatte. Das Reichsgericht hob die Entscheidung im Mai 1944 auf und verwies das Verfahren zurück. Zu einer Neuverhandlung kam es nicht mehr, weil der Rechtsvorgänger der Kläger am 21. Juli 1944 verhaftet wurde und sich bis April 1945 in Gestapo-Haft befand. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat im Februar 1963 die Abweisung einer Klage auf Wieder­gut­machung wegen natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Unrechts durch die rechtswidrige Entlassung als Angehöriger des öffentlichen Dienstes bestätigt und dabei einen Anspruch auf Wieder­gut­machung wegen der Förderung des natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Systems bei der Machtergreifung ausgeschlossen.

Antrag auf Gewährung einer Entschädigung abgelehnt

Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern lehnte im Oktober 2006 den Antrag der Kläger auf Gewährung einer Entschädigung mit der Begründung ab, ihr Rechtsvorgänger habe durch seine Tätigkeit als Staatssekretär dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen System erheblichen Vorschub geleistet und damit den Ausschluss­tat­bestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG [1] erfüllt. Das Verwal­tungs­gericht Greifswald hat sich dieser Ansicht angeschlossen und die Klage im April 2009 abgewiesen.

Verwal­tungs­gericht entscheidet auf unzureichenden Tatsa­chen­grundlagen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen. Es hat beanstandet, dass das Verwal­tungs­gericht auf einer unzureichenden Tatsa­chen­grundlage entschieden und die genaue Rolle des Rechts­vor­gängers der Kläger sowie sein konkretes Verhalten in der nicht ausreichend betrachtet hat.

Gesamtes Verhalten des Rechts­vor­gängers vor und nach der Entlassung als Staatssekretär ist zu würdigen

Das Verwal­tungs­gericht Greifswald muss sich nunmehr erneut umfassend mit der Klage befassen und dabei das gesamte Verhalten des Rechts­vor­gängers der Kläger vor und nach seiner Entlassung als Staatssekretär würdigen.

Erläuterungen

[1] § 1 Abs. 4 AusglLeistG lautet: „Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteignete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen, in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht oder dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat."

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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