21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil04.07.2019

Tragen eines Turbans aus religiösen Gründen befreit nicht von der HelmpflichtBei verbindlich empfundener Pflicht zum Tragen eines Turbans muss auf das Motorradfahren verzichtet werden

Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim Motorradfahren zu befreien. Dies entschied das Bundes­verwaltungs­gericht.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls beantragte im Juli 2013 bei der Stadt Konstanz die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, mit der er von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahren befreit wird. Die Schutz­helmpflicht nach § 21 a Abs. 2 Satz 1 StVO verletze ihn als gläubigen Sikh in seiner Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG; er sei aus religiösen Gründen verpflichtet, einen Turban zu tragen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Ausnah­me­ge­neh­migung nach § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO könne nur aus gesund­heit­lichen Gründen erteilt werden.

VGH hält Ausnahme aus religiösen Gründen für grundsätzlich möglich

Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers und seine Klage vor dem Verwal­tungs­gericht Karlsruhe blieben erfolgslos. Auf die Berufung des Klägers verpflichtet der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg die Beklagte, über seinen Antrag erneut unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Gerichts zu entscheiden. Die Beklagte habe verkannt, dass eine Ausnahme auch aus religiösen Gründen in Betracht komme. Eine unmittelbare Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten Ausnah­me­ge­neh­migung lehnte der Verwal­tungs­ge­richtshof dagegen ab. Die Glaubensfreiheit führe nicht zu einem generellen Überwiegen der Interessen des Klägers gegenüber der ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten körperlichen und psychischen Unversehrtheit Dritter, die durch die Helmpflicht geschützt werden solle. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null komme allenfalls in Betracht, wenn der Antragsteller auf die Nutzung des Motorrads zwingend angewiesen sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall.

Helmpflicht soll nicht nur Motorradfahrer selbst, sondern auch körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfall­be­tei­ligter und Rettungskräfte schützen

Die Revision des Klägers, mit der er über die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung hinaus die Erteilung der Ausnah­me­ge­neh­migung erreichen wollte, wies das Bundes­ver­wal­tungs­gericht zurück. Die in § 21 a Abs. 2 StVO angeordnete Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu tragen, kann den Kläger als gläubigen Sikh mittelbar in seiner Religi­o­ns­aus­übungs­freiheit beeinträchtigen. Er wird hierdurch zwar nicht an der Praktizierung seines Glaubens gehindert; bei der Befolgung der von ihm aus religiösen Gründen als verbindlich empfundenen Pflicht zum Tragen eines Turbans muss er aber auf das Motorradfahren verzichten. Diese Einschränkung ist auch mit Blick auf die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religi­o­ns­freiheit grundsätzlich gerechtfertigt und vom Kläger hinzunehmen, weil sie anderen, ebenfalls verfas­sungs­rechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter dient. Die Helmpflicht soll nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfall­be­tei­ligter und der Rettungskräfte schützen. Sie können durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem nicht mit einem Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden. Ein durch Helm geschützter Motorradfahrer wird zudem im Fall eines Unfalls eher in der Lage sein, zur Rettung anderer Personen beizutragen, etwa indem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder Rettungskräfte ruft. Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht kann daher allenfalls bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Anhaltspunkte hierfür hat der Kläger, der über eine Fahrerlaubnis zum Führen von Pkw verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt.

§ 21 a Abs. 2 StVO:

Wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchst­ge­schwin­digkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, muss während der Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen. Dies gilt nicht, wenn vorgeschriebene Sicher­heits­gurrte angelegt sind.

§ 46 Abs. 1 Satz 1 StVO:

Die Straßen­ver­kehrs­be­hörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen

[...]

5b. von den Vorschriften über das Anlegen von Sicher­heits­gurten und das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm/kg)

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