Bundesverwaltungsgericht Urteil19.07.2012
Ausländische Ehehindernisse können einem Ehegattennachzug entgegenstehenFür Anspruch auf Visum muss im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland als wirksam angesehen werden
Ein allein nach ausländischem Recht bestehendes Ehehindernis (hier: Verbot der Ehe zwischen Stiefsohn und Stiefmutter) kann nach deutschem Recht beachtlich sein und einer Familienzusammenführung in Deutschland entgegenstehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls, ein indischer Staatsangehöriger, möchte ein Visum für die Einreise nach Deutschland zur Familienzusammenführung erhalten. Er hat Anfang 2008 in Indien eine Deutsche mit ständigem Wohnsitz in Deutschland geheiratet, die 1997 in Dänemark eine im Mai 2007 wieder geschiedene Ehe mit seinem Vater eingegangen war. Bei dieser Ehe hatte es sich allerdings um eine nach indischem und deutschem Recht verbotene Doppelehe gehandelt, da der Vater des Klägers zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits in Indien mit der Mutter des Klägers verheiratet war. Die zuständige Botschaft in Neu-Delhi lehnte die Erteilung des Visums ab, weil die Ehe des Klägers mit seiner Stiefmutter nach indischem Recht ungültig sei. Dieses Ehehindernis sei auch in Deutschland zu beachten, obwohl nach deutschem Recht das Verbot einer Ehe zwischen Verschwägerten in gerader Linie 1998 aufgehoben worden ist.
Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos.
Einschränkung mit verfassungsrechtlich gewährleisteter Eheschließungsfreiheit vereinbar
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Der Kläger kann nur Anspruch auf das Visum haben, wenn seine in Indien geschlossene Ehe in Deutschland als wirksam angesehen wird. Dies scheitert nach den Regeln des Internationalen Privatrechts hier an dem in Indien bestehenden Verbot einer Eheschließung zwischen Stiefsohn und Stiefmutter. Der nach der Kollisionsregel des Art. 13 Abs. 1 EGBGB gebotene Respekt vor ausländischen Rechtsordnungen setzt sich bei diesem Ehehindernis durch. Mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Eheschließungsfreiheit ist diese Einschränkung nicht unvereinbar; ein gleichartiges Ehehindernis galt bis 1998 auch in Deutschland und wurde seinerzeit nicht aus zwingenden verfassungsrechtlichen, sondern vorrangig aus pragmatischen Gründen abgeschafft.
auch interessant
Oberverwaltungsgericht muss tatsächliche Gegebenheiten der familiären Situation klären
Das Berufungsgericht wird allerdings aufzuklären haben, ob die deutsche Staatsangehörige, die der Kläger in Indien geheiratet hat, tatsächlich seine Stiefmutter gewesen ist. Dies hängt davon ab, ob ihre geschiedene Ehe mit dem Vater des Klägers - wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen - nach deutschem oder nach indischem Recht beurteilt werden muss. Bei Heranziehung indischen Rechts wäre es denkbar, dass diese Vorehe als von vornherein nichtig anzusehen wäre mit der Folge, dass der Kläger niemals der Stiefsohn seiner Ehefrau geworden ist. Bei der Auslegung des indischen Rechts und der Ermittlung der dortigen Rechtspraxis, die grundsätzlich Sache des Tatsachengerichts ist, ist das Oberverwaltungsgericht indes von einer zu schmalen Tatsachengrundlage ausgegangen. In dem weiteren Verfahren wird ggf. auch zu entscheiden sein, ob die Ehe des Klägers mit der deutschen Staatsangehörigen eine ausländerrechtliche Zweckehe („Scheinehe“) darstellt; dies würde der Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung ebenfalls entgegenstehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.07.2012
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online