23.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil30.03.2010

BVerwG: Erfordernis einfacher Deutsch­kenntnisse beim Ehegat­ten­nachzug im Einklang mit Grundgesetz und EuroparechtNachzugs­vor­aus­setzung dient Integration und Verhinderung von Zwangsehen

Ein Anspruch auf Ehegat­ten­nachzug zu einem im Bundesgebiet lebenden Ausländer setzt voraus, dass der nachziehende Ehegatte sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Diese Regelung verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen Gemein­schaftsrecht. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Die Kläger, eine türkische Staats­an­ge­hörige und ihre fünf - zwischen 1994 und 2006 geborenen - Kinder, begehren die Erteilung von Visa zum Zwecke des Famili­en­nachzugs zu ihrem türkischen Ehemann und Vater. Dieser lebt seit 1998 in Deutschland, zunächst als Asylbewerber und von 2001 bis 2006 als Ehemann einer deutschen Staats­an­ge­hörigen. Inzwischen ist er im Besitz einer Nieder­las­sungs­er­laubnis. Nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau heiratete er im Dezember 2006 die Mutter seiner Kinder, die Klägerin. In den Jahren zuvor besuchte er seine Familie regelmäßig in der Türkei. Im Juli 2007 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa. Diese Anträge lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara 2008 ab. Die hiergegen erhobenen Klagen hatten beim Verwal­tungs­gericht Berlin keinen Erfolg, weil die Klägerin zu 1 - nach eigenen Angaben eine Analphabetin - über keinerlei Deutschkenntnisse verfügt.

Nachzugs­vor­aus­setzung steht im Einklang mit Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richtlinie

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts bestätigt und die (Sprung-)Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Ehegattennachzug setzt - von hier nicht einschlägigen Ausnah­me­be­stim­mungen abgesehen - voraus, dass der nachziehende Ehegatte mündlich und schriftlich über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Diese Nachzugs­vor­aus­setzung dient der Integration und der Verhinderung von Zwangsehen. Sie steht beim Nachzug zu Dritt­staats­an­ge­hörigen im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates (so genannte Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richtlinie). Diese ermächtigt die Mitgliedstaaten, den Familiennachzug davon abhängig zu machen, dass der Betroffene Integra­ti­o­ns­maß­nahmen nachkommt. Das Sprach­er­for­dernis ist auch mit dem besonderen Schutz zu vereinbaren, den Ehe und Familie nach dem Grundgesetz und nach dem Gemein­schaftsrecht genießen. Art. 6 GG gewährt nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zu einem hier lebenden Familien­an­ge­hörigen, sondern verpflichtet zu einem schonenden Ausgleich des privaten Interesses an einem ehelichen und familiären Zusammenleben im Bundesgebiet mit gegenläufigen öffentlichen Interessen. Dem wird die gesetzliche Regelung, die ein Zusammenleben im Bundesgebiet regelmäßig nur für einen überschaubaren Zeitraum verhindert, gerecht. Die Vorschrift ist auch nicht deshalb verfas­sungs­widrig, weil sie keine allgemeine Ausnah­me­re­gelung für Härtefälle enthält. Falls die deutschen Sprach­kenntnisse aus nicht zu vertretenden Gründen innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht erworben werden können und keine zumutbare Möglichkeit besteht, die Lebens­ge­mein­schaft im Ausland herzustellen, kann der verfas­sungs­rechtlich gebotene Inter­es­se­n­aus­gleich einfach­ge­setzlich auf andere Weise, etwa durch die Erteilung einer vorübergehenden Aufent­halt­s­er­laubnis zum Zwecke des Spracherwerbs (§ 16 Abs. 5 AufenthG) herbeigeführt werden.

Berufen auf gemein­schafts­recht­liches Diskri­mi­nie­rungs­verbot aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit hier nicht möglich

Im Entschei­dungsfall führt die Versagung des beantragten Visums nicht zu einer unver­hält­nis­mäßigen Belastung, da die Klägerin nach den Feststellungen des Verwal­tungs­ge­richts in der Türkei die geforderten Sprach­kenntnisse einschließlich einer vorausgehenden Alpha­be­ti­sierung in etwa einem Jahr erwerben könnte. Außerdem ist dem Ehemann und Vater der Klägerin eine Rückkehr in die Türkei zumutbar, wo die Familie auch nach seiner Ausreise ihren Lebens­mit­telpunkt beibehalten hat. Die Ablehnung verletzt die Klägerin auch nicht in Art. 3 Abs. 1 GG, soweit Ehegatten bestimmter Dritt­staats­an­ge­höriger vom Sprachnachweis befreit sind (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG). Diese Ungleichbehandlung knüpft an die visumrechtliche Privilegierung des Stamm­be­rech­tigten an und findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer auswärtigen Beziehungen zu anderen Staaten ein weites außen­po­li­tisches Ermessen zusteht. Dies schließt aufent­halts­rechtliche Privi­le­gie­rungen von Angehörigen bestimmter Drittstaaten und damit verbundene Erleichterungen beim Ehegat­ten­nachzug ein. Auf das gemein­schafts­rechtliche Diskri­mi­nie­rungs­verbot aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit kann sich die Klägerin als Dritt­staats­an­ge­hörige beim Familiennachzug nicht berufen. Die assozia­ti­o­ns­recht­lichen Verschlech­te­rungs­verbote für türkische Staats­an­ge­hörige greifen hier ebenfalls nicht ein.

Quelle: ra-online, BVerwG

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