18.10.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 16067

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Urteil13.06.2013BundesverwaltungsgerichtBVerwG 10 C 13.12
Vorinstanzen:
  • Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil11.10.2011, A 6 K 1088/11
  • Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil27.04.2012, A 11 S 3392/11
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil13.06.2013

BVerwG zum Abschie­bungs­schutz für unbegleitete minderjährige AsylbewerberIm Aufent­halts­gesetz enthaltenes gesetzliches Vollstre­ckungs­hin­dernis bietet minderjährigem Asylbewerber Schutz vor Abschiebung in extreme Gefahrenlage

Unbegleiteten minderjährigen Ausländern, denen weder Asyl noch Flücht­lings­schutz zusteht, vermittelt § 58 Abs. 1a des Aufent­halts­ge­setzes (AufenthG)* Schutz vor Abschiebung wie ein Abschiebestopp-Erlass. Hierdurch sind diese Ausländer gegenüber extremen allgemeinen Gefahren in ihrem Heimatland hinreichend geschützt, so dass keine Notwendigkeit besteht, daneben Abschie­bungs­schutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungs­konformer Anwendung zu gewähren. Dies hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Die Entscheidung erging im Fall eines unbegleiteten afghanischen Jugendlichen. Sein Asylantrag blieb beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erfolglos.

VG und VGH bejahen Abschie­bungs­schutz für minderjährigen Afghanen

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hatte die Beklagte verpflichtet, ihm Abschie­bungs­schutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg ist ebenfalls davon ausgegangen, dass minderjährigen Afghanen wegen der schlechten Versorgungslage in ihrem Heimatland Abschie­bungs­schutz zusteht, wenn sie dort - wie der Kläger - keine Verwandten oder Bekannten haben. Daran habe sich auch durch die zur Umsetzung der Rückfüh­rungs­richtlinie (RL 2008/115/EG) neu eingefügte Vorschrift des § 58 Abs. 1a AufenthG nichts geändert.

Auslän­der­behörde darf unbegleiteten minderjährigen Ausländer nicht ohne gesicherte Übergabe an geeignete Person oder Einrichtung abschieben

Dem ist das Bundes­ver­wal­tungs­gericht nicht gefolgt. Es hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen. Zwar ist das Berufungs­gericht zutreffend davon ausgegangen, dass bei allgemeinen Gefahren Abschie­bungs­schutz grundsätzlich nur im Wege einer generellen politischen Leitent­scheidung (z.B. durch einen Abschiebestopp-Erlass) gewährt werden kann. Fehlt es - wie hier - an einer solchen Anordnung, kann Abschie­bungs­schutz im Einzelfall unter Durchbrechung der in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angeordneten Sperrwirkung zur Vermeidung verfas­sungs­widriger Ergebnisse erst bei einer extremen Gefahrenlage zugesprochen werden. Die Notwendigkeit einer solchen verfas­sungs­kon­formen Auslegung besteht aber nur dann, wenn der Ausländer keinen anderen, einem Abschiebestopp-Erlass vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung genießt. Gleichwertigen Schutz vor Abschiebung in eine extreme Gefahrenlage vermittelt einem unbegleiteten Minderjährigen jedoch das in § 58 Abs. 1a AufenthG enthaltene gesetzliche Vollstre­ckungs­hin­dernis. Denn die Auslän­der­behörde darf den unbegleiteten minderjährigen Ausländer nicht abschieben, bis sie sich von der Möglichkeit der Übergabe an eine der in der Vorschrift genannten Personen (z.B. die Eltern) bzw. Einrichtungen positiv vergewissert und das Ergebnis dieser Prüfung dem Ausländer auch mitgeteilt hat. Gegen die Entscheidung, die Duldung nicht zu verlängern, kann der Betroffene gerichtlich vorgehen. Bei Gefahren, die unabhängig von der sicheren Übergabe an die Familie oder eine Einrichtung drohen, kann er überdies einen Folgeantrag stellen und sein Abschie­bungs­schutz­be­gehren erneut vor dem Bundesamt zur Prüfung stellen. Da das Berufungs­gericht keine hinreichend tragfähigen Tatsa­chen­fest­stel­lungen für eine abschließende Entscheidung getroffen hat, ist die Sache zur erneuten Prüfung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen worden.

Erläuterungen
* § 58 Abs. 1a AufenthG lautet: Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnah­me­ein­richtung übergeben wird.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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