23.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil22.05.2012

Aufent­halt­s­er­laubnis für anerkannten Flüchtling wegen Unterstützung des KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistan) fraglichBei nicht beabsichtigter Abschiebung kann bei gegenwärtiger Gefährlichkeit des Flüchtlings dennoch die Verlängerung der Aufent­halt­s­er­laubnis verweigert werden

Rechtfertigen Tatsachen die Schluss­fol­gerung, dass ein anerkannter Flüchtling eine Vereinigung unterstützt, die den Terrorismus unterstützt, kann diesem die Aufent­halt­s­er­laubnis versagt werden. Das Unionsrecht gebietet jedoch, ihm die Aufent­halt­s­er­laubnis nur dann zu versagen, sofern er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Im hier zugrunde liegenden Fall wurde der Kläger, ein türkischer Staats­an­ge­höriger kurdischer Volks­zu­ge­hö­rigkeit, 1996 als Flüchtling anerkannt. Daraufhin erteilte ihm die Beklagte zunächst fortlaufend befristete Aufent­halts­ge­neh­mi­gungen.

Verlängerung der Aufent­halts­ge­neh­migung wegen aktiver Unterstützung verbotener Organisationen abgelehnt

Im Februar 2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf weitere Verlängerung der humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ab. Sie hielt dem Kläger entgegen, dass er seit 2004 in verschiedener Weise für den KONGRA-GEL aktiv sei, die Nachfol­ge­or­ga­ni­sation der verbotenen PKK. Beide Organisationen unterstützten den Terrorismus. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Erfolg. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG* in der Person des Klägers vorlägen. Dieser allgemeine Versagungsgrund werde hier jedoch durch die spezielle Ausschluss­re­gelung in § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Abs. 2 Satz 2 verdrängt. Danach ist einem anerkannten Flüchtling keine Aufent­halt­s­er­laubnis zu erteilen, wenn er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, da der Kläger nicht ausgewiesen worden sei.

Bei erhöhter Gefah­ren­schwelle Versagung der Aufent­halt­s­er­laubnis im Einklang mit Unionsrecht

Der 1. Revisionssenat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hat die Entscheidung des Berufungs­ge­richts auf die Revision des Beklagten aufgehoben. Sowohl aus der Geset­zes­sys­tematik als auch den Geset­zes­ma­te­rialien ergibt sich, dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG für die hier im Streit stehende Aufent­halt­s­er­laubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG gilt. Allerdings gebietet bei anerkannten Flüchtlingen die Richtlinie 2004/83/EG - sog. Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie - hier eine Einschränkung: Sie geht in ihrem Art. 24 Abs. 1 von einem grundsätzlichen Anspruch auf eine Aufent­halt­s­er­laubnis aus. In Art. 21 Abs. 3 ermöglicht sie den Mitgliedstaaten allerdings in Fällen, in denen deren völker­rechtliche Verpflichtung auf Achtung des Grundsatzes der Nicht­zu­rü­ck­weisung nach Art. 33 der Genfer Flücht­lings­kon­vention nicht eingreift, die Versagung eines Aufent­halt­s­titels. Auf den Grundsatz der Nicht­zu­rü­ck­weisung kann sich u.a. derjenige nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmelandes anzusehen ist. Die Versagung der Aufent­halt­s­er­laubnis gegenüber einem Flüchtling steht demzufolge nur dann im Einklang mit Unionsrecht, wenn sein Verhalten diese erhöhte Gefah­ren­schwelle überschreitet. Dies gilt auch dann, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht beabsichtigt ist.

OVG muss Schwere der vom Kläger ausgehenden Gefahr beurteilen

Da das Berufungs­gericht keine Feststellungen zur Schwere der vom Kläger ausgehenden Gefahr getroffen hat, konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob im Fall des Klägers die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG mit Blick auf die erhöhte Gefah­ren­schwelle der Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie vorliegen. Das Verfahren war daher an das Oberver­wal­tungs­gericht zurück­zu­ver­weisen, um den Sachverhalt insoweit weiter aufzuklären.

Erläuterungen

* § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG lautet:

Die Erteilung eines Aufent­halt­s­titels ist zu versagen, wenn einer der Auswei­sungs­gründe nach § 54 Nr. 5 bis 5b vorliegt. Von Satz 1 können in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zugelassen werden, wenn sich der Ausländer gegenüber den zuständigen Behörden offenbart und glaubhaft von seinem sicher­heits­ge­fähr­denden Handeln Abstand nimmt.

§ 54 Nr. 5 AufenthG lautet:

Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn

5. Tatsachen die Schluss­fol­gerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf zurückliegende Mitglied­s­chaften oder Unter­stüt­zungs­hand­lungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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