18.10.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil22.02.2018

BVerwG zur Einbürgerung bei zusätzlich zur verhängten Strafe angeordneter MaßregelEinbürgerung scheitert bei Unbeacht­lichkeit der verhängten Strafe nicht an zusätzlicher Entziehung der Fahrerlaubnis

Bleibt eine straf­ge­richtliche Verurteilung - z.B. wegen einer Verkehr­s­s­traftat - wegen der geringen Höhe der verhängten Geld- oder Bewäh­rungs­strafe bei der Anspruch­s­ein­bür­gerung außer Betracht, kann die zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung (hier: Entziehung der Fahrerlaubnis und Wieder­er­tei­lungs­sperre, §§ 69, 69a StGB) der Einbürgerung nicht entge­gen­ge­halten werden. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Im hier zu entscheidenden Fall lebt der 1984 geborene Kläger, ein brasilianischer Staats­an­ge­höriger, seit 2002 im Bundesgebiet und ist seit 2009 im Besitz einer Nieder­las­sungs­er­laubnis. 2011 beantragte er seine Einbürgerung.

Einbür­ge­rungs­antrag wegen Fahrer­laub­nis­entzug abgelehnt

Mit Strafbefehl aus dem Jahr 2012 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für deren Wiedererteilung bis Mai 2013 angeordnet. Da er im Einbür­ge­rungs­ver­fahren diese Strafe nicht angegeben hatte, wurde er im Jahr 2014 zu einer weiteren Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Die Staats­an­ge­hö­rig­keits­behörde lehnte den Einbür­ge­rungs­antrag im August 2015 ab. Die Strafurteile blieben zwar im Einbür­ge­rungs­ver­fahren außer Betracht, weil die Strafhöhe unterhalb der im Staats­an­ge­hö­rig­keits­gesetz (StAG) geregelten Unbeacht­lich­keits­grenze liege. Die mit Strafbefehl von 2012 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis sei aber bis zur Tilgungsreife im Bundes­zen­tra­l­re­gister einbür­ge­rungs­rechtlich relevant. Die im Rahmen der gebotenen Einzel­fa­l­l­ent­scheidung vorzunehmende Abwägung der betroffenen Interessen führe hier dazu, dass das öffentliche Interesse an der Nicht­ein­bür­gerung überwiege.

Verwal­tungs­ge­richtshof gibt Klage statt

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwal­tungs­gericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwal­tungs­ge­richtshof der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass die im Strafbefehl unselbständig angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung bereits nicht zu berücksichtigen sei, so dass es keiner Ermes­sen­s­ent­scheidung bedürfe.

Verurteilungen unterhalb der Unbeacht­lich­keits­grenzen bleiben bei Einbür­ge­rungs­ent­scheidung außer Betracht

Das Gericht hat diese Rechts­auf­fassung bestätigt und die Revision der Landes­an­walt­schaft Bayern zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt u.a. voraus, dass der Ausländer weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schul­d­un­fä­higkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Bleiben, wie hier, Verurteilungen bei der Einbürgerung außer Betracht, weil sie die im StAG geregelten Unbeacht­lich­keits­grenzen (§ 12 a Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StAG) nicht überschreiten, bleibt die in einem Strafurteil zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung unberück­sichtigt.

Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen

Bereits nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG sind bei schuldfähigen Tätern nur Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen und nicht zusätzlich angeordnete Maßregeln. Maßregeln der Besserung und Sicherung hat der Gesetzgeber einbür­ge­rungs­rechtlich nur bei schuldunfähigen Straftätern Bedeutung beigemessen, bei denen es mangels einer verhängten Strafe an einem anderweitigen Kriterium für die Bemessung des Gewichts der Straftat fehlt. Die 2007 erfolgte Neuregelung des einbür­ge­rungs­recht­lichen Unbeschol­ten­heits­er­for­der­nisses knüpft schon in ihrem Wortlaut an das zweispurige System von Strafen (§§ 38 ff. StGB) einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) andererseits an, welches das Strafrecht prägt.

Geset­zes­sys­tematik und Normzweck sprechen gegen Ermes­sen­s­ent­scheidung

Auch Geset­zes­sys­tematik und Normzweck sprechen dafür, dass gegenüber schuldfähigen Tätern unselbständig angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung von vornherein nicht einbür­ge­rungs­hindernd sind und nicht erst im Rahmen einer Ermes­sen­s­ent­scheidung (§ 12 a Abs. 1 Satz 4 StAG) außer Betracht bleiben können. Der ordnungs­rechtliche Zweck des sog. Unbeschol­ten­heits­er­for­der­nisses des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, die Einbürgerung von Personen zu verhindern, die straffällig geworden sind und sich nicht erfolgreich in Staat und Gesellschaft integriert haben, erfordert bei schuldfähigen Tätern nicht die einbür­ge­rungs­rechtliche Berück­sich­tigung von zusätzlich zu einer Strafe angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung. Denn diese sind keine zusätzliche Bestrafung oder Nebenstrafe, die auf die Verletzung eines strafrechtlich bewehrten Schutzgutes reagieren, sondern dienen der Gefahrenabwehr, beim Fahrerlaubnisentzug der Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese präventive Funktion behalten die Maßregeln der Besserung und Sicherung auch dann, wenn sie zusätzlich (unselbständig) zu einer Strafe angeordnet worden sind.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ ra-online

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