18.10.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil06.11.2014

Abschaffung des erlaubnisfreien Aufenthalts für türkische Kinder zulässigErstreckung der Aufenthalts­erlaubnis­pflicht auf unter 16-jährige Ausländer durch zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses gerechtfertigt

Ein im Bundesgebiet geborenes Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das nach der derzeitigen Rechtslage einer Aufenthalts­erlaubnis bedarf, kann sich nicht auf die früher geltende Befreiung von der Aufenthalts­erlaubnis­pflicht berufen. Zwar verbietet das Assoziierungs­ab­kommen EWG -Türkei grundsätzlich eine nachteilige Veränderung der Rechtslage. Die Erstreckung der Aufenthalts­erlaubnis­pflicht auf unter 16-jährige Ausländer ist jedoch durch einen zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses gerechtfertigt. Dies entschied das Bundes­verwaltungs­gericht.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens wurde im Jahre 2011 in Deutschland geboren und besitzt die türkische Staats­an­ge­hö­rigkeit. Sein Vater reiste im Jahre 1994 ein, ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sowie ordnungsgemäß als Arbeitnehmer beschäftigt.

Still­hal­te­klausel ist auf hier betroffenen Bereich der Famili­en­zu­sam­men­führung nicht anwendbar

Der beklagte Landkreis lehnte im Februar 2012 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufent­halt­s­er­laubnis ab, weil sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Ein erlaubnisfreier Aufenthalt komme nicht in Betracht, da die sogenannte Still­hal­te­klausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assozia­ti­o­nsrates vom 19. September 1980 (ARB 1/80) auf den hier betroffenen Bereich der Famili­en­zu­sam­men­führung nicht anwendbar sei. Der Kläger begehrte im Verfahren vor dem Verwal­tungs­gericht die Aufhebung der erlassenen Abschie­bung­s­an­drohung sowie die Feststellung, dass er sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Diesem Begehren hat das Verwal­tungs­gericht entsprochen und die Sprungrevision gegen sein Urteil zugelassen.

Aufhebung der Befreiung von der Aufent­halt­s­er­laub­nis­pflicht für unter 16-jährige hier auch nach Art und Umfang gerechtfertigt

Auf die Revision des Beklagten hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger könne sich auf das assozia­ti­o­ns­rechtliche Verschlech­te­rungs­verbot (Art. 13 ARB 1/80) berufen, das neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt verbiete. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist die Still­hal­te­klausel des Art. 13 ARB 1/80 auch auf Regelungen anwendbar, die das Recht des türkischen Arbeitnehmers auf Familiennachzug berühren. Denn eine Regelung, die die Famili­en­zu­sam­men­führung erschwert, kann dazu führen, dass er sich zwischen einer Tätigkeit im Bundesgebiet und dem Familienleben in der Türkei entscheiden muss. Da es nach Art. 13 ARB 1/80 maßgeblich darauf ankomme, ob die Rechtsstellung des türkischen Arbeitnehmers beeinträchtigt werde, reiche in diesem Fall dessen ordnungsgemäßer Aufenthalt und dessen ordnungsgemäße Beschäftigung aus, so das Bundes­ver­wal­tungs­gericht. Die Einführung einer Aufent­halt­s­er­laub­nis­pflicht durch § 33 Satz 1 des Aufent­halts­ge­setzes (AufenthG) bewirke eine „neue Beschränkung“ im Sinne des Art. 13 ARB 1/80, da sie eine Verschlech­terung der durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG) 1965 gewährten Befreiung von der Aufent­halt­s­er­laub­nis­pflicht darstelle. Die Aufhebung der Befreiung von der Aufent­halt­s­er­laub­nis­pflicht für unter 16-jährige diene jedoch einem zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses im Sinne der neueren EuGH-Rechtsprechung, nämlich einer effektiven Zuwan­de­rungs­kon­trolle, und sei hier auch nach Art und Umfang gerechtfertigt.

Art. 13 ARB 1/80

Erläuterungen
Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familien­an­ge­hörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

§ 33 Satz 1 AufenthG

Geburt eines Kindes im Bundesgebiet

Einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, kann abweichend von den §§ 5 und 29 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen eine Aufent­halt­s­er­laubnis erteilt werden, wenn ein Elternteil eine Aufent­halt­s­er­laubnis, eine Nieder­las­sungs­er­laubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU - besitzt.

§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1965

Aufenthaltserlaubnis

[...]

(2) Keiner Aufent­halt­s­er­laubnis bedürfen Ausländer, die

1. das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, [...]

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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