21.11.2024
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Dokument-Nr. 13357

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Urteil22.03.2012BundesverwaltungsgerichtBVerwG 1 C 3.11
Vorinstanzen:
  • Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil30.01.2007, AN 19 K 06.1116
  • Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss22.12.2010, 19 B 09.824
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil22.03.2012

Kein flücht­lings­recht­liches Abschie­bungs­verbot für jüdische Emigranten aus RusslandEmigranten genießen seit Inkrafttreten des Zuwan­de­rungs­ge­setzes Anfang 2005 nicht mehr Rechtsstellung von Kontin­g­ent­flücht­lingen

Jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die von der Bundesrepublik Deutschland seit 1991 aufgenommen worden sind, genießen jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwan­de­rungs­ge­setzes am 1. Januar 2005 nicht die Rechtsstellung eines Kontin­g­ent­flüchtlings. Auch das Abschie­bungs­verbot des Art. 33 der Genfer Flücht­lings­kon­vention (GFK) bzw. dessen Umsetzung in § 60 Abs. 1 des Aufent­halts­ge­setzes (AufenthG) greift nicht automatisch zu ihren Gunsten. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hervor.

Der Entscheidung liegt der Fall eines 46 jährigen russischen Staats­an­ge­hörigen zugrunde, der 1997 als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland aufgenommen worden war. Im Dezember 2003 wurde er wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer ging von einer erheblichen Verminderung seiner Steue­rungs­fä­higkeit wegen des Vorliegens einer psychischen Erkrankung aus.

Bayerischer VGH hebt Abschie­bung­s­an­drohung mit Verweis auf flücht­lings­recht­liches Abschie­bungs­verbot auf

Die beklagte Auslän­der­behörde wies den Kläger im Februar 2006 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Russische Föderation an. Der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof hat die gegen die Ausweisung gerichtete Klage abgewiesen; insoweit ist seine Entscheidung rechtskräftig. Die Abschie­bung­s­an­drohung hat er aufgehoben, da jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion aufgrund eines Beschlusses der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung von Kontin­g­ent­flücht­lingen entsprechend § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge - Kontingentflüchtlingsgesetz - genießen würden. Sie könnten sich auch ohne Vorliegen eines Verfol­gungs­schicksals auf das flücht­lings­rechtliche Abschiebungsverbot (Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG) berufen. Denn die Aufnahme dieses Personenkreises sei vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Natio­nal­so­zi­a­lismus erfolgt. Zudem dürfe der Kläger auch deshalb nicht abgeschoben werden, weil er herzkrank sei und die notwendige medizinische Behandlung in der Russischen Föderation nicht finanzieren könne (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).

Rechtsstellung von Kontin­g­ent­flücht­lingen mit Inkrafttreten des Zuwan­de­rungs­ge­setzes zum 1. Januar 2005 neugeregelt

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richtshofs aufgehoben. Das Gericht hat offen gelassen, ob die dem Kläger durch die Aufnahme im Jahr 1997 vermittelte Rechtsstellung in entsprechender Anwendung des Kontin­g­ent­flücht­lings­ge­setzes das Abschie­bungs­verbot des Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG umfasst hat. Denn jedenfalls mit Inkrafttreten des Zuwan­de­rungs­ge­setzes zum 1. Januar 2005 hat der Gesetzgeber die Rechte dieser Personengruppe neu geregelt. Nach dem nunmehr geltenden § 23 Abs. 2 AufenthG kann das Bundes­mi­nis­terium des Inneren zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anordnen, Ausländern aus bestimmten Staaten oder bestimmten Auslän­der­gruppen eine Aufnahmezusage zu erteilen. Diesen wird nach der Einreise ein humanitärer Aufent­halt­stitel erteilt; Abschie­bungs­schutz nach Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG genießen sie nicht. Aus den Überg­angs­vor­schriften des Aufent­halts­ge­setzes ergibt sich, dass die Neuregelung auch die zukünftige Rechtsstellung der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten abschließend ausformen soll. Dagegen bestehen auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrau­ens­schutzes keine Bedenken, da die Betroffenen ein Dauer­auf­ent­haltsrecht besitzen und ihnen die Möglichkeit verbleibt, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen.

Abschie­bungs­verbot zugunsten des Klägers wegen gesund­heit­licher Probleme verstößt gegen Bundesrecht

Die Annahme des Berufungs­ge­richts, wegen der Herzerkrankung greife das Abschie­bungs­verbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers ein, verstößt ebenfalls gegen Bundesrecht. Sie verfehlt die Maßstäbe, die bei der Prognose des künftigen Krank­heits­verlaufs und der Erreichbarkeit der notwendigen medizinischen Behandlung anzulegen sind. Zur Nachholung der dafür notwendigen tatsächlichen Feststellungen hat der Senat die Sache an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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