18.10.2024
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Dokument-Nr. 33392

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Bundesverfassungsgericht Urteil19.10.2023

Verwaltungs­rechtliche Rehabilitierung wegen rechts­staats­widriger Adoption in der DDRGesetzliche Voraussetzungen für Rehabilitierung erfüllt

Wer in der ehemaligen DDR in rechts­staats­widriger Weise adoptiert wurde, hat einen Anspruch auf verwaltungs­rechtliche Rehabilitierung nach § 1 VwRehaG durch Feststellung der Rechts­staats­widrigkeit dieser Adoption, wenn sie zu den in der Vorschrift genannten Folgen geführt hat und diese noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Der Kläger wurde 1972 geboren. 1975 ließen seine Eltern sich scheiden. Nach dem Tod seiner allein erzie­hungs­be­rech­tigten Mutter im folgenden Jahr beantragte sein Vater die Übertragung des Erzie­hungs­rechts und verwies auf seinen Ausreiseantrag. Beide Anträge wurden abgelehnt; der Kläger wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. 1979 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des Klägers. Sein aus politischen Gründen inhaftierter und anschließend in die Bundesrepublik entlassener Vater verweigerte die Einwilligung in die Adoption. Diese wurde 1981 gerichtlich ersetzt. 1982 beschloss der zuständige Jugend­hil­fe­aus­schuss die Annahme des Klägers an Kindes statt durch seine Pflegeeltern. Deren Ehe wurde 1983 geschieden. Das Erziehungsrecht wurde dem Adoptivvater zugesprochen. Dieser wurde 1984 wegen wiederholter Misshandlung des Klägers zu einer Bewäh­rungs­strafe verurteilt. Der Kläger wurde bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit in verschiedenen Heimen und Jugendwerkhöfen untergebracht. 2014 beantragte er seine verwal­tungs­rechtliche Rehabilitierung wegen seiner Adoption, als deren Folge er heute noch unter schweren Gesund­heits­schä­di­gungen leide. Der Beklagte lehnte den Antrag 2019 ab, weil Adoptionen nicht der verwal­tungs­recht­lichen Rehabilitierung unterlägen. Der Klage auf Rehabilitierung gemäß § 1 VwRehaG, hilfsweise - ohne Ansprüche auf Beschä­dig­ten­ver­sorgung - nach § 1 a VwRehaG, hat das Verwal­tungs­gericht nur hinsichtlich des Hilfsantrags stattgegeben. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Adoptionen unterliegen der verwal­tungs­recht­lichen Rehabilitierung

Der Beklagte ist verpflichtet, gemäß § 1 VwRehaG festzustellen, dass die Adoption des Klägers rechts­s­taats­widrig war. Diese Vorschrift ist auf Adoptionen in der ehemaligen DDR anwendbar mit der Maßgabe, dass bei Vorliegen der Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen an die Stelle der Aufhebung der Adoption die Feststellung ihrer Rechts­s­taats­wid­rigkeit tritt. Die im Einigungs­vertrag und im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen famili­en­recht­lichen Vorschriften (Art. 234 § 13 EGBGB i.V.m. §§ 1759 ff. BGB) regeln die Aufhebung von Adoptionen abschließend, stehen jedoch einer Rehabilitierung in sonstiger Weise nicht entgegen. Die Betroffenen von einer solchen Rehabilitierung und den mit ihr verbundenen Versor­gungs­ansprüchen auszuschließen, wäre auch vor dem Gleich­be­hand­lungsgebot nicht zu rechtfertigen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung des Klägers liegen vor.

DDR-Zwangs­a­d­op­tionen waren ein "Willkürakt"

Seine Adoption war mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar. Sie verstieß in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und stellt sich als Willkürakt im Einzelfall dar, weil sie sachfremden Zwecken diente. Nach den Feststellungen des Verwal­tungs­ge­richts war sie nicht - wie nach dem Familienrecht der DDR erforderlich - am Kindeswohl orientiert, sondern diente dazu, den Vater des Klägers zu disziplinieren. Außerdem sollte sie eine gemeinsame Ausreise verhindern. Ihre Folgen wirken noch unmittelbar schwer und unzumutbar fort. Der Kläger hat schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass seine fortwirkenden gesund­heit­lichen Beein­träch­ti­gungen wesentlich auf seine Adoption und seine Misshandlungen in der Adoptivfamilie zurückzuführen sind.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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