21.11.2024
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Dokument-Nr. 8670

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Beschluss06.10.2009Bundesverfassungsgericht2 BvR 693/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • IMR 2009, 428Zeitschrift: Immobilien- und Mietrecht (IMR), Jahrgang: 2009, Seite: 428
  • MDR 2010, 73Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2010, Seite: 73
  • MietRB 2009, 355Zeitschrift: Der Miet-Rechts-Berater (MietRB), Jahrgang: 2009, Seite: 355
  • NJ 2010, 246Zeitschrift: Neue Justiz (NJ), Jahrgang: 2010, Seite: 246
  • NJW 2010, 220Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 220
  • NJW-Spezial 2010, 34Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2010, Seite: 34
  • NZM 2010, 44Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2010, Seite: 44
  • WuM 2009, 757Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2009, Seite: 757
  • ZMR 2010, 206Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (ZMR), Jahrgang: 2010, Seite: 206
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss06.10.2009

Bundes­ver­fassungs­gericht: Wohnungs­ei­gentümer­gemeinschaft kann lautstarkem Besucher kein generelles Hausverbot erteilenHausverbot verletzt Eigentümerin in Grundrechten -Verfassungs­beschwerde wegen eines erteilten Hausverbots gegen Besucher einer Wohnungs­eigentümerin zulässig

Eine Wohnungs­ei­gentümer­gemeinschaft kann nicht per Gerichts­entscheidung ein Hausverbot gegen den Besucher einer Wohnungs­eigentümerin auszusprechen. Eine hier gegen gerichtete Verfassungs­beschwerde ist daher zulässig. Dies entschied das Bundes­ver­fassungs­gericht.

Die Wohnungs­ei­gen­tümerin und Beschwer­de­führerin ist an einer schizoaf­fektiven Psychose erkrankt, die mit Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten in Form von Weinen, Schreien und Hilferufen einhergeht. Mehrere der übrigen Wohnungseigentümer fühlen sich seit Jahren durch die Beschwer­de­führerin und ihren Lebensgefährten Herrn R. in ihrer Nachtruhe gestört. Sie fassten in einer Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ver­sammlung den Beschluss, Herrn R. ein Hausverbot zu erteilen. Die hiergegen von der Beschwer­de­führerin eingelegten Rechtsbehelfe blieben vor dem Amtsgericht Mainz und dem Landgericht Koblenz erfolglos. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin die Verletzung ihres Eigen­tums­grund­rechts.

Verfas­sungs­gericht hebt Gericht­s­ent­scheidung auf und weist Fall zurück an das Landgericht

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die angegriffenen Gericht­s­ent­schei­dungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht Koblenz zurückverwiesen. Die Entscheidungen werden den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen der Eigen­tums­ga­rantie nicht gerecht (Art. 14 Abs. 1 GG). Das Eigen­tums­grundrecht gibt dem Wohnungs­ei­gentümer die Befugnis, die Nutzung seines Wohnungs­ei­gentums aufgrund eigen­ver­ant­wort­licher Entscheidung selbst zu bestimmen. Das umfasst vor allem auch das Recht, darüber zu entscheiden, ob eine Überlassung der Nutzung an Dritte oder eine gemein­schaftliche Nutzung mit Dritten erfolgt.

Hausverbot unzulässig – Für Sondereigentum steht Eigentümerin das Hausrecht allein zu

Die Gerichte haben nicht verkannt, dass das Hausverbot im konkreten Fall nicht als Ausprägung des Hausrechts der Wohnungs­ei­gentümer zulässig ist. Denn es bezieht sich nicht nur auf den Aufenthalt im Gemeinschaftseigentum, zum Beispiel im Treppenhaus oder im Eingangsbereich, sondern auf das Sondereigentum der Beschwer­de­führerin. Für dieses steht ihr das Hausrecht allein zu.

Eingriff in das grundrechtlich geschützte Selbst­be­stim­mungsrecht von Gerichten nicht ausreichend beachtet

Das beschlossene Hausverbot stellt vielmehr die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung des Betretens und Verweilens in der Wohnung der Beschwer­de­führerin dar (§ 1004 BGB). Folgerichtig untersuchen die Gerichte deshalb, ob ein recht­fer­ti­gender Grund für ein solches Hausverbot vorliegt. Sie stellen bei ihrer Prüfung allerdings lediglich darauf ab, dass Herr R. die einzige Kontaktperson der psychisch erkrankten Beschwer­de­führerin sei und dass demgegenüber das Recht der übrigen Wohnungs­ei­gentümer auf ungestörte Nachtruhe schwerer wiege. Der Eingriff in das grundrechtlich geschützte Selbst­be­stim­mungsrecht der Beschwer­de­führerin hinsichtlich der Nutzung ihres Sondereigentums und der Bestimmung des Zutritts zu ihm wird von den Gerichten hingegen nicht berücksichtigt. Das Amtsgericht weist nur pauschal darauf hin, dass kein unzulässiger Eingriff in das Sondereigentum der Beschwer­de­führerin vorliege, weil eine störende Nutzungsart nicht vom Sondereigentum gedeckt sei. Von den Gerichten wird nicht erwogen, dass auch eine störende Nutzung im Hinblick auf die Eigen­tums­ga­rantie hinzunehmen sein kann.

Gericht versäumt Versuch, mit milderen Mitteln störendes Verhalten zu beseitigen

Die Gerichte haben zudem außer Acht gelassen, dass der Konflikt zwischen der für die Beschwer­de­führerin streitenden Eigen­tums­ga­rantie und dem ebenfalls durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Recht der übrigen Wohnungs­ei­gentümer auf ungestörte Nutzung ihres eigenen Wohnungs­ei­gentums nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz fallbezogen zu lösen ist. Er fordert, dass nicht eine der wider­strei­tenden Rechts­po­si­tionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Die fallbezogene Prüfung, ob der Ausspruch des Hausverbots zur Durchsetzung der Grundrechte der übrigen Eigentümer erforderlich war oder ob mildere Mittel ausgereicht hätten, das störende Verhalten zu beseitigen, haben die Gerichte aber nicht vorgenommen. Es ist nicht einmal ersichtlich, ob die Wohnungs­ei­gentümer Herrn R. zur Einhaltung der nächtlichen Ruhe aufgefordert haben. Erst wenn eine solche Aufforderung ohne Erfolg geblieben ist und aufgrund der psychischen Erkrankung der Beschwer­de­führerin andere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen, kann ein Hausverbot nach verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben in Betracht kommen, wobei dann eine Beschränkung auf die nächtliche Ruhezeit nahe liegt.

Wohnungs­ei­gentümer hatten kein Recht, Hausverbot auszusprechen

Dementsprechend geht einfach­rechtlich der Anspruch aus § 1004 BGB auch nur auf Unterlassung der Störung und nicht auf das Verbot eines bestimmten Verhaltens. Dem Störer muss grundsätzlich selbst überlassen bleiben, welche Mittel er einsetzt, um den Anspruch zu erfüllen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn lediglich eine konkrete Handlung oder Unterlassung geeignet ist, das störende Verhalten abzustellen. Die Wohnungs­ei­gentümer konnten Herrn R. deshalb grundsätzlich nur auf das Unterlassen unzumutbarer Lärmbe­läs­ti­gungen in Anspruch nehmen, nicht jedoch von ihm verlangen, die Wohnung der Beschwer­de­führerin nicht mehr zu betreten.

Quelle: ra-online, BVerfG

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