21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.12.2018

Anbieter eines E-Mail-Dienstes kann im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Überwachung zur Übermittlung von IP-Adressen verpflichtet werdenAuch daten­schutz­optimiertes Geschäftsmodell entbindet nicht von Einhaltung gesetzlicher Vorgaben

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass es nicht gegen das Grundgesetz verstößt, dass der Anbieter eines E-Mail-Dienstes im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Telekom­mu­ni­kations­überwachung verpflichtet ist, den Ermitt­lungs­be­hörden die Internet­protokoll­adressen (im Folgenden: IP-Adressen) der auf ihren Account zugreifenden Kunden auch dann zu übermitteln, wenn er seinen Dienst aus Daten­schutz­gründen so organisiert hat, dass er diese nicht protokolliert.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls betreibt einen E-Mail-Dienst, der mit einem besonders effektiven Schutz der Kundendaten wirbt und sich den Grundsätzen der Datensicherheit und der Daten­spar­samkeit verpflichtet sieht. Er erhebt und speichert Daten nur dann, wenn dies aus technischen Gründen erforderlich oder - aus seiner Sicht - gesetzlich vorgesehen ist. Die Staats­an­walt­schaft Stuttgart führte ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Betäu­bungs­mit­tel­gesetz und das Kriegs­waf­fen­kon­troll­gesetz. Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Staats­an­walt­schaft gemäß §§ 100a, 100b StPO in der damals geltenden Fassung die Sicherung, Spiegelung und Herausgabe aller Daten, die auf den Servern des Dienstes bezüglich des betreffenden E-Mail-Accounts elektronisch gespeichert sind, "sowie sämtlicher bezüglich dieses Accounts künftig anfallender Daten" an. Das Landes­kri­mi­nalamt gab dem Beschwer­de­führer die angeordnete Überwa­chungs­maßnahme sowie den zu überwachenden Account bekannt. Daraufhin richtete der Beschwer­de­führer die Telekommunikationsüberwachung ein, wies jedoch darauf hin, dass Verkehrsdaten der Nutzer nicht "geloggt" würden und solche Daten inklusive der IP-Adressen deshalb nicht zur Verfügung gestellt werden könnten, sie seien nicht vorhanden. Der Annahme der Staats­an­walt­schaft, die IP-Adressen seien beim Anbieter vorhanden, widersprach der Beschwer­de­führer unter Darstellung seiner Systemstruktur. Er trenne sein internes Netz über ein sogenanntes NAT-Verfahren (Network Address Translation), bei dem die Adress­in­for­ma­tionen in Datenpaketen automatisiert durch andere ersetzt würden, aus Sicher­heits­gründen strikt vom Internet ab. Die IP-Adressen der Kunden würden daher bereits an den Außengrenzen des Systems verworfen und seien dem Zugriff des Beschwer­de­führers entzogen. Mit Beschluss vom 9. August 2016 setzte das Amtsgericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 Euro, ersatzweise sieben Tage Ordnungshaft, gegen den Beschwer­de­führer fest. Aufgrund des Beschlusses vom 25. Juli 2016 sei der Beschwer­de­führer verpflichtet, zukünftig die Verkehrsdaten und insbesondere die IP-Adressen zu erheben. Das Landgericht verwarf die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 1. September 2016 als unbegründet. Im November 2016 teilte das Landes­kri­mi­nalamt dem Beschwer­de­führer mit, dass die Überwachung des Anschlusses abgeschaltet werden könne. Das Ordnungsgeld wurde schließlich bezahlt.

Eingriff in Schutzbereiche nach Maßgabe einschlägiger gesetzlicher Vorschriften gerechtfertigt

Soweit sich die Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Beschwer­de­ent­scheidung richtet, ist sie jedenfalls unbegründet. Zwar greift die Festsetzung des Ordnungsgeldes in die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung des Beschwer­de­führers ein. Die Annahme des Landgerichts, der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sei nach Maßgabe der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften gerechtfertigt, begegnet jedoch keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken.

Überwachung der Telekom­mu­ni­kation im Sinne von § 100 a StPO erfasst auch fragliche IP-Adressen

Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Je stärker in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird, desto deutlicher muss das gesetz­ge­be­rische Wollen zum Ausdruck kommen. Danach ist ein Grund­rechts­verstoß nicht ersichtlich. Die Fachgerichte haben die Vorschriften über die Mitwirkungs- und Vorhal­tungs­pflichten von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern in verfas­sungs­rechtlich vertretbarer Weise ausgelegt. Sie durften ohne Verfas­sungs­verstoß davon ausgehen, dass der Beschwer­de­führer verpflichtet war seinen Betrieb so zu gestalten, dass er den Ermitt­lungs­be­hörden die am überwachten Account vom Zeitpunkt der Anordnung an anfallenden externen IP-Adressen zur Verfügung stellen kann. Denn die Überwachung der Telekom­mu­ni­kation im Sinne von § 100 a StPO erfasst nicht nur die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte, sondern auch die näheren Umstände der Telekom­mu­ni­kation einschließlich der fraglichen IP-Adressen.

Zugriff auf E-Mail-Kommunikation fällt unstrittig in Anwen­dungs­bereich des § 100 a StPO

Die - verfas­sungs­konforme - Vorschrift des § 100 a StPO ermächtigt zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekom­mu­ni­kation. Vor dem Hintergrund des "weiten" Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­be­griffs unterfällt der Zugriff auf E-Mail-Kommunikation, jedenfalls soweit es sich um die Übertragung der Nachricht vom Gerät des Absenders über dessen Mailserver auf den Mailserver des E-Mail-Providers und um den späteren Abruf der Nachricht durch den Empfänger handelt, unstrittig dem Anwen­dungs­bereich des § 100 a StPO.

Überwachung der Telekom­mu­ni­kation gemäß § 100 a StPO betrifft auch anfallende IP-Adressen

Vom Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses nach Art. 10 Abs. 1 GG sind aber nicht nur die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte, sondern auch die näheren Umstände der Telekom­mu­ni­kation erfasst. Vor diesem Hintergrund betrifft die Überwachung der Telekom­mu­ni­kation gemäß § 100 a StPO auch die Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG, soweit diese im Rahmen der zu überwachenden Telekom­mu­ni­kation anfallen. Zu den Verkehrsdaten in diesem Sinne gehören auch und gerade die anfallenden IP-Adressen. Diese werden dementsprechend in § 96 Abs. 1 Satz 1 TKG als Nummern der beteiligten Anschlüsse oder Einrichtungen aufgeführt. Dynamische oder statische IP-Adressen, mit denen die Kunden eines Anbieters von E-Mail-Diensten mit ihren internetfähigen Endgeräten auf ihren E-Mail-Account zugreifen wollen, unterfallen daher grundsätzlich dem Anwen­dungs­bereich des § 100 a StPO.

Betreiber einer Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage muss nicht zwingend Maßnahmen zur möglichen Bereitstellung von Daten treffen

Der Umstand, dass die Überwachung des E-Mail-Verkehrs im Rahmen einer Anordnung nach § 100 a StPO auch die bezeichneten IP-Adressen umfasst, bedeutet allerdings nicht schon zwangsläufig, dass der Beschwer­de­führer als Betreiber einer Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage verpflichtet ist, Vorkehrungen zu treffen, um den Ermitt­lungs­be­hörden auch und gerade diese IP-Adressen zur Verfügung zu stellen. § 100 b Abs. 3 Satz 2 StPO a. F. verweist insoweit auf die Vorschriften des TKG und der TKÜV.

Auch Beschwer­de­führer unterliegt Vorhal­tungs­ver­pflichtung

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG besteht für Betreiber von öffentlich zugänglichen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diensten die Verpflichtung, ab dem Zeitpunkt der Betrie­b­s­aufnahme auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung vorzuhalten und die entsprechenden organi­sa­to­rischen Vorkehrungen für deren unverzügliche Umsetzung zu treffen. Die grundlegenden technischen Anforderungen und organi­sa­to­rischen Eckpunkte für die Umsetzung der Überwa­chungs­maß­nahmen regelt dabei die auf Grundlage der Ermächtigung in § 110 Abs. 2 TKG erlassene TKÜV. Danach unterliegt auch der Beschwer­de­führer der Vorhal­tungs­ver­pflichtung; dass die in § 3 Abs. 2 TKÜV vorgesehenen Ausnahmen für bestimmte Arten von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlagen eingreifen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Bei der Telekom­mu­ni­kation anfallende IP-Adressen sind als "Adres­sie­rungs­angaben" anzusehen

Der Umfang der bereit­zu­stel­lenden Daten bestimmt sich nach § 5 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 TKÜV. Gemäß § 5 Abs. 1 TKÜV besteht die zu überwachende Telekom­mu­ni­kation - dem weiten Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­begriff des § 100 a StPO entsprechend - aus dem Inhalt und den Daten über die näheren Umstände der Telekom­mu­ni­kation. Nach Absatz 2 der Vorschrift hat der Verpflichtete eine vollständige Kopie der Telekom­mu­ni­kation bereitzustellen, die über seine Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage abgewickelt wird. Als Teil dieser Überwa­chungskopie hat der Verpflichtete gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 4 TKÜV schließlich auch die bei ihm vorhandenen Daten über eine gewählte Rufnummer oder eine andere Adres­sie­rungs­angabe bereitzustellen. Nach dem Sprachgebrauch des TKG unterfallen die bei einer Telekom­mu­ni­kation anfallenden IP-Adressen dabei ohne weiteres dem Begriff "andere Adres­sie­rungs­angabe", denn sie dienen gerade der Adressierung, also dem Erreichen oder Auffinden eines bestimmten Ziels im Internet. So unterfallen IP-Adressen unstrittig der Legaldefinition des § 3 Nr. 13 TKG, wonach Nummern im Sinne des TKG Zeichenfolgen sind, die in Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­netzen Zwecken der Adressierung dienen.

Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage des Beschwer­de­führers sind IP-Adressen zumindest zeitweise bekannt

Es ist auch jedenfalls verfas­sungs­rechtlich vertretbar anzunehmen, die Daten seien beim Beschwer­de­führer vorhanden im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 TKÜV und von diesem als Teil der vollständigen Kopie der überwachten, über seine Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage abgewickelten Telekom­mu­ni­kation bereitzustellen. Schon aus der von ihm beschriebenen Systemstruktur ergibt sich, dass der Beschwer­de­führer die öffentlichen IP-Adressen seiner Kunden wenigstens für die Dauer der Kommunikation speichern muss, da er ansonsten die abgerufenen Datenpakete seinen Kunden gar nicht übersenden könnte. Jedenfalls fallen die Daten beim Zugriff auf den überwachten E-Mail-Account an, sind der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage des Beschwer­de­führers wenigstens zeitweise bekannt und werden von dieser auch zur Herstellung einer erfolgreichen Kommunikation mit dem anfragenden Kunden benutzt.

Die Überwachung der - künftigen - Telekom­mu­ni­kation gemäß § 100 a StPO ist - anders als die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100 g StPO - auch nicht auf die Verkehrsdaten beschränkt, die nach § 96 Abs. 1 TKG vom Diensteanbieter zulässigerweise erhoben werden dürfen.

Geschäfts- und Systemmodell des Beschwer­de­führers entbindet nicht von Auskunfts­pflicht

Dass der Beschwer­de­führer auf die externen IP-Adressen - derzeit - nicht zugreifen kann, steht dem nicht entgegen. Denn dies liegt nicht daran, dass die Daten an sich nicht vorhanden wären, sondern allein daran, dass sich der Beschwer­de­führer aus Daten­schutz­gründen dazu entschlossen hat, diese vor seinen internen Systemen zu verbergen und sie nicht zu protokollieren. Das ist indes allein dem vom Beschwer­de­führer bewusst gewählten Geschäfts- und Systemmodell geschuldet. Zwar erscheint das Anliegen des Beschwer­de­führers, ein daten­schut­z­op­ti­miertes und daher für viele Nutzer attraktives Geschäftsmodell anzubieten, auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich durchaus schützenswert. Dies kann ihn jedoch nicht von den im Rahmen einer vertretbaren Auslegung gewonnen Vorgaben des TKG und der TKÜV, die dem verfas­sungs­recht­lichen Erfordernis einer funkti­o­ns­tüchtigen Straf­rechts­pflege Rechnung tragen, entbinden.

Gesetzliche Neuregelungen haben nur klarstellende Funktion

Diesem Ergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, dass sich die bereit­zu­stel­lenden Daten nach der im Rahmen der Neube­kannt­machung der TKÜV vom 11. Juli 2017 neu eingefügten Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 TKÜV nunmehr ausdrücklich auch auf die der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage des Verpflichteten bekannten öffentlichen IP-Adressen der beteiligten Nutzer erstrecken. Denn diese Neuregelung lässt jedenfalls keinen verfas­sungs­rechtlich zwingenden Schluss darauf zu, dass die fraglichen IP-Adressen bislang aus dem Kreis der bereit­zu­stel­lenden Daten ausgenommen gewesen wären. Vielmehr kommt dem neu eingefügten § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 TKÜV ersichtlich eine klarstellende Funktion zu.

Entgegen der Auffassung des Beschwer­de­führers verdrängt § 100 g Abs. 1 StPO, soweit die (Echtzeit-)Überwachung künftiger Telekom­mu­ni­kation betroffen ist, die Vorschrift des § 100 a StPO nicht.

Gegen die Festsetzung des Ordnungsgeldes in Höhe von 500 Euro ist im konkreten Fall von Verfassungs wegen ebenfalls nichts zu erinnern.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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