18.10.2024
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Dokument-Nr. 21954

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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.11.2015

Verfassungs­beschwerde gegen Zustellung einer vor US-Gerichten erhobenen Klage in Deutschland ohne ErfolgRecht­schutz­bedürfnis für Verfas­sungs­­­be­schwerde nach Klageabweisung in den Vereinigten Staaten nicht mehr gegeben

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich ein deutsches Unternehmen gegen die Zustellung einer in den Vereinigten Staaten von Amerika erhobenen Schaden­s­er­satzklage wendet. Die Verfassungs­beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Oberlan­des­ge­richts Düsseldorf, das die Zustellung der Klage in Deutschland nach dem Haager Zustellungs­überein­kommen von 1965 als rechtskonform bestätigt hat. Das ursprüngliche Begehren der Beschwer­de­führerin hat sich erledigt, nachdem die Klage von den amerikanischen Gerichten - im Anschluss an die Entscheidung des U.S. Supreme Court im Fall Kiobel - rechtskräftig abgewiesen worden ist. Mit der Erledigung fehlt es am erforderlichen Recht­schutz­bedürfnis für die Verfassungs­beschwerde. Es liegt keine Fallkon­stel­lation vor, in der ein solches Interesse auch nach Erledigung ausnahmsweise verfassungs­rechtlich anzuerkennen wäre.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist eine Aktien­ge­sell­schaft, die international als Automo­bil­zu­lieferer und Rüstungskonzern tätig ist und unter anderem auch zwei Standorte in den USA unterhält. Im November 2002 wurde sie, neben weiteren multinationalen Konzernen, von einer Gruppe von südafri­ka­nischen Klägern mit einer Sammelklage vor einem Gericht der Vereinigten Staaten von Amerika auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu menschen­rechts­ver­let­zenden Maßnahmen des Apartheid-Regimes in Südafrika verklagt. Die Kläger stützten sich auf den Alien Tort Claims Act (ATCA), nach dem die Bundesgerichte eine originäre Zuständigkeit für Zivilklagen eines Ausländers über Delikte haben, die unter Verletzung des Völkerrechts oder eines Abkommens der Vereinigten Staaten begangen wurden.

Supreme Court weist Klage mangels Zuständigkeit der US-Bundesgerichte ab

Das angerufene Bundes­be­zirks­gericht ließ die Klage im April 2009 in eingeschränktem Umfang zu, behielt sich aber eine Entscheidung über die (auch internationale) Zuständigkeit und die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung ausdrücklich vor. Ein Berufungs­gericht setzte das Verfahren bis zur Entscheidung in dem beim U.S. Supreme Court bereits anhängigen Verfahren Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al. aus. Mit Urteil vom 17. April 2013 wies der Supreme Court die Kiobel-Klage mangels Zuständigkeit der US-Bundesgerichte ab. Eine Vermutung spreche gegen die extra­ter­ri­toriale Anwendung von Gesetzen (presumption against extra­ter­ri­to­riality), es sei denn, der Gesetzgeber hätte eine solche Anwendung ausdrücklich vorgesehen. Selbst wenn der Klageanspruch das Hoheitsgebiet der USA berühre, müsse der Inlandsbezug hinreichend stark sein, um die Vermutung gegen die extra­ter­ri­toriale Anwendung des ATCA zu widerlegen. Die Klage gegen die Beschwer­de­führerin wies das Bundes­be­zirks­gericht daraufhin im Dezember 2013 - inzwischen rechtskräftig - ab.

In Deutschland stellte das Amtsgericht Düsseldorf - auf Verfügung der Präsidentin des Oberlan­des­ge­richts Düsseldorf - die Klage im Juli 2003 zu. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel wies das Oberlan­des­gericht Düsseldorf mit Beschluss vom 22. Juli 2009 zurück. Dieser Beschluss ist Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.

Geltendmachung der Unwirksamkeit der Klagezustellung nach Klageabweisung in den Vereinigten Staaten nicht mehr möglich

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Verfas­sungs­be­schwerde für unzulässig. Das ursprüngliche Begehren der Beschwer­de­führerin hat sich erledigt. Nach der rechtskräftigen Klageabweisung in den Vereinigten Staaten fehlen der Beschwer­de­führerin sowohl das Interesse als auch die Möglichkeit, die Unwirksamkeit der Klagezustellung noch geltend zu machen. Mit der Erledigung fehlt es am erforderlichen Recht­schutz­be­dürfnis für die Aufrecht­er­haltung der Verfas­sungs­be­schwerde. Lediglich ausnahmsweise kann in Einzelfällen dennoch ein Recht­schutz­be­dürfnis zu bejahen sein. Dafür reicht die allein aus der Kosten­ent­scheidung herrührende Beschwer nicht aus. Vielmehr bejaht das Bundes­ver­fas­sungs­gericht den Fortbestand des Recht­schutz­be­dürf­nisses nur, wenn der Beschwer­de­führer unter dem Gesichtspunkt der Wieder­ho­lungs­gefahr ein anerken­nens­wertes Interesse an der Feststellung hat, dass die angegriffene Maßnahme nicht verfas­sungsgemäß war, wenn ein tiefgreifender und besonders schwerwiegender Grund­recht­s­eingriff vorlag oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfas­sungs­recht­lichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und ein schwerwiegender Grund­recht­s­eingriff gerügt wird. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Vergleichbare Klagen vor US-Bundesgerichten nicht mehr zu erwarten

Ein verfas­sungs­rechtlich anzuerkennendes Interesse der Beschwer­de­führerin an der Prüfung, ob der angegriffene Beschluss verfas­sungsgemäß war, ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Wieder­ho­lungs­gefahr. Die Annahme der Beschwer­de­führerin, sie werde in Zukunft in den Vereinigten Staaten von Amerika erneut gerichtlich in Anspruch genommen werden, ist durch nichts gestützt. Besprechungen der Kiobel-Entscheidung des US Supreme Court gehen übereinstimmend davon aus, dass die Anwendbarkeit des ATCA auf Konstellationen wie die hier vorliegende - Verfahren ausländischer Kläger gegen ausländische Beklagte wegen im Ausland begangener Verstöße gegen das Völkerrecht - künftig nicht mehr in Betracht kommt und entsprechende Klagen vor US-Bundesgerichten deshalb nicht mehr zu erwarten sind.

Gericht verneint schwerwiegenden Grund­recht­s­eingriff

Auch ein tiefgreifender und besonders schwerwiegender Grund­recht­s­eingriff liegt nicht vor. Hierunter fallen vornehmlich solche Eingriffe, die schon das Grundgesetz unter Richter­vor­behalt gestellt hat, beispielsweise die Wohnungs­durch­suchung oder die Abschiebehaft. Die - allein finanzielle Interessen der Beschwer­de­führerin gefährdende - Zustellung einer Klage ist hiermit nicht vergleichbar. Schließlich ist ein fortbestehendes Rechts­schut­z­in­teresse auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Klärung einer verfas­sungs­recht­lichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung anzunehmen. Gegen die Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Haager Zustel­lungs­über­ein­kommens, das mit Gesetz vom 22. Dezember 1977 Eingang in die deutsche Rechtsordnung gefunden hat, bestehen keine Bedenken, soweit es hier entschei­dungs­er­heblich ist. Ob die Zustellung einer im Ausland anhängigen Klage selbst dann mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip vereinbar wäre, wenn das mit der Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße, bedarf vorliegend keiner grundsätzlichen Klärung. Die Rechtsinstitute und Regelungen, die im amerikanischen Klageverfahren gegen die Beschwer­de­führerin zum Tragen kommen, begründen weder für sich genommen noch in Kumulation einen solchen offen­sicht­lichen Verstoß.

Auf Straf­scha­den­s­ersatz nach US-amerikanischem Recht gerichtete Klage verstößt nicht von vornherein gegen rechts­s­taatliche Grundsätze

Zu diesen Rechts­in­stituten hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in seiner Rechtsprechung teilweise bereits Stellung genommen: So hat es entschieden, dass eine auf Straf­scha­den­s­ersatz nach US-amerikanischem Recht (punitive or exemplary damages) gerichtete Klage nicht von vornherein gegen unverzichtbare rechts­s­taatliche Grundsätze verstößt. Dies gilt auch für die von deutscher Seite grundsätzlich zu respektierende rechts­po­li­tische Entscheidung, für deliktisches Handeln mit einer Vielzahl von Geschädigten Sammelklagen (class actions) zuzulassen, an denen sich das einzelne Mitglied der „class“ nicht beteiligen muss, solange auch im class action-Verfahren unabdingbare Vertei­di­gungs­rechte gewahrt bleiben. Auch ein Beweis- und Bewei­ser­mitt­lungs­ver­fahren zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung (pre-trial discovery) stellt nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts jedenfalls nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar.

Erhobene Klageforderung vorliegend nicht unbegründet

Die Respek­tie­rungs­pflicht könnte ihre Grenze zwar dort erreichen, wo das Verfahren vor den ausländischen Gerichten in einer offenkundig missbräuch­lichen Art und Weise genutzt wird. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die erhobene Klageforderung - jedenfalls in ihrer Höhe - offensichtlich keine Grundlage hat, dass der Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat oder dass erheblicher, auch publizistischer Druck aufgebaut wird, um die Beschwer­de­führerin in einen an sich ungerecht­fer­tigten Vergleich zu zwingen. Auch eine völker­rechtliche Verant­wort­lichkeit der Beschwer­de­führerin als juristischer Person des Privatrechts erscheint vorliegend nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach einer im völker­recht­lichen Schrifttum vertretenen Auffassung gibt es jedenfalls einen Kern menschen­recht­licher Grundpflichten, die auch die einzelne natürliche oder juristische Person des Privatrechts treffen und bei Verstößen sogar völker­rechtliche Sanktionen nach sich ziehen können. Dass ein solcher Verstoß auch eine zivilrechtliche Haftung auslösen kann, scheidet jedenfalls nicht von vornherein so eindeutig aus, dass bereits der Versuch, sie gerichtlich geltend zu machen, als Anhaltspunkt für einen offen­sicht­lichen Rechts­miss­brauch ausreichte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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