21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.02.2011

BVerfG: Anordnung einer Blutentnahme ohne Richter­vor­behalt führt nicht zwingend zum Beweis­ver­wer­tungs­verbotBlutun­ter­suchung darf bei Gefahr im Verzug auch durch Staats­an­walt­schaft oder Polizeibeamten angeordnet werden

Droht bei einer Polizei­kon­trolle eine Gefährdung des Unter­su­chungs­er­folges durch Verzögerung (Gefahr im Verzug), darf die Anordnung einer Blutentnahme zur Feststellung der Bluta­l­ko­hol­kon­zen­tration von der Staats­an­walt­schaft oder den ermittelnden Polizeibeamten getroffen werden. In der Regel steht dies aber gemäß § 81 a Abs. 2 StPO dem Richter zu (Richter­vor­behalt). Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor.

Im vorliegenden Fall sind in zwei miteinander verbundenen Verfahren die Beschwer­de­führer wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Polizeibeamte ordneten Blutentnahme an

Die Verurteilung stützte sich jeweils auf das Ergebnis der durch die ermittelnden Polizeibeamten vor Ort angeordneten Blutentnahme und -untersuchung, die eine Blutalkoholkonzentration im Bereich der absoluten Fahrun­tüch­tigkeit auswies.

Richter zur Erteilung der Anordnung nicht erreicht

Im ersten Verfahren hatte der Polizeibeamte des Funkstrei­fen­wagens an einem Sonnta­g­nach­mittag den Diensthabenden auf der Wache zuvor ersucht, einen richterlichen Beschluss zu erwirken. Als ihm von dort mitgeteilt wurde, dass ein Richter telefonisch nicht habe erreicht werden können, ordnete der Polizeibeamte vor Ort selbst die Blutentnahme an. Ob tatsächlich versucht worden war, einen Richter zu erreichen, konnte nicht geklärt werden, da der Vorgang nicht in den Akten dokumentiert war.

Kein nächtlicher Eildienst beim zuständigen AG

Im zweiten Verfahren hatte die Polizei an einem Sonntag gegen 4.30 Uhr nach erfolglosem Versuch, den staats­an­walt­schaft­lichen Bereit­schafts­dienst zu erreichen, die Blutentnahme angeordnet. Nach den gerichtlichen Feststellungen existierte kein nächtlicher richterlicher Eildienst bei dem zuständigen Amtsgericht.

Verfas­sungs­be­schwerde wegen Verletzung der Grundrechte

Mit den gegen ihre Verurteilung gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden rügen die Beschwer­de­führer eine Verletzung ihrer Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und auf ein faires und rechts­s­taat­liches Verfahren sowie auf körperliche Unversehrtheit. Die Entnahme einer Blutprobe ohne richterliche Anordnung habe in ihrem Fall zu einem Beweisverwertungsverbot geführt, d. h. das Ergebnis der Blutun­ter­suchung hätte der Verurteilung nicht als Beweismittel zugrunde gelegt werden dürfen.

Keine Annah­me­vor­aus­set­zungen vorliegend

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annah­me­vor­aus­set­zungen nicht vorliegen, die Beschwer­de­führer insbesondere nicht in ihren Grundrechten verletzt sind.

Keine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutzes erkennbar

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Ablehnung eines Beweis­ver­wer­tungs­verbots durch die Fachgerichte verletzt die Beschwer­de­führer nicht in ihrem Recht auf einen effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Nach gefestigter und willkürfreier Rechtsprechung der Strafgerichte ist dem Straf­ver­fah­rensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweis­er­he­bungs­vor­schriften ein straf­pro­zes­suales Verwer­tungs­verbot nach sich zieht, fremd. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot ist daher als Ausnahme nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen nach Abwägung der wider­strei­tenden Interessen im Einzelfall anzuerkennen, insbesondere bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder dem Vorliegen eines besonders schweren Verfah­rens­fehlers.

Fehlende Dokumentation führt nicht zu Verwer­tungs­verbot

Vor diesem Hintergrund ist es verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der straf­ge­richt­lichen Rechtsprechung eine fehlende Dokumentation allein nicht zu einem Verwer­tungs­verbot führt. Gleiches gilt für das Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereit­schafts­dienstes. In einem solchen Fall können die Strafgerichte darauf verweisen, dass die handelnden Polizeibeamten den Richtervorbehalt nicht willkürlich oder zielgerichtet umgehen. Auch die Nichter­reich­barkeit des staats­an­walt­schaft­lichen Bereit­schafts­dienstes führt nicht zu einem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Beweis­ver­wer­tungs­verbot. Da nach § 81 a StPO sowohl die Staats­an­walt­schaft als auch die ermittelnden Polizeibeamten bei Gefahr im Verzug die Befugnis zur Anordnung einer Blutentnahme haben, ist deren Ergebnis unabhängig von der einfach­recht­lichen Frage verwertbar, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Eilkompetenz vorrangig durch die Staats­an­walt­schaft wahrzunehmen ist.

Richter­vor­behalt keine verfas­sungs­rechtliche Vorgabe

Die Ablehnung eines Beweis­ver­wer­tungs­verbots verstößt auch nicht gegen das Recht auf ein faires und rechts­s­taat­liches Verfahren. Ein solcher Verstoß liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Der einfach­rechtliche Richter­vor­behalt des § 81 a Abs. 2 StPO beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, nicht auf einer zwingenden verfas­sungs­recht­lichen Vorgabe. Er gehört nicht zum Bereich des rechtsstaatlich Unverzichtbaren und stellt keinen so schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar, dass von Verfassungs wegen ein Richter­vor­behalt zu verlangen wäre. Daher kann ein Verstoß gegen den Richter­vor­behalt im nachfolgenden Strafverfahren nur im Einzelfall eine verfas­sungs­rechtliche Bedeutung erlangen, wenn eine willkürliche, den Fairness­grundsatz ignorierende Auslegung und Anwendung der maßgeblichen straf­pro­zes­sualen Vorschriften vorliegt. Hierfür sind in den vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte gegeben.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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