24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.05.2017

Verfassungs­beschwerde gegen Abschiebung nach Griechenland aufgrund unzureichender Sachaufklärung erfolgreichAsylbewerbe würde aufgrund Ausschlusses von Sozia­l­leis­tungen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einer Verfassungs­beschwerde stattgegeben, die sich gegen die Versagung von Eilrechtsschutz im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung eines Asylantrags und die Androhung der Abschiebung nach Griechenland richtete. Das Bundes­verfassungs­gericht verwies darauf, dass die fachge­richtliche Beurteilung der Aufnah­me­be­din­gungen in einem Drittstaat, jedenfalls wenn Anhaltspunkte für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegen und damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen muss. Soweit entsprechende Informationen im einstweiligen Recht­schutz­verfahren nicht vorliegen und nicht eingeholt werden können, ist es zur Sicherung effektiven Rechtschutzes geboten, Eilrechtsschutz zu gewähren.

Der syrische Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls reiste im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im Dezember 2015 einen Asylantrag. Im Rahmen einer Anhörung gab er an, ein bereits in Griechenland gestellter Asylantrag sei dort positiv beschieden worden. Allerdings habe er in Griechenland auf der Straße gelebt und keine Unterstützung vom griechischen Staat erhalten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte daraufhin den Asylantrag mit Hinweis auf die Schutzgewährung in Griechenland als unzulässig ab, woraufhin der Beschwer­de­führer Klage zum Verwal­tungs­gericht erhob. Den Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wies das Verwal­tungs­gericht ab. Aus den zugänglichen Quellen lasse sich nicht entnehmen, dass anerkannt Schutz­be­rechtigte in Griechenland systematisch schlechter behandelt würden als Inländer. Zudem habe sich die Situation für Flüchtlinge in den letzten Monaten deutlich verbessert. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügte der Beschwer­de­führer vornehmlich die Verletzung seines Rechts auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).

Verfah­rens­recht­licher Sachauf­klä­rungs­pflicht kommt bei Hinweisen auf unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verfas­sungs­recht­liches Gewicht zu

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Verfas­sungs­be­schwerde offensichtlich begründet ist. Die Verfah­rens­ge­währ­leistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gibt dem Bürger einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnah­me­be­din­gungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung geht, kommt der verfah­rens­recht­lichen Sachauf­klä­rungs­pflicht verfas­sungs­recht­liches Gewicht zu. Die fachge­richtliche Beurteilung dieser Frage muss, jedenfalls wenn Anhaltspunkte für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegen, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen. Dabei kann es geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Drittstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen. Soweit entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im einstweiligen Rechts­schutz­ver­fahren nicht vorliegen und nicht eingeholt werden können, ist es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts wird rechtlichen Vorgaben nicht gerecht

Die angegriffenen Entscheidungen werden diesen Vorgaben nicht gerecht. Die Schluss­fol­gerung des Verwal­tungs­ge­richts beruht im Wesentlichen auf der Annahme, dass die Situation des Beschwer­de­führers als anerkannter Schutz­be­rech­tigter in Griechenland anders zu bewerten sei als jene von Asylbewerbern; der Umstand, dass sich anerkannt Schutz­be­rechtigte auf eine Gleich­be­handlung mit Inländern berufen könnten, genüge den unions­recht­lichen Vorgaben.

Einzelfall hätte weiterer Feststellungen zur künftigen Situation vor Ort bedurft

Das Verwal­tungs­gericht setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen - nach den vom Beschwer­de­führer vorgelegten Erkenntnissen - an einen bis zu zwanzigjährigen legalen Aufenthalt anknüpfen, weshalb anerkannt Schutz­be­rechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen sind. Zudem bedarf es einer Ausein­an­der­setzung mit der Einschätzung, bei anerkannt Schutz­be­rech­tigten ebenso wie bei Asylbewerbern treffe die Annahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu, dass es sich hierbei um eine besonders verletzliche Gruppe handelt, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration in den Aufnahmestaat angewiesen ist. Es hätte daher im vorliegenden Einzelfall weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wie für nach Griechenland zurückgeführte anerkannt Schutz­be­rechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird. Eine Zusicherung seitens der griechischen Behörde, den Beschwer­de­führer zumindest für eine Übergangszeit unterzubringen, ist im vorliegenden Verfahren nicht abgegeben und von Bundesamt oder Bundesregierung - soweit ersichtlich - auch nicht angefordert worden. Vielmehr hat das Bundesamt in seinem Bescheid lediglich ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass Griechenland die einschlägigen Regelungen des EU-Rechts einhalte.

Bei einer erneuten Entscheidung wird das Verwal­tungs­gericht zu prüfen und berücksichtigen haben, inwieweit seit der Einführung allgemeiner Sozia­l­hil­fe­leis­tungen zum 1. Januar 2017 anerkannt Schutz­be­rech­tigten in Griechenland in der Praxis Zugang zu diesen effektiv offen steht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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