21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 7376

Drucken
Urteil03.02.2009Bundesverfassungsgericht2 BvL 54/06
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 122, 316Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 122, Seite: 316
  • NVwZ 2009, 641Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2009, Seite: 641
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Urteil03.02.2009

BVerfG: Abgabe an den Absatzfonds der Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft mit dem Grundgesetz nicht vereinbarDeutsche Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft nicht mehr auf staatlich organisierte Werbung angewiesen

Die von deutschen Agrarbetrieben und Bauern verlangte Sonderabgabe an den Absatzfonds der Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft ist nicht mit den Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Sonderabgaben seien nur in engen Grenzen möglich und müssten gegenüber den Steuern die Ausnahme bleiben. Die Abgabe sei eine unzulässige Sonderabgabe, da es an einer Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der deutschen Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft für die staatliche Absatzförderung fehle, urteilten die Richter.

Zur Absatzförderung der deutschen Land-und Ernäh­rungs­wirt­schaft gibt es seit 1969 den als Anstalt des öffentlichen Rechts nach dem Absatz­fonds­gesetz gegründeten Absatzfonds, der sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der "Centralen Marke­ting­ge­sell­schaft der deutschen Argra­r­wirt­schaft mbH" (CMA) und der "Zentralen Markt- und Preis­be­richt­stelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernäh­rungs­wirt­schaft GmbH" (ZMP) bedient. Die Finanzierung dieser Einrichtungen beruht im Wesentlichen auf Abgaben, die von bestimmten Betrieben der Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft erhoben werden. Diese Abgaben nach dem Absatz­fonds­gesetz waren bereits im Jahr 1990 Gegenstand der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (Beschluss vom 31. Mai 1990, BVerfGE 82, 159). Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht sah unter den damals gegebenen Voraussetzungen das Absatz­fonds­gesetz nur insoweit als verfassungswidrig an, als dieses die Forstwirtschaft in den Kreis der Abgaben­schuldner einbezog.

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat jetzt entschieden, dass die Regelungen des Absatz­fonds­ge­setzes zur Abgabenerhebung jedenfalls seit dem 1. Juli 2002 mit dem Grundgesetz (Art. 12 in Verbindung mit Art. 105 und Art. 110) unvereinbar und nichtig sind. Die Abgabe ist eine unzulässige Sonderabgabe, denn es fehlt an einer Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der deutschen Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft für die staatliche Absatzförderung.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Bei der Abgabe nach § 10 Absatz­fonds­gesetz handelt es sich um eine Sonderabgabe mit Finan­zie­rungs­funktion, die den strengen verfas­sungs­recht­lichen Zuläs­sig­keits­an­for­de­rungen an solche Sonderabgaben unterliegt. Diese Anforderungen erfüllt die Abgabe nach § 10 Absatz­fonds­gesetz nicht. Sie ist keine Steuer, denn sie wird nicht als Gemeinlast auferlegt; den Abgabe­pflichtigen wird vielmehr als einer bestimmten Gruppe von Wirtschafts­un­ter­nehmen wegen einer besonderen Nähe zu der zu finanzierenden Aufgabe eine spezielle Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung zugewiesen.

Sonderabgaben unterliegen strengen Grenzen

Sonderabgaben unterliegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts engen Grenzen und müssen gegenüber den Steuern seltene Ausnahmen bleiben. Der Gesetzgeber darf sich der Abgabe nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittel­be­schaffung hinausgeht. Als Adressat kommt nur eine homogene Gruppe in Betracht, die in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht und der deshalb eine besondere Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung zugerechnet werden kann. Das Abgaben­auf­kommen muss gruppennützig verwendet werden. Zusätzlich muss der Gesetzgeber im Interesse wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle die erhobenen Sonderabgaben haushalts­rechtlich vollständig dokumentieren.

Die streit­ge­gen­ständliche Abgabe ist eine unzulässige Sonderabgabe

Nach diesen Maßstäben stellt die Abgabe zum Absatzfonds eine verfas­sungs­rechtlich unzulässige Sonderabgabe dar, denn es fehlt ein recht­fer­ti­gender Zusammenhang zwischen Gruppen­ho­mo­genität und Sachnähe einerseits und einer spezifischen Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der Abgabe­pflichtigen für die Wahrnehmung der Aufgabe andererseits.

Es handelt sich bei dieser Abgabe nicht um eine Sonderabgabe, die bei der Zurechnung von Sonderlasten der Abgabe­pflichtigen an den Verur­sa­chungs­ge­danken anknüpft und ihre Rechtfertigung in einer Verant­wort­lichkeit für die Folgen gruppen­spe­zi­fischer Zustände oder Verhal­tens­weisen finden kann, sondern um eine zwangsweise durchgeführte Fördermaßnahme, zu deren Finanzierung die Gruppe der Abgabe­pflichtigen nur aus Gründen eines Nutzens herangezogen wird, den der Gesetzgeber dieser Gruppe zugedacht hat. Der Staat greift hier auf der Grundlage des Absatz­fonds­ge­setzes mit wirtschafts­po­litisch begründeten Förde­rungs­maß­nahmen gestaltend in die Wirtschafts­ordnung ein und weist den erst dadurch entstehenden Finan­zie­rungs­bedarf den mit der Abgabepflicht belasteten Unternehmen zu. Diese finanzielle Inanspruchnahme für die staatliche Aufga­ben­wahr­nehmung, die durch hoheitliche Entscheidung an die Stelle des individuellen unter­neh­me­rischen Handelns tritt, stellt sich aus der Sicht des Abgabe­pflichtigen nicht nur als eine recht­fer­ti­gungs­be­dürftige, zur Steuer hinzutretende Sonderbelastung, sondern auch als Verkürzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unter­neh­me­rischen Freiheit dar und bedarf auch insoweit besonderer Rechtfertigung. Für die nach dem Absatz­fonds­gesetz im Schwerpunkt entfalteten Werbemaßnahmen für Produkte der Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft tritt diese freiheits­be­schränkende Qualität der Abgabe besonders augenfällig in Erscheinung, denn die finanzielle Inanspruchnahme für solche Werbemaßnahmen kann auch als Schmälerung des eigenen unter­neh­me­rischen Werbeetats angesehen werden.

Keine ausreichende Rechtfertigung für die Sonderabgabe

Verfas­sungs­rechtlich zulässige agrar- und ernäh­rungs­po­li­tische Ziele sowie mögliche positive Effekte staatlicher Werbemaßnahmen für einen bestimmten Wirtschaftszweig reichen allein für einen greifbaren Gruppennutzen zur Rechtfertigung einer Finanzierung durch Sonderabgaben statt durch Steuern nicht aus. Dies gilt auch deshalb, weil es für die Vermutung eines Mehrwerts staatlich organisierter im Vergleich mit privat­wirt­schaft­licher Werbung keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt. Lässt sich eine Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der Abgabe­pflichtigen praktisch ausschließlich mit Blick auf Zweck und Wirkung staatlicher Förde­rungs­maß­nahmen zugunsten der belasteten Gruppe begründen, bestehen in Bezug auf die gruppennützige Verwendung erhöhte Anforderungen: Der Gruppennutzen muss evident sein. Dies kann zwar dann der Fall sein, wenn staatliche Förde­rungs­maß­nahmen erforderlich sind, um erhebliche Beein­träch­ti­gungen oder spezielle Nachteile, z.B. auch solche im transnationalen Wettbewerb, abzuwehren oder auszugleichen. An einer derartigen, das Absatz­fonds­gesetz ursprünglich tragenden Rechtfertigung fehlt es aber jedenfalls seit dem im Ausgangs­ver­fahren betroffenen Streitjahr 2002.

1990 war die deutsche Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft in einer anderen Situation

Während das Vorliegen abzuwehrender Nachteile im inner­ge­mein­schaft­lichen Wettbewerb bei der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts im Jahr 1990 noch in vertretbarer Weise angenommen werden konnte, hat sich die Situation der deutschen Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft seitdem so deutlich stabilisiert, dass von einem Erfordernis, erhebliche Beein­träch­ti­gungen der Wettbe­wer­bs­fä­higkeit der deutschen Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft durch staatlich organisierte Werbung abzuwehren, nicht mehr gesprochen werden kann.

Hinter­grund­wissen: CMA

Die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (CMA) ist eine deutsche Agrarmarketing-Organisation. Sie macht Werbung für Agrarprodukte und informiert über die Erzeugung und Verwendung von Lebensmitteln aus deutscher Produktion. Sie beabsichtigt damit ein Bewusstsein für den Wert dieser Produkte zu schaffen und zu fördern. Die CMA wurde 1970 gegründet und hat ihren Sitz in Bonn. Im Jahr 2008 beschäftigte sie ca. 175 Mitarbeiter.

Quelle: ra-online, BVerfG

der Leitsatz

Lässt sich eine Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der mit einer Sonderabgabe belasteten Abgabe­pflichtigen praktisch ausschließlich mit Blick auf Zweck und Wirkung staatlicher Förde­rungs­maß­nahmen zugunsten der belasteten Gruppe begründen, bestehen in Bezug auf die gruppennützige Verwendung erhöhte Anforderungen. Der durch die Abgabe zu finanzierende und die Abgabe rechtfertigende Gruppennutzen muss evident sein.

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil7376

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI