23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.09.2010

Solida­ri­täts­zu­schlag bleibt: Bundes­ver­fas­sungs­gericht weist Normen­kon­trol­lantrag zurückNormen­kon­trol­lantrag hinsichtlich des Solida­ri­täts­zu­schlags unzulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat einen Normen­kon­trol­lantrag im Zusammenhang mit der Erhebung des Solida­ri­täts­zu­schlags des Finanzgerichts Niedersachsen als unzulässig zurückgewiesen. Nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat sich das Finanzgericht zuvor nicht ausreichend mit der Rechtsprechung zum Wesen der Ergän­zungs­abgabe ausein­an­der­gesetzt.

Nach der im Jahr 2007 geltenden Fassung des Solida­ri­täts­zu­schlag­ge­setzes 1995 wird zur Einkommensteuer und zur Körper­schaft­steuer ein Solidaritätszuschlag von 5,5 % der Bemes­sungs­grundlage als Ergän­zungs­abgabe erhoben. In seiner Entscheidung vom 9. Februar 1972 hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht grundsätzlich zur Frage der verfas­sungs­recht­lichen Zulässigkeit von Ergän­zungs­abgaben Stellung genommen und u. a. entschieden, dass eine zeitliche Befristung nicht zum Wesen der Ergän­zungs­abgabe gehört. Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens wandte sich mit seiner Sprungklage vor dem Nieder­säch­sischen Finanzgericht gegen die Festsetzung des Solida­ri­täts­zu­schlags für den Veran­la­gungs­zeitraum 2007 durch das Finanzamt. Das Finanzgericht hat dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht im konkreten Normen­kon­troll­ver­fahren die Frage vorgelegt, ob das Solida­ri­täts­zu­schlag­gesetz vom 23. Juni 1993 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung verfas­sungs­widrig sei. Seine Auffassung von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des Gesetzes stützt das Finanzgericht im Wesentlichen darauf, dass die über mehr als ein Jahrzehnt andauernde Erhebung des Solida­ri­täts­zu­schlags mit der Vorstellung des Verfas­sungs­gebers von der Ergän­zungs­abgabe als nachrangiges, zeitlich beschränktes Finan­zie­rungs­mittel nicht vereinbar sei.

Nieder­säch­sisches Finanzgericht setzt sich mit Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht hinreichend auseinander

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist, weil sich das Nieder­säch­sische Finanzgericht mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Wesen der Ergän­zungs­abgabe nicht hinreichend ausein­an­der­gesetzt hat.

Gerichte müssen Bindungswirkung der verfas­sungs­ge­richt­lichen Entscheidungen beachten und sich mit den ihnen zugrunde liegenden tragenden Erwägungen ausein­an­der­setzen

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts über die Verfas­sungs­mä­ßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nur einholen, wenn es zuvor selbst ihre Verfas­sungs­mä­ßigkeit sorgfältig geprüft hat. Hierbei hat es insbesondere die Bindungswirkung der verfas­sungs­ge­richt­lichen Entscheidungen zu beachten und sich mit den ihnen zugrunde liegenden tragenden Erwägungen ausein­an­der­zu­setzen; hinsichtlich bereits entschiedener Rechtsfragen bestehen erhöhte Begrün­dungs­an­for­de­rungen.

BVerfG: Befristung der Abgabe von Verfassungs wegen nicht geboten

Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht. Zwar hat sich das Bundes­ver­fas­sungs­gericht mit der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Solida­ri­täts­zu­schlag­ge­setzes 1995 inhaltlich noch nicht ausein­an­der­gesetzt. Es hat jedoch im Rahmen seiner grundsätzlichen Stellungnahme zu den Voraussetzungen einer verfas­sungs­rechtlich zulässigen Ausgestaltung einer Ergän­zungs­abgabe entschieden, dass es von Verfassungs wegen nicht geboten ist, eine solche Abgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen ganz kurzen Zeitraum zu erheben.

Wesentliche Gesichtspunkte bei Entschei­dungs­be­gründung durch Finanzgericht außer Acht gelassen

Das Finanzgericht lässt wesentliche Gesichtspunkte in der Begründung dieser Entscheidung außer acht: Es vertritt die Ansicht, dass eine Finanzlücke allein durch auf Dauer angelegte Steue­r­er­hö­hungen, nicht aber durch die Fortführung einer Ergän­zungs­abgabe geschlossen werden dürfe. Dabei lässt es die Erwägung unberück­sichtigt, dass sich - wie bei den Beratungen zum Finanz­ver­fas­sungs­gesetz auch bedacht - aus der Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern auch für längere Zeit ein Mehrbedarf - allein - des Bundes ergeben kann und dass die Deckung eines solchen Mehrbedarfs durch eine Erhöhung der - auch den Ländern zustehenden - Einkommen- und Körper­schaft­steuer die Steuer­pflichtigen unnötig belasten und konjunk­tur­po­litisch unerwünscht sein kann, wenn eine Erhöhung der steuerlichen Gesamtbelastung vom Standpunkt der Länder nicht erforderlich ist. Das Finanzgericht hat in seinem Vorla­ge­be­schluss selbst festgestellt, dass mit dem Beitritt der einstigen DDR im Jahr 1990 ein großer, auf viele Jahre nicht absehbarer Finanzbedarf für den Bundeshaushalt eingetreten ist. Gleichwohl setzt es sich nicht mit der Frage auseinander, wieweit eine Erhöhung der Einkommen- und Körper­schaft­steuer mit Blick auf die Beteiligung der Länder am Steueraufkommen gegenüber der Erhebung des Solida­ri­täts­zu­schlags zur Deckung des ausschließ­lichen Mehrbedarfs des Bundes als eine vertretbare Alternative anzusehen sein könnte.

Ernsthafte Befris­tungs­versuche der Ergän­zungs­abgabe wurden während des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens zum Finanz­ver­fas­sungs­gesetz nicht angestellt

Des Weiteren übersieht das Finanzgericht, dass während des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens zum Finanz­ver­fas­sungs­gesetz keine ernsthaften Versuche angestellt wurden, eine Befristung der Ergän­zungs­abgabe einzuführen, obwohl der Bundesrat, um die Begrenzung der Ergän­zungs­abgabe der Höhe nach zu erreichen, den Vermitt­lungs­aus­schuss angerufen hatte.

These zum Wegfall des Solida­ri­täts­zu­schlags entbehrt verfas­sungs­rechtlich relevanter Begründung

Auch die These des Finanzgerichts, angesichts der in den letzten Jahren immer wieder erfolgten Steue­r­er­mä­ßi­gungen hätte der Solida­ri­täts­zu­schlag entfallen müssen, entbehrt einer verfas­sungs­rechtlich relevanten Begründung. Das Finanzgericht hat nicht berücksichtigt, dass - zur Sanierung der öffentlichen Haushalte - mit der Senkung der Steuersätze eine Verbreiterung der Bemes­sungs­grundlage verbunden war, die zu zahlreichen sachlichen und betragsmäßigen Einschränkungen des Betrie­bs­ausgaben- und Werbungs­kos­te­n­abzugs und somit zu einer Erhöhung der Steuerlast führte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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