Dokument-Nr. 19311
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.12.2014
Antrag im Organstreitverfahren zur Zeugenvernehmung von Edward Snowden unzulässigFraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scheitern mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht
Die Organklage der Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von 127 Bundestagsabgeordneten und zwei Ausschussmitgliedern gegen die Bundesregierung und den 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (sogenannter NSA-Untersuchungsausschuss) ist unzulässig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht. Die beanstandete Einschätzung der Bundesregierung zu rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung von Edward Snowden in Berlin ist lediglich vorläufig; sie stellt daher keine rechtserhebliche Maßnahme dar, die zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein könnte. Gegen die Ablehnung des Untersuchungsausschusses, die Vernehmung in Berlin durchzuführen, ist der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet. Der Antrag betrifft kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschussminderheit gegenüber dem Untersuchungsausschuss, sondern die verfahrensrechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, die dem Bundesgerichtshof zugewiesen ist.
Antragsteller sind die Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, 127 Bundestagsabgeordnete und zwei Mitglieder des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Antragsgegner sind die Bundesregierung und der Untersuchungsausschuss. Die Antragsteller machen im Wesentlichen geltend, die Bundesregierung habe in Schreiben vom 2. Mai 2014 und 2. Juni 2014 ihre - seither aufrecht erhaltene - Weigerung zum Ausdruck gebracht, die Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung von Edward Snowden in Berlin zu schaffen, und damit ihre Pflicht zur Unterstützung des Untersuchungsausschusses aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt (Antrag zu 1.). Der NSA-Untersuchungsausschuss habe durch die Ablehnung von Anträgen vom 25. Juni 2014 und vom 21. Juli 2004 sowie durch seine fortgesetzte Verhinderung der Ladung von Edward Snowden nach Berlin seine Pflicht aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt, dem Untersuchungsauftrag nachzukommen (Antrag zu 2.).
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Anträge für unzulässig.
Schreiben der Bundesregierung stellt nur erste Einschätzung und keine rechtserheblichen Maßnahmen dar
Mit dem Antrag zu 1. wenden sich die Antragsteller nicht gegen einen tauglichen Angriffsgegenstand, denn die beiden Schreiben der Bundesregierung vom 2. Mai 2014 und vom 2. Juni 2014 stellen keine rechtserheblichen Maßnahmen im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar. Die Einschätzungen der Bundesregierung in dem Schreiben vom 2. Mai 2014 sind nur vorläufiger Natur. Im Hinblick darauf, dass wesentliche Erkenntnisse zum relevanten Sachverhalt nicht vorlagen oder jedenfalls nicht gesichert waren, ist das Schreiben erkennbar lediglich als erste, nur in allgemeiner Form abgefasste Äußerung ohne Festlegung auf eine bestimmte Bewertung des bisher bekannten Sachverhalts gemeint. Dies betrifft etwa die Fragen, ob Edward Snowden im Besitz eines gültigen Passes ist und ob seitens der Behörden der Russischen Föderation eine Ausreise bewilligt oder eine Zustimmung der russischen Behörden zur Zeugenvernehmung vor Ort erteilt würde. Die Vorläufigkeit der Einschätzung ergibt sich auch daraus, dass der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt noch kein konkretes Amtshilfeersuchen des Untersuchungsausschusses vorlag.
Schreiben ist unverbindliche Stellungnahme
Im Übrigen handelt es sich lediglich um eine unverbindliche Stellungnahme. Bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Behandlung eines Amtshilfeersuchens entfaltet das Vorgehen der Bundesregierung keine rechtlich relevante Außenwirkung. Aus dem rein informatorischen Charakter des Schreibens folgt auch, dass verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Antragsteller nicht berührt werden.
Gleiches gilt für das Schreiben der Antragsgegnerin zu 1. vom 2. Juni 2014, in dem sie durch den Hinweis auf offene Sachverhaltsfragen erneut die Vorläufigkeit ihrer Einschätzung herausstellt.
Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet - Streitgegenständliche Anträgen sind keine Beweisanträge
Hinsichtlich des Antrags zu 2. ist der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet. Bei den streitgegenständlichen Anträgen vom 25. Juni 2014 und 21. Juli 2014 handelt es sich nicht um Beweisanträge, sondern um Verfahrensanträge zur Ausgestaltung der weiteren Arbeit des Untersuchungsausschusses. Formale Voraussetzung eines Beweisantrags ist auch im Untersuchungsausschussverfahren, dass das Beweismittel hinreichend präzise benannt und das Beweisthema hinreichend bestimmt ist; letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
Für Streitigkeiten nach dem Untersuchungsausschussgesetz zuständiges Gericht ist der Bundesgerichtshof
§ 36 Abs. 1 des Untersuchungsausschussgesetzes (PUAG) bestimmt, dass zuständiges Gericht für Streitigkeiten nach dem Untersuchungsausschussgesetz der Bundesgerichtshof ist, soweit Art. 93 GG sowie § 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz und die Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes nichts Abweichendes bestimmen. Dem Bundesgerichtshof ist insoweit keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit zugewiesen, sondern allein die verfahrensrechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, der Verlesung von Schriftstücken oder der Herausgabepflicht von Gegenständen. Das Organstreitverfahren zielt demgegenüber auf die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten von Verfassungsorganen in einem Verfassungsrechtsverhältnis. Ein Verfassungsrechtsverhältnis liegt vor, wenn auf beiden Seiten des Streits Verfassungsorgane oder Teile von Verfassungsorganen stehen und um diese verfassungsrechtliche Positionen streiten.
Bundesverfassungsgericht kann nicht im Wege des Organstreits angerufen werden
Vorliegend kann das Bundesverfassungsgericht nicht im Wege des Organstreits angerufen werden, da Gegenstand des Antrags nicht die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Grundgesetz ist. Die Antragsteller machen geltend, ihnen stehe ein Anspruch auf Bestimmung des Zeitpunktes und des Ortes der Zeugenvernehmung zu. Damit machen sie kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschussminderheit gegenüber dem Untersuchungsausschuss geltend. Nicht in Streit steht nämlich das aus Art. 44 Abs. 1 GG abzuleitende Beweiserzwingungs- und Beweisdurchsetzungsrecht der qualifizierten Minderheit im Ausschuss. Die Bestimmung des Vernehmungsortes und des Zeitpunktes der Vernehmung betrifft vielmehr die Modalitäten des Vollzugs eines bereits ergangenen Beweisbeschlusses. Über derartige Verfahrensabläufe entscheidet grundsätzlich die jeweilige Ausschussmehrheit nach Maßgabe der §§ 17 ff. PUAG und der sinngemäß anwendbaren Vorschriften der Strafprozessordnung. Ihre Verfahrensherrschaft ist durch das Recht der qualifizierten Minderheit auf angemessene Beteiligung begrenzt. Nachdem dem Antrag auf Zeugenvernehmung von Edward Snowden seitens des Untersuchungsausschusses durch Erlass eines Beweisbeschlusses entsprochen wurde, ist auch dieses Beteiligungsrecht der qualifizierten Minderheit nicht streitgegenständlich. Kern der Auseinandersetzung ist die Klärung der einfachrechtlichen Frage, ob und wie zur Erreichung des Aufklärungszwecks eine unmittelbare Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuss vorzunehmen ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.12.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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