21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 19311

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss04.12.2014

Antrag im Organ­streit­verfahren zur Zeugen­ver­nehmung von Edward Snowden unzulässigFraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scheitern mit Klagen vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Die Organklage der Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von 127 Bundes­tags­abgeordneten und zwei Aus­schuss­mit­gliedern gegen die Bundesregierung und den 1. Untersuchungs­aus­schuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (sogenannter NSA-Untersuchungs­aus­schuss) ist unzulässig. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Die beanstandete Einschätzung der Bundesregierung zu rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Zeugen­ver­nehmung von Edward Snowden in Berlin ist lediglich vorläufig; sie stellt daher keine recht­s­er­hebliche Maßnahme dar, die zulässiger Gegenstand eines Organ­streit­verfahrens sein könnte. Gegen die Ablehnung des Untersuchungs­aus­schusses, die Vernehmung in Berlin durchzuführen, ist der Rechtsweg zum Bundes­verfassungs­gericht nicht eröffnet. Der Antrag betrifft kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschuss­min­derheit gegenüber dem Untersuchungs­aus­schuss, sondern die verfahrens­recht­liche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, die dem Bundes­ge­richtshof zugewiesen ist.

Antragsteller sind die Fraktionen DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, 127 Bundes­tags­ab­ge­ordnete und zwei Mitglieder des 1. Unter­su­chungs­aus­schusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Antragsgegner sind die Bundesregierung und der Unter­su­chungs­aus­schuss. Die Antragsteller machen im Wesentlichen geltend, die Bundesregierung habe in Schreiben vom 2. Mai 2014 und 2. Juni 2014 ihre - seither aufrecht erhaltene - Weigerung zum Ausdruck gebracht, die Voraussetzungen für eine Zeugen­ver­nehmung von Edward Snowden in Berlin zu schaffen, und damit ihre Pflicht zur Unterstützung des Unter­su­chungs­aus­schusses aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt (Antrag zu 1.). Der NSA-Unter­su­chungs­aus­schuss habe durch die Ablehnung von Anträgen vom 25. Juni 2014 und vom 21. Juli 2004 sowie durch seine fortgesetzte Verhinderung der Ladung von Edward Snowden nach Berlin seine Pflicht aus Art. 44 Abs. 1 GG verletzt, dem Unter­su­chungs­auftrag nachzukommen (Antrag zu 2.).

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Anträge für unzulässig.

Schreiben der Bundesregierung stellt nur erste Einschätzung und keine recht­s­er­heb­lichen Maßnahmen dar

Mit dem Antrag zu 1. wenden sich die Antragsteller nicht gegen einen tauglichen Angriffs­ge­genstand, denn die beiden Schreiben der Bundesregierung vom 2. Mai 2014 und vom 2. Juni 2014 stellen keine recht­s­er­heb­lichen Maßnahmen im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar. Die Einschätzungen der Bundesregierung in dem Schreiben vom 2. Mai 2014 sind nur vorläufiger Natur. Im Hinblick darauf, dass wesentliche Erkenntnisse zum relevanten Sachverhalt nicht vorlagen oder jedenfalls nicht gesichert waren, ist das Schreiben erkennbar lediglich als erste, nur in allgemeiner Form abgefasste Äußerung ohne Festlegung auf eine bestimmte Bewertung des bisher bekannten Sachverhalts gemeint. Dies betrifft etwa die Fragen, ob Edward Snowden im Besitz eines gültigen Passes ist und ob seitens der Behörden der Russischen Föderation eine Ausreise bewilligt oder eine Zustimmung der russischen Behörden zur Zeugen­ver­nehmung vor Ort erteilt würde. Die Vorläufigkeit der Einschätzung ergibt sich auch daraus, dass der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt noch kein konkretes Amtshil­fe­er­suchen des Unter­su­chungs­aus­schusses vorlag.

Schreiben ist unverbindliche Stellungnahme

Im Übrigen handelt es sich lediglich um eine unverbindliche Stellungnahme. Bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Behandlung eines Amtshil­fe­er­suchens entfaltet das Vorgehen der Bundesregierung keine rechtlich relevante Außenwirkung. Aus dem rein infor­ma­to­rischen Charakter des Schreibens folgt auch, dass verfas­sungs­rechtlich garantierte Rechte der Antragsteller nicht berührt werden.

Gleiches gilt für das Schreiben der Antragsgegnerin zu 1. vom 2. Juni 2014, in dem sie durch den Hinweis auf offene Sachver­halts­fragen erneut die Vorläufigkeit ihrer Einschätzung herausstellt.

Rechtsweg zum Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht eröffnet - Streit­ge­gen­ständliche Anträgen sind keine Beweisanträge

Hinsichtlich des Antrags zu 2. ist der Rechtsweg zum Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht eröffnet. Bei den streit­ge­gen­ständ­lichen Anträgen vom 25. Juni 2014 und 21. Juli 2014 handelt es sich nicht um Beweisanträge, sondern um Verfah­rens­anträge zur Ausgestaltung der weiteren Arbeit des Unter­su­chungs­aus­schusses. Formale Voraussetzung eines Beweisantrags ist auch im Unter­su­chungs­aus­schuss­ver­fahren, dass das Beweismittel hinreichend präzise benannt und das Beweisthema hinreichend bestimmt ist; letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

Für Streitigkeiten nach dem Unter­su­chungs­aus­schuss­gesetz zuständiges Gericht ist der Bundes­ge­richtshof

§ 36 Abs. 1 des Unter­su­chungs­aus­schuss­ge­setzes (PUAG) bestimmt, dass zuständiges Gericht für Streitigkeiten nach dem Unter­su­chungs­aus­schuss­gesetz der Bundes­ge­richtshof ist, soweit Art. 93 GG sowie § 13 Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts­gesetz und die Vorschriften des Unter­su­chungs­aus­schuss­ge­setzes nichts Abweichendes bestimmen. Dem Bundes­ge­richtshof ist insoweit keine verfas­sungs­rechtliche Zuständigkeit zugewiesen, sondern allein die verfah­rens­rechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, der Verlesung von Schriftstücken oder der Heraus­ga­be­pflicht von Gegenständen. Das Organ­streit­ver­fahren zielt demgegenüber auf die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten von Verfas­sungs­organen in einem Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis. Ein Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis liegt vor, wenn auf beiden Seiten des Streits Verfas­sungs­organe oder Teile von Verfas­sungs­organen stehen und um diese verfas­sungs­rechtliche Positionen streiten.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann nicht im Wege des Organstreits angerufen werden

Vorliegend kann das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht im Wege des Organstreits angerufen werden, da Gegenstand des Antrags nicht die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Grundgesetz ist. Die Antragsteller machen geltend, ihnen stehe ein Anspruch auf Bestimmung des Zeitpunktes und des Ortes der Zeugen­ver­nehmung zu. Damit machen sie kein in Art. 44 Abs. 1 GG wurzelndes Recht der Ausschuss­min­derheit gegenüber dem Unter­su­chungs­aus­schuss geltend. Nicht in Streit steht nämlich das aus Art. 44 Abs. 1 GG abzuleitende Bewei­ser­zwingungs- und Beweis­durch­set­zungsrecht der qualifizierten Minderheit im Ausschuss. Die Bestimmung des Verneh­mungsortes und des Zeitpunktes der Vernehmung betrifft vielmehr die Modalitäten des Vollzugs eines bereits ergangenen Beweis­be­schlusses. Über derartige Verfah­rens­a­bläufe entscheidet grundsätzlich die jeweilige Ausschuss­mehrheit nach Maßgabe der §§ 17 ff. PUAG und der sinngemäß anwendbaren Vorschriften der Straf­pro­zess­ordnung. Ihre Verfah­rens­herr­schaft ist durch das Recht der qualifizierten Minderheit auf angemessene Beteiligung begrenzt. Nachdem dem Antrag auf Zeugen­ver­nehmung von Edward Snowden seitens des Unter­su­chungs­aus­schusses durch Erlass eines Beweis­be­schlusses entsprochen wurde, ist auch dieses Betei­li­gungsrecht der qualifizierten Minderheit nicht streit­ge­gen­ständlich. Kern der Ausein­an­der­setzung ist die Klärung der einfach­recht­lichen Frage, ob und wie zur Erreichung des Aufklä­rungs­zwecks eine unmittelbare Einvernahme vor dem Unter­su­chungs­aus­schuss vorzunehmen ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss19311

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI