14.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil04.07.2007

BVerfG: Abgeordnete müssen Nebeneinkünfte offenlegenNeun Bundes­tags­ab­ge­ordnete scheitern mit ihrer Organklage

Wenn Bundes­tags­ab­ge­ordnete Nebeneinkünfte von mehr als 1000,- EUR haben, müssen sie künftig öffentlich darüber informieren, wie viel Geld sie nebenher verdienen und woher dieses Geld kommt. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Neun Abgeordnete, die gegen diese im Jahre 2005 eingeführte Regelung vorgehen wollten, scheiteten mit ihrer Organklage (= verfas­sungs­rechtliche Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten oberster Verfas­sungs­organe oder ihrer Mitglieder).

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Anträge von neun Bundes­tags­ab­ge­ord­neten* (siehe Namensliste am Ende) zurückgewiesen. Diese hatten sich im Wege der Organklage gegen § 44 a Abs. 1 Abgeord­ne­ten­gesetz, wonach die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Deutschen Bundestages steht, sowie gegen die Verpflichtung zur Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte gewandt. Die Anträge sind, soweit sie die Mittel­punkt­re­gelung zum Gegenstand haben, nach im Ergebnis überein­stim­mender Ansicht des Senats unbegründet.

Soweit sich die Abgeordneten gegen Anzei­ge­pflichten und die Veröf­fent­lichung von Angaben über Tätigkeiten neben dem Mandat sowie gegen die Sanktionierung von Verstößen wenden, sind die Anträge nach Auffassung der Richterinnen und Richter Broß, Osterloh, Lübbe-Wolff und Gerhardt unbegründet. Nach Auffassung der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau müssten die Anträge Erfolg haben. Da bei Stimmen­gleichheit ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden kann (§ 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG), hatten die Anträge keinen Erfolg.

Rechtlicher Hintergrund:

Die Antragsteller* (siehe Namensliste am Ende) sind Mitglieder des 16. Deutschen Bundestages. Daneben sind sie als Rechtsanwälte, als Diplom-Wirtschaft­s­in­genieur und mittel­stän­discher Unternehmer bzw. als selbständiger Handels­ver­treter tätig. Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die am 18. Oktober 2005 in Kraft getretenen Neuregelungen über

- die Ausübung des Mandats des Bundes­tags­ab­ge­ordneten (§ 44 a Abs. 1 Abgeord­ne­ten­gesetz)

- die Anzeige und Veröf­fent­lichung von neben dem Mandat ausgeübten Tätigkeiten und den dabei erzielten Einkünften (§§ 44 a Abs. 4 Satz 1, 44b AbgG i.V.m. §§ 1 und 3 der Verhal­tens­regeln)

- einschließlich der vom Bundes­tags­prä­si­denten am 30. Dezember 2005 erlassenen Ausfüh­rungs­be­stim­mungen (Nr. 3 und Nr. 8) und der für den Fall der Nichtbeachtung vorgesehenen Sanktionen (§§ 44 a Abs. 4 Sätze 2 bis 5, 44b Nr. 5 AbgG i.V.m. § 8 Verhal­tens­regeln) mit dem verfas­sungs­recht­lichen Status des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG, hilfsweise mit den Grundrechten auf informationelle Selbst­be­stimmung und auf Berufsfreiheit vereinbar sind.

Vorbringen der Antragsteller:

1. Die Pflicht zur Offenlegung sämtlicher Einkünfte (§§ 44 a Abs. 4 Satz 1, 44b AbgG i.V.m. §§ 1 und 3 der Verhal­tens­regeln) habe Auswirkungen auf die Bereitschaft der unter­schied­lichsten Berufsgruppen, sich um ein Mandat zu bewerben. Vor allem für Unternehmer, Freiberufler und sonstige Selbständige könne dies unattraktiv werden. Daraus resultierten mittelbar Rückwirkungen auf die vom Grundgesetz vorausgesetzte pluralistische Zusammensetzung des Bundestages. Die Regelungen hätten eine faktische Zugangssperre für Unternehmer, Freiberufler und sonstige Selbständige zur Folge und griffen ohne jede Rechtfertigung in den Status der Freiheit des Abgeordneten ein. Die Regelungen verstießen gegen den Vorrang des Parla­ments­ge­setzes und das Bestimmt­heitsgebot. Sie verletzten darüber hinaus die Vertraulichkeit der Beziehung von Anwalt und Mandant und seien letztlich unbegrenzt.

2. Auch die Veröf­fent­lichung der angezeigten Angaben im Amtlichen Handbuch und auf den Internetseiten des Deutschen Bundestages nach dem Stufenmodell (vgl. § 3 Sätze 2 bis 5 Verhal­tens­regeln; Stufe 1: monatliche Einkünfte von 1000 bis 3500 Euro; Stufe 2: bis 7000 Euro; Stufe 3: über 7000 Euro) sei verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten werde nicht durch Einkünfte gefährdet, die er aus einer neben dem Mandat fortgeführten Tätigkeit in einem bereits vor der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ausgeübten Beruf erziele. Das gewählte Modell sei im Übrigen auch zur Erreichung der Zwecke ungeeignet, zum einen, weil es ausschließlich auf die Bruttoeinkünfte abstelle, zum anderen, weil es durch gesell­schafts­rechtliche Gestaltungen umgangen werden könne. Dessen ungeachtet seien die getroffenen Regelungen für Abgeordnete wie die Antragsteller unzumutbar. Selbständige und freiberuflich Tätige würden bewusst vor die Wahl gestellt, sich zwischen dem Mandat und der Fortsetzung der bisher ausgeübten Berufstätigkeit zu entscheiden.

3. Die in § 44 Abs. 1 AbgG getroffene Regelung, nach der die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten stehe, greife ohne verfas­sungs­rechtliche Rechtfertigung in die durch den Status der Freiheit geprägte Rechtsstellung des Abgeordneten ein. Der Gesetzgeber wirke in den Kernbereich der Selbst­de­fi­nition parla­men­ta­rischer Tätigkeit ein, wenn er den Abgeordneten vorgebe, wie viel Zeit sie für ihr Mandat zu verwenden hätten.

4. Mit dem Status des Abgeordneten unvereinbar seien ferner auch die für den Fall der Nichterfüllung der Anzeige- und Veröf­fent­li­chungs­pflichten vorgesehenen Sankti­o­ns­re­ge­lungen (§§ 44 a Abs. 4 Sätze 2 bis 5, 44b Nr. 5 AbgG i.V.m. § 8 Verhal­tens­regeln).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

A. Mittel­punkt­re­gelung

I. Nach Auffassung der Richterinnen und Richter Broß, Osterloh, Lübbe-Wolff und Gerhardt zeichnet die Mittel­punkt­re­gelung eine schon im Grundgesetz angelegte Pflicht des Abgeordneten zutreffend nach und ist deshalb nicht zu beanstanden.

Mit der Freiheit des Mandats (Art. 38 Abs. 1 GG) sind nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten verbunden, deren Reichweite durch das Gebot, die Repräsentations- und Funkti­o­ns­fä­higkeit des Parlaments zu wahren, bestimmt und begrenzt wird. Zu den Pflichten eines Abgeordneten gehört es, dass er in einer Weise und einem Umfang an den parla­men­ta­rischen Aufgaben teilnimmt, die deren Erfüllung gewährleistet. Dabei verlangt die parla­men­ta­rische Demokratie einer höchst komplizierten Wirtschafts- und Indus­trie­ge­sell­schaft vom Abgeordneten mehr als nur eine ehrenamtliche Nebentätigkeit. Vielmehr fordert sie den ganzen Menschen, der allenfalls unter günstigen Umständen neben seiner Abgeord­ne­ten­tä­tigkeit noch versuchen kann, seinem Beruf nachzugehen. Nur der Umstand, dass die Abgeordneten bei pflichtgemäßer Wahrnehmung ihres Mandats auch zeitlich in einem Umfang in Anspruch genommen sind, der es in der Regel unmöglich macht, daneben den Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, rechtfertigt den Anspruch, dass ihnen ein voller Lebensunterhalt aus Steuermitteln, die die Bürger aufbringen, finanziert wird.

Die Annahme der Antragsteller, ein freiberuflich oder unternehmerisch tätiger Abgeordneter entspreche in besonderer Weise dem verfas­sungs­recht­lichen Leitbild des unabhängigen Abgeordneten, ist ohne tragfähige Grundlage. Bereits Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG geht davon aus, dass die Unabhängigkeit des Abgeordneten durch die ihm zustehende Entschädigung ausreichend gesichert wird. Vor allem aber zielt die Verfassungsnorm des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, indem sie den Abgeordneten zum Vertreter des ganzen Volkes bestimmt und ihn in dieser Eigenschaft für weisungsfrei und nur seinem Gewissen unterworfen erklärt, auch auf Unabhängigkeit von Inter­es­sen­gruppen. Dabei geht es nicht zuletzt um Unabhängigkeit von Interessenten, die ihre Sonde­r­in­teressen im Parlament mit Anreizen durchzusetzen suchen, die sich an das finanzielle Eigeninteresse von Abgeordneten wenden. Die Wahrung der Unabhängigkeit der Abgeordneten nach dieser Seite hin hat besonders hohes Gewicht; denn hier geht es - anders als der Einfluss der Parteien und Fraktionen im Prozess der politischen Willensbildung - um die Unabhängigkeit gegenüber Einwirkungen, die nicht durch Entscheidungen des Wählers vermittelt sind. Sowohl Angestell­ten­ver­hältnisse im Bereich der freien Berufe als auch die freien Berufe selbst bieten vielfältige Möglichkeiten, politischen Einfluss durch ein Bundes­tags­mandat für die außerhalb des Mandats ausgeübte Berufstätigkeit gewinnbringend zu nutzen, und gerade von dieser Möglichkeit gehen besondere Gefahren für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung und die Bereitschaft, das Mandat in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu stellen.

Daher durfte der Gesetzgeber das verfas­sungs­rechtliche Leitbild des Abgeordneten in dem Sinne nachzeichnen, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages steht. Die Bestimmung soll die Wertigkeit der verfas­sungs­recht­lichen Pflicht des Abgeordneten verdeutlichen, die in der Vertretung des ganzen Volkes besteht und neben der die Ausübung von Neben­tä­tig­keiten neben dem Mandat in den Hintergrund tritt.

II. Nach Auffassung der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau ist die Mittel­punkt­re­gelung nur in der gebotenen verfas­sungs­kon­formen Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.

Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG repräsentiert der Abgeordnete gemeinsam mit der Gesamtheit der Mitglieder des Parlaments das Volk. In der Gesellschaft verankert, sollen Abgeordnete den Willen der Wähler aufnehmen und ihm in der staatlichen Sphäre zur Geltung verhelfen. Zur Verwurzelung des Abgeordneten in der Gesellschaft zählt auch die Freiheit zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit während des Mandats. Dies entspricht dem traditionellen Bild des Abgeordneten. Erst die Möglichkeit, trotz der Übernahme eines Mandats weiter seinem Beruf in grundsätzlich nicht eingeschränktem Umfang nachzugehen, gibt dem einzelnen Abgeordneten auch faktisch die Freiheit, sein Mandat allein nach seinem Gewissen auszuüben, ohne im Hinblick auf die Chancen seiner Wiederwahl und eine damit verbundene Sicherung seines Einkommens übermäßig Rücksicht auf etwaige Erwartungen seiner Partei, sonstiger einflussreicher Inter­es­sen­gruppen oder auch der Medien nehmen zu müssen. Auch Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach niemand gehindert werden darf, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben, setzt ein Nebeneinander von Abgeord­ne­ten­tä­tigkeit und Beruf voraus. Die Regelung erschöpft sich nicht darin, der Übernahme und Ausübung des Mandats aus dem beruflichen Bereich des Abgeordneten keine Hindernisse erwachsen zu lassen; vielmehr zielt sie darauf ab, dem Abgeordneten im Rahmen des Möglichen die Chance zu geben, Mandat und Beruf miteinander zu verbinden.

Im Interesse der Funkti­o­ns­fä­higkeit des Parlaments verlangt die Freiheit des Mandats allerdings einen verant­wort­lichen Umgang des Abgeordneten mit dieser Freiheit. Mit der Freiheit des Mandats wäre es aber unvereinbar, die getroffene Mittel­punkt­re­gelung dahin auszulegen, dass der Abgeordnete eine bestimmte Arbeitszeit schuldet und diese gegenüber dem Bundes­tags­prä­si­denten oder einer Verwaltung mit der Folge nachzuweisen hätte, dass daran Sanktionen geknüpft werden könnten. Wer freie Abgeordnete will, muss auch ein Mindestmaß an Vertrauen aufbringen, dass die vom Volk Gewählten ganz überwiegend mit Umsicht und verantwortlich mit ihrer Freiheit umgehen. Gegen den verfas­sungs­rechtlich festgelegten Status des freien Mandats wird verstoßen, wenn sich der Gesetzgeber und die parla­men­ta­rische Selbstkontrolle nicht auf die gezielte Verfolgung des Missbrauchs beschränken, sondern flächendeckende Kontroll- und Publi­ka­ti­o­ns­systeme einführen, die sich von schonenden und anlassbezogenen Eingriffen entfernen.

Die Mittel­punkt­re­gelung ist daher in verfas­sungs­kon­former Auslegung nicht als Grundlage für eine Kontrolle einer wie auch immer gearteten "ordnungsgemäßen" Mandats­wahr­nehmung und für eine zeitliche Beschränkung von Neben­tä­tig­keiten zu verstehen. Vielmehr greift die Vorschrift lediglich die Erwartung auf, die für den Abgeordneten als Teil des Reprä­sen­ta­ti­o­ns­organs Bundestag von Seiten der zu reprä­sen­tie­renden Bürger besteht: nämlich das Mandat in Freiheit, aber auch in einer seiner Stellung entsprechenden Verantwortung für das Gemeinwesen auszuüben.

B. Anzeige- und Veröf­fent­li­chungs­pflichten, Sanktionierung von Verstößen

I. Soweit sich die Antragsteller gegen Anzei­ge­pflichten und die Veröf­fent­lichung von Angaben über Tätigkeiten neben dem Mandat sowie gegen die Sanktionierung von Verstößen wenden, sind die Anträge nach der die Entscheidung tragenden Auffassung der Richterinnen und Richter Broß, Osterloh, Lübbe-Wolff und Gerhardt unbegründet.

1. Mit den Trans­pa­renz­re­ge­lungen sollen berufliche und sonstige Verpflichtungen des Abgeordneten neben dem Mandat und daraus zu erzielende Einkünfte den Wählern sichtbar gemacht werden. Sie sollen sich mit Hilfe von Informationen über mögliche Inter­es­sen­ver­flech­tungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten ein besseres Urteil über die Wahrnehmung des Mandats durch den Abgeordneten auch im Hinblick auf dessen Unabhängigkeit bilden können. Diesbezügliche Kenntnis ist nicht nur für die Wahlent­scheidung wichtig. Sie sichert auch die Fähigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Mitglieder, unabhängig von verdeckter Beeinflussung durch zahlende Interessenten das Volk als Ganzes zu vertreten. Das Volk hat Anspruch darauf zu wissen, von wem - und in welcher Größenordnung - seine Vertreter Geld oder geldwerte Leistungen entgegennehmen. Das Interesse des Abgeordneten, Informationen aus der Sphäre beruflicher Tätigkeiten vertraulich behandelt zu sehen, ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Erkennbarkeit möglicher Inter­es­sen­ver­knüp­fungen der Mitglieder des Deutschen Bundestages grundsätzlich nachrangig.

2. Die angegriffenen Anzei­ge­pflichten, die den Mitgliedern des Deutschen Bundestages auferlegt werden, sind verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Es begegnet keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, dass der Gesetzgeber eine generelle Anzeigepflicht für Tätigkeiten und Einkünfte außerhalb des Mandats begründet hat, die auf für die Ausübung des Mandats bedeutsame Inter­es­sen­ver­knüp­fungen hinweisen können, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Konfliktlage im Einzelfall tatsächlich besteht. Es genügt die abstrakte Gefahr einer Beein­träch­tigung der Unabhängigkeit des Mandats. Dass vor und neben dem Mandat ausgeübte Tätigkeiten und neben dem Mandat erzielte Einnahmen Rückwirkungen auf die Mandatsausübung haben können, liegt nicht fern.

Auch unter den Gesichtspunkten der Geeignetheit und Angemessenheit begegnen die Anzei­ge­pflichten keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung, bei anzei­ge­pflichtigen Tätigkeiten und Verträgen, die in die Zeit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag fallen, auch die Höhe der jeweiligen Einkünfte, die bestimmte Beträge übersteigen, anzuzeigen und dabei die Bruttobeträge unter Einschluss von Entschädigungs-, Ausgleichs- und Sachleistungen zugrunde zulegen. Es geht bei der Anzeige von Einkünften nicht um die wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit des Abgeordneten, sondern um die Erkennbarkeit möglicher Inter­es­sen­ver­knüp­fungen. Hierfür können auch Zuflüsse aus Tätigkeiten und Verträgen neben dem Mandat von Bedeutung sein, die nicht als Nettoerlöse für die private Lebensführung zur Verfügung stehen. Die Befürchtung der Antragsteller, der Bürger würde, da gemeinhin unter Einkünften Nettobezüge verstanden würden, durch die Veröf­fent­lichung der anzuzeigenden Zuflüsse irregeführt und die betroffenen Abgeordneten wegen der Höhe ihrer vermeintlichen (Netto-) Einkünfte einem unzumutbaren Recht­fer­ti­gungsdruck ausgesetzt, ist nicht geeignet, die Zulässigkeit der angegriffenen Regelung in Frage zu stellen. Zu unterstellen, im Zusammenhang mit den von den Antragstellern abzugebenden Erklärungen seien die Bürger zur Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoeinkünften unfähig und etwaige Fehlein­schät­zungen nicht im Wege öffentlicher Diskussion ausräumbar, ist unrealistisch und einer Demokratie nicht angemessen.

3. Die gesetzlich normierte Veröf­fent­lichung der anzei­ge­pflichtigen Tätigkeiten sowie der Einkünfte nach Maßgabe bestimmter Einkom­mens­stufen verletzt Rechte der Antragsteller ebenfalls nicht. Sie findet ihre grundsätzliche Rechtfertigung darin, dass die Beurteilung über die Mandatsausübung des Abgeordneten den Wählern zukommt und ihnen die dafür erheblichen Informationen zur Verfügung stehen sollen.

4. Auch die Regelungen zur Sanktionierung von Verstößen gegen Anzei­ge­pflichten sind mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Die Anzei­ge­pflichten sollen dazu beitragen, einen fairen und transparenten Prozess der politischen Willensbildung überhaupt erst zu ermöglichen. Pflichten dieser Art müssen rechtlich konstituiert sein und im Bedarfsfalle durchgesetzt werden. Die Funkti­o­ns­fä­higkeit des Parlaments würde beeinträchtigt und das Prinzip der strikten Gleich­be­handlung aller Abgeordneten verletzt, wenn Offen­le­gungs­pflichten gegenüber Abgeordneten, die deren Erfüllung verweigern, mangels wirksamer Sanktionen nicht durchgesetzt werden könnten. Zudem würde das Parlament in den Augen der Öffentlichkeit machtlos erscheinen, die eigenen Regeln umzusetzen, was zu einem der Funkti­o­ns­fä­higkeit des Parlaments ebenfalls abträglichen Vertrauens- und Ansehensverlust führten müsste.

II. Nach Auffassung der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau müssten die gegen die Trans­pa­renz­re­ge­lungen gerichteten Anträge Erfolg haben. Die Freiheit des Mandats steht einer angemessen ausgestalteten Pflicht von Abgeordneten zur Mitteilung von Tätigkeiten neben der Mandatsausübung und daraus erzielten finanziellen Zuflüssen zwar nicht von vornherein entgegen. Soweit die Abgeordneten jedoch verpflichtet werden, ihre erzielten Einnahmen in weitem Umfang und ohne hinreichende rechts­s­taatliche Sicherungen der Öffentlichkeit preiszugeben, ist das mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.

1. Die dem Abgeordneten auferlegte Pflicht zur Offenlegung der Tätigkeiten neben der Mandatsausübung und aller im Einzelnen erzielten Einkünfte greift in das freie Mandat ein, das Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG schützt. Bei der Würdigung der Eingriff­sin­tensität kann nicht außer Acht bleiben, dass mit der Offenlegung gerade auch von ungewichteten Tatsachen wie Brutto­ein­künften, die nicht im Kontext darstellbar sind, eine publizistische Prangerwirkung entstehen kann. Ohne nähere Erklärungen und Gewichtungen können die bloßen Informationen über Mittelzuflüsse in mehrfacher Hinsicht zu Fehlschlüssen verleiten.

2. Der Eingriff in die Freiheit des Mandats kann damit gerechtfertigt werden, dass mit ihm die Funkti­o­ns­fä­higkeit des Deutschen Bundestages durch die unabhängige Mandatsausübung des Abgeordneten oder seine Integrität und politische Vertrau­ens­wür­digkeit gewahrt wird. Bei den angegriffenen Regeln zur Offenlegung von Tätigkeiten neben der Mandatsausübung und der daraus erzielten Einkünfte fehlt es aber an einem verfas­sungs­gemäßen Ausgleich zwischen dem gesetz­ge­be­rischen Trans­pa­ren­z­an­liegen und der um grundrechtliche Aspekte verstärkten Freiheit des Mandats. Mit diesen Garantien ist es unvereinbar, wenn mit den angegriffenen Trans­pa­renz­regeln die durch kein rechts­s­taat­liches, den Status und die Grundrechte des Abgeordneten schonendes Verfahren geprüfte Veröf­fent­lichung von wirtschaft­lichen "Rohdaten" vom Abgeordneten verlangt wird.

Nach den Verhal­tens­regeln und den Ausfüh­rungs­be­stim­mungen muss der Abgeordnete gegenwärtig alle Vermö­gens­zu­flüsse in Geld oder Geldeswert anzeigen, unabhängig davon, ob es sich um Einkommen, Aufwand­s­ent­schä­di­gungen, durchlaufende Posten oder sonstige Vermö­gens­zu­wächse handelt. Berufsbedingter Aufwand ist ebenso wenig zu berücksichtigen wie Steuern, Abgaben und sonstige Kosten. Dieser Einkünf­te­begriff entspricht weder dem allgemeinen Verständnis von Einkünften noch dem in der Rechtsordnung ganz überwiegend verwendeten Einkünf­te­begriff. Schon aus diesem Grund ist er geeignet, zu gravierenden Fehlein­schät­zungen insbesondere bei der Veröf­fent­lichung der Angaben des Abgeordneten beizutragen. Insbesondere Aufwand­s­ent­schä­di­gungen oder die in einem Dienst- oder Angestell­ten­ver­hältnis zur Verfügung gestellten Sachleistungen müssen als Einkünfte deklariert werden, obwohl sie lediglich einen erwer­bs­be­dingten Aufwand ausgleichen. Es wird der Eindruck eines möglicherweise gewichtigen wirtschaft­lichen Vorteils vermittelt, auch wenn lediglich die mit der Tätigkeit zusam­men­hän­genden Kosten erstattet werden. Bei Freiberuflern und Selbständigen wird durch die Angabe lediglich der Brutto-Beträge ohne Berück­sich­tigung des damit verbundenen finanziellen Aufwands ein unzutreffendes Bild vermittelt. Ohne noch weitergehende Erklärungen und Gewichtungen können die bloßen Informationen über Mittelzuflüsse deshalb zu Fehlschlüssen verleiten. Wer hohe Mittelzuflüsse offen legen muss, daraus aber wegen hoher betrieblicher Kosten kaum Gewinn erzielt, wird praktisch genötigt, seine komplette Einkom­men­steu­e­r­er­klärung zu veröffentlichen, aus der sich dann seine persönlichen Lebens­ver­hältnisse ergeben. Auch bei Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden, Stiftungen oder ähnlichen Organisationen, die vielfach ehrenamtlich ausgeübt werden, führt die Angabe von Aufwand­s­ent­schä­di­gungen oder sonstigen Sachleistungen als Einkünfte dazu, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck einer entgeltlichen Tätigkeit vermittelt wird, obwohl lediglich ein Aufwand ausgeglichen wird.

Die Verpflichtung, jede einzelne Vertrags­be­ziehung und jeden einzelnen Vertragspartner aus einer laufenden beruflichen Tätigkeit mitzuteilen, ist durch das Interesse des Bürgers an der Wahrung der Unabhängigkeit der Abgeordneten auch mit Blick auf die Funkti­o­ns­fä­higkeit des Parlaments nicht gerechtfertigt. Derart weit reichende Offen­le­gungs­pflichten führen dazu, dass die gesamte berufliche Tätigkeit des Abgeordneten in allen Einzelheiten mitzuteilen ist. Der Abgeordnete wird nicht nur verpflichtet, die Einkünfte einer möglicherweise schon lange währenden beruflichen Tätigkeit und damit den Erfolg seiner beruflichen Tätigkeit offen zu legen. Vielmehr wird er genötigt, seine Tätigkeit gegebenenfalls detailliert aufzuschlüsseln und zu beschreiben.

Ebenso wenig wie sich der Abgeordnete gegen Trans­pa­ren­zan­for­de­rungen unter Berufung auf den Schutz seiner persönlichen Rechtssphäre umfassend wehren kann, ist es dem Gesetzgeber erlaubt, unter Berufung auf Trans­pa­renzziele dieses Schutzanliegen des Abgeordneten gänzlich zu negieren. Das bedeutet, dass sich eine Offenlegung nur rechtfertigt, soweit es sich um Informationen handelt, die auch tatsächlich dazu geeignet sind, auf die Gefahr von Inter­es­sen­ver­knüp­fungen und Abhängigkeiten des Abgeordneten hinzuweisen.

3. Da die Regelungen über die Anzeigepflicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind, darf an eine Verletzung dieser Anzei­ge­pflichten auch keine Sanktion geknüpft werden.

*Geklagt haben folgende Abgeordnete:

Friedrich Merz (CDU), Siegfried Kauder (CDU), Hans-Joachim Otto (FDP), Peter Danckert (SPD), Max Straubinger (CSU), Wolfgang Götzer (CSU), Marco Wanderwitz (CDU), Heinrich Leonard Kolb (FDP), Sibylle Laurischk (FDP).

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des BVerfG vom 21.09.2006 und 04.07.2007

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