14.11.2024
14.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss25.01.2011

BVerfG: Neue Rechtsprechung zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts unter Anwendung der "Dreitei­lungs­methode" verfas­sungs­widrigRechtsprechung des BGH ersetzt ungerecht­fer­tig­terweise gesetz­ge­be­rische Grund­ent­scheidung zur Bestimmung des Unter­halts­bedarfs durch eigene Gerech­tig­keits­vor­stel­lungen

Die neue Rechtsprechung zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts unter Anwendung der so genannten Dreitei­lungs­methode ist verfas­sungs­widrig. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Mit dem am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Unter­halts­rechts hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht mit dem Ziel der Stärkung des Kindeswohls, der wirtschaft­lichen Entlastung so genannten Zweitfamilien sowie der Vereinfachung reformiert. Im Geschie­de­nen­un­ter­haltsrecht gilt seitdem verstärkt der Grundsatz der wirtschaft­lichen Eigen­ver­ant­wortung jedes Ehegatten, dem es gemäß § 1569 BGB n.F. obliegt, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, es sei denn, er ist hierzu außerstande. Durch den neu geschaffenen § 1578 b BGB ist die Möglichkeit eröffnet worden, den nachehelichen Unterhalt im Einzelfall unter Billig­keits­ge­sichts­punkten herabzusetzen und/oder zeitlich zu begrenzen. Des Weiteren ist die Rangfolge der Unter­halts­be­rech­tigten für den Fall, dass der Unter­halts­pflichtige nicht in der Lage ist, ihnen allen Unterhalt zu leisten (so genannter Mangelfall), in § 1609 BGB neu festgelegt worden: Während den minderjährigen Kindern der erste Rang zugewiesen ist, sind geschiedene und nachfolgende Ehegatten im Rang grundsätzlich gleichgestellt.

Regelung des Maßes des nachehelich zu gewährenden Unterhalts bleibt unverändert

Unverändert ist dagegen neben der Bestimmung der Leistungs­fä­higkeit des Unter­halts­pflichtigen (§ 1581 BGB) die Regelung des Maßes des nachehelich zu gewährenden Unterhalts geblieben, das sich gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebens­ver­hält­nissen bestimmt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs waren für die Bestimmung der ehelichen Lebens­ver­hältnisse grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung maßgeblich. Danach eintretende Veränderungen der Verhältnisse wurden nur ausnahmsweise in die Unter­halts­be­da­rfs­be­stimmung einbezogen. Änderungen des Einkommens des geschiedenen Ehegatten waren beispielsweise in die Ermittlung des Unterhaltsmaßes nur dann einzubeziehen, wenn sie zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrschein­lichkeit zu erwarten gewesen waren und diese Erwartung die ehelichen Lebens­ver­hältnisse bereits geprägt hatte oder aber die Änderungen das Surrogat einer zuvor erbrachten Haushalts­führung darstellten.

Laut BGH ist bei Ermittlung des Unter­halts­bedarfs Dreitei­lungs­methode anzuwenden

Nunmehr geht der Bundes­ge­richtshof aber davon aus, dass die für die Höhe des Unter­halts­bedarfs maßgeblichen Lebens­ver­hältnisse einer geschiedenen Ehe Veränderungen unabhängig davon erfahren können, ob diese in der Ehe angelegt waren. Mit Urteil vom 30. Juli 2008 hat er erstmals eine Unter­halts­pflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen, geschiedenen Ehegatten einbezogen: Der Unter­halts­bedarf des geschiedenen Ehegatten sei zu ermitteln, indem seine bereinigten Einkünfte ebenso wie diejenigen des Unter­halts­pflichtigen und dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und durch drei geteilt würden (so genannte Dreitei­lungs­methode). Mittels einer Kontroll­rechnung sei sodann sicherzustellen, dass der geschiedene Ehegatte maximal in der Höhe Unterhalt erhalte, die sich ergäbe, wenn der Unter­halts­pflichtige nicht erneut geheiratet hätte.

Beschwer­de­führerin rügt Verletzung ihres Grundrechts auf allgemeine Handlungs­freiheit durch Anwendung der Dreitei­lungs­methode

Der Beschwer­de­führerin, die 24 Jahre mit dem Kläger des Ausgangs­ver­fahrens verheiratet war, wurde zunächst im Zuge der Scheidung ein nachehelicher Aufsto­ckungs­un­terhalt von 618 Euro monatlich zuerkannt. Nach der Wiederheirat des Klägers setzte das Amtsgericht im Ausgangs­ver­fahren in Anwendung der neuen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs den monatlich zu zahlenden Unterhalt auf 488 Euro herab, indem es die Einkünfte der nachfolgenden Ehefrau im Wege der Dreitei­lungs­methode in die Bedarfs­be­rechnung einbezog. Das Oberlan­des­gericht hielt das Urteil hinsichtlich der Unter­halts­be­messung aufrecht. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­de­führerin insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf allgemeine Handlungs­freiheit.

Rechtsprechung verstößt gegen allgemeine Handlungs­freiheit in Verbindung mit Rechts­s­taats­prinzip

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat das Urteil des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen. Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelte Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zu den „wandelbaren ehelichen Lebens­ver­hält­nissen“ unter Anwendung der Berech­nungs­methode der so genannten Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet die neue Rechtsprechung die Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung und verletzt die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungs­freiheit in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Diffe­ren­zie­rungen bei der Berechnung des Unter­halts­bedarfs

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts differenziert zwischen der Unter­halts­be­dürf­tigkeit des Berechtigten, dessen Unter­halts­bedarf, der Leistungs­fä­higkeit des Pflichtigen sowie der Rangfolge mehrerer Unter­halts­be­rech­tigter. Den Ausgangspunkt der Unter­halts­be­rechnung bildet die Bestimmung des Unter­halts­bedarfs, an dessen Ermittlung sich die Prüfung der Leistungs­fä­higkeit des Pflichtigen sowie der Verteilung der verfügbaren Geldmittel im Mangelfall anschließt. An dieser Strukturierung hat der Gesetzgeber anlässlich der Unter­halts­reform festgehalten. Dies gilt ebenso für die Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den ehelichen Lebens­ver­hält­nissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, mit der der Gesetzgeber auf die individuellen Einkom­mens­ver­hältnisse der geschiedenen Ehegatten Bezug genommen hat, die er nach wie vor zum Zeitpunkt der Scheidung bestimmt wissen will.

Neuer Maßstab spiegelt ehelichen Lebens­ver­hältnisse nicht mehr wider und löst sich in Gänze von gesetzlicher Vorgabe

Über dieses beibehaltene Konzept setzt sich die neue Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs hinweg, indem sie einen Systemwechsel vornimmt, bei dem sie die gesetz­ge­be­rische Grund­ent­scheidung zur Bestimmung des Unter­halts­bedarfs durch eigene Gerech­tig­keits­vor­stel­lungen ersetzt. Die geänderte Auslegung hebt die gesetzliche Differenzierung zwischen Unter­halts­bedarf und Leistungs­fä­higkeit auf. Sie berücksichtigt die nachehelich entstandenen Unter­halts­pflichten gegenüber einem weiteren Ehegatten bereits auf der Ebene des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB), obwohl deren Berück­sich­tigung gesetzlich erst auf der Ebene der nach den gegenwärtigen Verhältnissen des Unter­halts­pflichtigen zu beurteilenden Leistungs­fä­higkeit nach § 1581 BGB vorgesehen ist. Statt die Bestimmung des Unter­halts­bedarfs nach den „ehelichen Lebens­ver­hält­nissen“ der aufgelösten Ehe vorzunehmen, ersetzt sie diesen Maßstab durch den der „wandelbaren ehelichen Lebens­ver­hältnisse“ und bestimmt damit und unter Anwendung der Dreitei­lungs­methode den Unter­halts­bedarf letztlich nach den tatsächlichen Lebens­ver­hält­nissen und finanziellen Ausstattungen wie Belastungen der Geschiedenen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterhalts unter Einbeziehung auch des Einkommens, das der neue Ehegatte des Unter­halts­pflichtigen erzielt oder das ihm fiktiv zugerechnet wird. Dieser neue Maßstab spiegelt die ehelichen Lebens­ver­hältnisse nicht mehr wider und löst sich in Gänze von der gesetzlichen Vorgabe.

Geschiedener Ehegatte infolge der neuen Bedarfs­er­mitt­lungs­methode regelmäßig benachteiligt

Zudem bezieht die neue Rechtsprechung den Unter­halts­bedarf des nachfolgenden Ehegatten nur so lange in die Bestimmung des Unter­halts­bedarfs des geschiedenen Ehegatten mit ein, wie dies zu einer Verkürzung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten führt. Wirkt sich die Dreitei­lungs­methode zugunsten des geschiedenen Ehegatten aus, wird sein Unter­halts­bedarf mittels der vom Bundes­ge­richtshof vorgesehenen Kontroll­rechnung auf den sich nach seinen ehelichen Lebens­ver­hält­nissen ergebenden Betrag herabbemessen. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der geschiedene Ehegatte infolge der neuen Bedarfs­er­mitt­lungs­methode regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber mehr erhält als im Wege einer nach den ehelichen Lebens­ver­hält­nissen bestimmten Berechnung.

Neue Rechtsprechung lässt sich in keiner Weise rechtfertigen

Die neue Rechtsprechung lässt sich mit keiner der anerkannten Ausle­gungs­me­thoden rechtfertigen. Sie läuft dem klaren Wortlaut des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zuwider, der die „ehelichen Verhältnisse“ zum Maßstab der Bedarfs­be­messung erhoben hat und damit diejenigen Verhältnisse, die in der geschiedenen Ehe bestanden haben oder zumindest mit ihr in Zusammenhang stehen. Ein Bezug zu den „ehelichen Lebens­ver­hält­nissen“ lässt sich jedoch nicht mehr bei der Einbeziehung von Veränderungen herstellen, die gerade nicht auf die Ehe zurückzuführen sind, sondern - wie Unter­halts­pflichten gegenüber einem neuen Ehegatten - schei­dungs­bedingt sind.

Dreitei­lungs­methode belastet vorangegangenen Ehegatten einseitig zugunsten des Unter­halts­pflichtigen und dessen nachfolgenden Ehegatten

Die neue Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB lässt sich auch nicht aus dessen systematischer Einbindung in den Normenkontext herleiten, da sie die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung zwischen Unter­halts­bedarf und Leistungs­fä­higkeit aufhebt. Zudem widerspricht sie dem Zweck des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, der dazu dient, dem unter­halts­be­rech­tigten Ehegatten bei der Bestimmung seines Bedarfs grundsätzlich gleiche Teilhabe an dem zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung gemeinsam erreichten Status zu gewähren. Die mit der Kontroll­rechnung verbundene richterliche Dreitei­lungs­methode belastet den vorangegangenen Ehegatten einseitig zugunsten des Unter­halts­pflichtigen und dessen nachfolgenden Ehegatten. Sie setzt sich überdies über den Willen des Gesetzgebers hinweg. Soweit dieser Einschränkungen beim nachehelichen Unterhalt vorgenommen hat, wie bei der Kürzung oder Befristung von Unter­halts­ansprüchen nach § 1578 b BGB, hat er damit die unter­halts­rechtliche Position des geschiedenen Ehegatten nicht von vornherein verschlechtern wollen, wie dies die Bedarfs­be­stimmung nach der Dreiteilung vorsieht, sondern nur unter bestimmten Billig­keits­ge­sichts­punkten.

Unter­halts­be­rechnung durch geänderte Rechtsprechung nicht vereinfacht

Die geänderte Rechtsprechung lässt sich schließlich nicht mit dem Ziel der Unter­halts­reform begründen, das Unterhaltsrecht zu vereinfachen. Sie erleichtert die Unter­halts­be­rechnung nicht, sondern erweitert sie um den Rechenschritt der Bedarfs­er­mittlung im Wege der Dreiteilung, da sie im Rahmen der Kontroll­rechnung eine Berechnung des Unterhalts nach der von der Rechtsprechung herkömmlich angewandten Methode unter Berück­sich­tigung der ehelichen Lebens­ver­hältnisse der aufgelösten Ehe vorsieht.

Verletzung der wirtschaft­lichen Handlungs­freiheit als Ausprägung der allgemeinen Handlungs­freiheit in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip

Die mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffene Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts verletzt die Beschwer­de­führerin in ihrer wirtschaft­lichen Handlungs­freiheit als Ausprägung der allgemeinen Handlungs­freiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Sie beruht auf der die Grenze zulässiger richterlicher Rechts­fort­bildung überschrei­tenden neuen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs, in deren Folge der Unter­halts­bedarf der Beschwer­de­führerin und damit ihr Unterhaltsanspruch in einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Maße verkürzt worden sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss11110

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI