15.11.2024
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Dokument-Nr. 18569

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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.06.2014

Verfassungs­beschwerden gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Kranken­kassen­beiträge erfolglosAusbleiben der Rente­n­er­hö­hungen und Anhebung der Kranken­kassen­beiträge für Rentner zum Erhalt der gesetzlichen Renten- und Kranken­kassen­versicherung zulässig

Das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Kranken­kassen­beiträge der Rentner zum 1. Juli 2005 verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Mit beiden Maßnahmen hat sich der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungs­ermessens im Bereich des Sozialrechts bewegt.

Die Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens wenden sich u. a. gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung zum 1. Juli 2005 sowie gegen Änderungen bei der Kranken­ver­si­cherung der Rentner zu diesem Termin. Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden greifen sie den jeweiligen Bescheid ihres Renten­ver­si­che­rungs­trägers sowie die diesen bestätigenden sozial­ge­richt­lichen Entscheidungen an.

Hintergrund

Die Fortschreibung der Rentenwerte ist im Sozial­ge­setzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelt. Wesentliche Faktoren sind zum einen die Entwicklung der Löhne und Gehälter und zum anderen die Entwicklung der Renten­ver­si­che­rungs­beiträge, in die seit 2002 ein so genannter Alters­vor­sor­ge­anteil für die private Alters­ver­sorgung eingerechnet wird. Seit 2004 gilt zudem ein Nachhal­tig­keits­faktor, der die ungünstige demografische Entwicklung in Deutschland abfedern soll. Bei der Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts zum 1. Juli 2005 konnte die dämpfende Wirkung des ansteigenden Alters­vor­sor­ge­anteils und des Nachhal­tig­keits­faktors durch die geringe positive Lohnentwicklung von ,12 % in den alten Ländern nicht kompensiert werden. Rechnerisch hätte sich der Rentenwert trotz einer positiven Lohnentwicklung vermindert; wegen einer gesetzlichen Schutzklausel blieb es jedoch bei der bisherigen Höhe des Rentenwerts.

Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung sieht ab 1. Juli 2005 zusätzlichen Beitrag in Höhe von ,9 % für Arbeitnehmer und Rentner vor

Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung beschloss der Gesetzgeber im Jahr 2003, dass die Versicherten ab 1. Januar 2006 einen zusätzlichen Beitrag in Höhe von ,5 % tragen sollen. Hintergrund war die Absicht, die Arbeitgeber und Renten­ver­si­che­rungs­träger in einem Umfang zu entlasten, der in etwa den Aufwendungen der Krankenkassen für das Krankengeld entspricht. Darüber hinaus sollte zum 1. Januar 2005 der Zahnersatz aus dem Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung herausgenommen werden. Nachdem sich Schwierigkeiten bei der Einführung einer eigenständigen Zahner­satz­ver­si­cherung gezeigt hatten, nahm der Gesetzgeber diese Änderung im Jahr 2004 zurück. Um die geplante Entlastung der Arbeitgeber dennoch zu erreichen, wurde nunmehr bereits ab 1. Juli 2005 ein zusätzlicher Beitrag der Arbeitnehmer und Rentner in Höhe von ,9 % erhoben.

Grundrechte durch unterbliebene Erhöhung der Renten zum 1. Juli 2005 nicht verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Verfas­sungs­be­schwerden teilweise für unzulässig, im Übrigen jedenfalls für unbegründet. Grundrechte der Beschwer­de­führer werden durch die unterbliebene Erhöhung der Renten zum 1. Juli 2005 nicht verletzt. Ob der Schutzbereich des Eigen­tums­grund­rechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) auch die jährliche Rentenanpassung umfasst, kann im Ergebnis offen bleiben, denn die angegriffene Fortschreibung des Rentenwerts zum 1. Juli 2005 ist jedenfalls verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt und bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums in verfas­sungs­gemäßer Weise.

Gesetzliche Maßnahmen zur Finanzierung des Renten­ver­si­che­rungs­systems müssen verhältnismäßig sein

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat anerkannt, dass dem Gesetzgeber eine ausreichende Flexibilität erhalten bleiben muss, um das Renten­ver­si­che­rungs­system und insbesondere dessen Finanzierung zu gewährleisten. Gesetzliche Maßnahmen, die der Erhaltung der Funktions- und Leistungs­fä­higkeit der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung dienen, müssen allerdings von einem gewichtigen öffentlichen Interesse getragen und verhältnismäßig sein.

Änderungen der Formel zur Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts sind von öffentlichem Interesse

Die Änderungen der Formel zur Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts, insbesondere die Einfügung des Alters­vor­sor­ge­anteils und des Nachhal­tig­keits­faktors, sind von dem gewichtigen öffentlichen Interesse bestimmt, die Finan­zier­barkeit des Systems der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung zu sichern. Dabei sah der Gesetzgeber die Bewahrung der Genera­ti­o­nen­ge­rech­tigkeit als für die gesetzliche Renten­ver­si­cherung existenziell an, weil Jung und Alt, Beitragszahler und Leistungs­be­zieher aufgrund der praktizierten Umlage­fi­nan­zierung im so genannten Genera­ti­o­nen­vertrag miteinander verbunden sind.

Demografischer Wandel führt zu Unsicherheit unter jüngeren Menschen hinsichtlich vorhandener eigener Rente im Alter trotz derzeitiger hoher Beiträge

Maßgebend für die Einführung des Alters­vor­sor­ge­anteils war die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels unter jüngeren Menschen weit verbreitete Unsicherheit, ob sie trotz hoher Beiträge im Alter noch eine ausreichende Rente aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung erhalten werden. Es wurde zunehmend bezweifelt, dass künftige Beitragszahler ab dem Jahr 2030 bereit sein werden, eine Belastung ihres Einkommens durch die Beitragszahlung zur gesetzlichen Renten­ver­si­cherung in Höhe von möglicherweise 24 bis 26 % zu akzeptieren.

Gesetzgeber durfte sowohl Einfügung des Alters­vor­sor­ge­anteils als auch Einfügung des Nachhal­tig­keits­faktors als geeignet und erforderlich ansehen

Die Einführung des Nachhal­tig­keits­faktors geht auf wissen­schaftliche Erkenntnisse zum Ausmaß des demografischen Wandels zurück. Die Zielo­ri­en­tierung war, dass die Beiträge zur Renten­ver­si­cherung bis zum Jahr 2020 nicht über 20 % und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 % steigen sollten, um sicherzustellen, dass auch bei einer angemessenen Versorgung im Alter die Versicherten nicht überfordert werden. Der Gesetzgeber durfte sowohl die Einfügung des Alters­vor­sor­ge­anteils als auch die Einfügung des Nachhal­tig­keits­faktors als geeignet und erforderlich ansehen. Es liegt innerhalb seines Gestal­tungs­er­messens, wenn er der Stabilisierung und Begrenzung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Renten­ver­si­cherung aus system­im­ma­nenten Gründen zur Wahrung des Grundsatzes der Genera­ti­o­nen­ge­rech­tigkeit Priorität einräumt. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage war er auch nicht gehalten, den sich abzeichnenden Finanzbedarf über einen höheren Bundeszuschuss zur gesetzlichen Renten­ver­si­cherung sicherzustellen.

Renten­rechtliche Rangstelle der Versicherten in der Solida­r­ge­mein­schaft wird nicht berührt

Die mit den Verfas­sungs­be­schwerden angegriffenen gesetzlichen Maßnahmen sind, jedenfalls mit Blick auf die Fortschreibung der Rentenwerte zum 1. Juli 2005, verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Lohnentwicklung als wesentlicher Maßstab wird lediglich ergänzt um strikt regelgebundene Mechanismen, die die steigenden, aber auch gegebenenfalls sinkenden Aufwendungen der jüngeren Generation für die Alterssicherung bei der Rentenanpassung berücksichtigen. Damit die beiden Dämpfungs­faktoren im Ergebnis nicht zu einer Kürzung des aktuellen Rentenwerts führen, wurde zudem eine Schutzklausel eingefügt, nach der sie nur insoweit angewendet werden, wie sie eine positive Lohn- und Gehalt­s­ent­wicklung neutralisieren. Die Bewertung der erbrachten Vorleistungen hat der Gesetzgeber damit nicht geändert. Auch die renten­rechtliche Rangstelle der Versicherten in der Solida­r­ge­mein­schaft, die ihren Anteil an der Umverteilung bestimmt, wird nicht berührt.

Kein Verstoß gegen das Rechts- und Sozial­staats­prinzip

Ein Verstoß gegen das Rechts- und Sozial­staats­prinzip des Art. 20 Abs. 1 und 3 GG ist gleichfalls nicht ersichtlich. Wo konkret der Gestal­tungs­spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Leistungen der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung seine Grenze findet, weil die Rente ihre Funktion als substantielle Alterssicherung verlöre, bedarf mit Blick auf die hier angegriffene Rentenanpassung zum 1. Juli 2005 keiner Entscheidung. Denn es ist offensichtlich, dass diese Grenze hierdurch nicht erreicht wird.

Einführung des Zusatzbeitrags zur Kranken­ver­si­cherung für Rentner ist jedenfalls verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Auch die den Rentnerinnen und Rentnern auferlegte Pflicht, einen zusätzlichen Kranken­kas­sen­beitrag zur Kranken­ver­si­cherung der Rentner allein zu tragen, ist mit der Verfassung vereinbar. Auch hier kann im Ergebnis offen bleiben, ob der Schutzbereich des Eigen­tums­grund­rechtes (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) eröffnet ist, denn die Einführung des Zusatzbeitrags ist jedenfalls verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt und bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums in verfas­sungs­gemäßer Weise.

Reform der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung soll auch zur Förderung der Beschäftigung beitragen

Die angestrebte Senkung der Lohnnebenkosten ist ein Regelungsziel, das im öffentlichen Interesse liegt, denn mit der finanziellen Entlastung der Arbeitgeber und auch der Renten­ver­si­cherung sollte die Reform der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung dazu beitragen, Beschäftigung zu fördern, was wiederum zu mehr Einnahmen und damit zu einer Stabilisierung der Finanz­grundlagen der Sozia­l­ver­si­cherung insgesamt führen sollte. Ziel war es, die gesetzliche Kranken­ver­si­cherung vor dem Hintergrund des damaligen Ausga­be­n­an­stiegs und der dadurch verursachten Finan­zie­rungslücke vor allem durch strukturelle Änderungen finanziell zu entlasten.

Zusätzlicher Kranken­ver­si­che­rungs­beitrag ist rechtlich nicht an die Finanzierung bestimmter Leistungen gebunden

Entgegen der Ansicht der Beschwer­de­führer veranlasst der Umstand, dass der Gesetzentwurf die Erhebung des Zusatzbeitrags im Zusammenhang mit einer Umfinanzierung des Krankengelds nennt, insoweit keine andere Beurteilung. Zu Recht geht das Bundes­so­zi­al­gericht davon aus, dass der von den Mitgliedern der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zu entrichtende zusätzliche Kranken­ver­si­che­rungs­beitrag rechtlich nicht an die Finanzierung bestimmter Leistungen, insbesondere des Krankengeldes, gebunden ist, sondern allenfalls die Größenordnung bezeichnet werden sollte, in dem Arbeitgeber und Renten­ver­si­che­rungs­träger entlastet werden sollten.

Gesetzgeber durfte Einführung des Zusatzbeitrags als geeignet und erforderlich ansehen

Der Gesetzgeber durfte die Einführung des Zusatzbeitrags unter Ausschöpfung seines Gestal­tungs­spielraums als geeignet und erforderlich ansehen. Gegen die Einschätzung, die Maßnahme ermögliche das Beitrags­satz­niveau und damit die Lohnnebenkosten von Arbeitgebern zu senken, ist nichts einzuwenden. Allein für die gesetzliche Renten­ver­si­cherung sollten sich im Vergleich zu 2004 im Jahr 2005 Minderausgaben in einer finanziellen Größenordnung von 450 Millionen Euro und ab 2006 von 900 Millionen Euro ergeben, welche indirekt über einen Dämpfungseffekt auf den Beitragssatz in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung die Arbeitskosten entlasten sollten.

Auferlegte zusätzliche Beitragslast für Rentner zumutbar

Bei einem Vergleich der Schwere der Beein­träch­tigung und der Bedeutung des verfolgten öffentlichen Belangs ist den Rentnern die ihnen auferlegte zusätzliche Beitragslast zumutbar. Sie ist nicht derart gravierend, dass sie von ihnen nicht getragen werden könnte, zumal die auferlegte zusätzliche Belastung einkom­men­s­pro­por­tional ausgestaltet ist. Bezogen auf eine monatliche Standardrente im Juli 2005 in Höhe von 1.176 Euro in den alten Ländern erfolgte eine Minderung des monatlichen Renten­zahl­betrags um 5,29 Euro.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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