15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss28.09.2010

BVerfG zur Beitragspflicht von Rentnern für Kapita­l­le­bens­ver­si­che­rungen trotz teilweiser Prämienzahlung durch ArbeitnehmerArbeitnehmer darf bei privater Fortführung der Leistungen aus betrieblicher Altersvorsorge nicht mit Kranken­kas­sen­bei­trägen belastet werden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat sich mit der Frage befasst, ob die Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflege­ver­si­cherung der Rentner aus Kapita­l­leis­tungen einer betrieblich abgeschlossenen Lebens­ver­si­cherung bei teilweiser Prämienzahlung durch den Arbeitnehmer zulässig ist.

Gemäß § 229 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 5 SGB V sind Renten der betrieblichen Alters­ver­sorgung der Altersrente vergleichbare Einnahmen, aus denen Beiträge zur Kranken- und Pflege­ver­si­cherung der Rentner abgeführt werden. Das gilt nach § 229 Absatz 1 Satz 3 SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung auch dann, wenn eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung vor Eintritt des Versi­che­rungsfalls vereinbart oder zugesagt worden war. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat sich in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen mit der Frage befasst, ob die Erhebung von Kranken- und Pflege­ver­si­che­rungs­bei­trägen auch bei Leistungen aus einer vom Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers geschlossenen Kapitallebensversicherung verfas­sungs­konform ist, wenn deren Prämien teilweise vom Arbeitnehmer selbst entrichtet wurden.

Sachverhalt

Die Beschwer­de­führer sind Rentner. Zu Ihren Gunsten hatte ihr jeweiliger Arbeitgeber Ende der 70er bzw. Mitte der 80er Jahre eine Betriebsrente im Wege der Direkt­ver­si­cherung als Kapita­l­le­bens­ver­si­cherung abgeschlossen und zunächst selbst die Versi­che­rungs­beiträge an den Versicherer entrichtet; im Verfahren 1 BvR 739/08 führte der Arbeitgeber die Prämien direkt aus dem sozia­l­ver­si­che­rungs­pflichtigen Gehalt des Beschwer­de­führers ab. In beiden Fällen übernahmen die Beschwer­de­führer nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeits­ver­hältnis die Prämienzahlung an den Versicherer. Während im Verfahren 1 BvR 739/08 der frühere Arbeitgeber Versi­che­rungs­nehmer blieb, übertrug im Verfahren 1 BvR 1660/08 der Arbeitgeber alle Rechte aus dem Versi­che­rungs­vertrag auf den Beschwer­de­führer als neuen Versi­che­rungs­nehmer.

Gegen Beitrags­er­hebung gerichteten Klagen bleiben vor Sozialgerichten erfolglos

Nach der Auszahlung der einmaligen Kapitalleistung aus der Lebensversicherung an die Beschwer­de­führer setzte die Krankenkasse in beiden Fällen hierauf monatliche Kranken- und Pflege­ver­si­che­rungs­beiträge fest, wobei auch der durch eigene Prämienzahlung der Beschwer­de­führer erwirtschaftete Anteil einbezogen wurde. Die gegen die Beitrags­er­hebung gerichteten Klagen der Beschwer­de­führer blieben vor den Sozialgerichten ohne Erfolg.

Keine Verletzung der Grundrechte im Fall 1 BvR 739/08 – Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Fall BvR 1660/08

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat im Verfahren 1 BvR 739/08 die gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen; eine Verletzung des Beschwer­de­führers in seinen Grundrechten ist hier nicht gegeben. Im Verfahren 1 BvR 1660/08 hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht dagegen festgestellt, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Auf die Verfas­sungs­be­schwerde ist das Urteil des Bundes­so­zi­al­ge­richts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Bundes­so­zi­al­gericht zurückverwiesen worden.

Einbeziehung in Beitragspflicht ist Versicherten zumutbar

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versor­gungs­leis­tungen in die Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der auch Kapita­l­leis­tungen aus der betrieblichen Direkt­ver­si­cherung unterfallen, verstößt nicht gegen die wirtschaftliche Handlungs­freiheit in Verbindung mit dem rechts­s­taat­lichen Grundsatz des Vertrau­ens­schutzes. Sie ist den betroffenen Versicherten zumutbar, weil der Gesetzgeber berechtigt ist, jüngere Kranken­ver­si­cherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen.

Äquivalenz von Beitrag und Risiko­ab­si­cherung nicht durch Beitrag auf berufsbezogene Versor­gungs­bezüge des Rentners gestört

Die Erhebung von Beiträgen zur Kranken­ver­si­cherung der Rentner verletzt auch dann weder die Eigen­tums­ga­rantie aus Art. 14 GG noch die wirtschaftliche Handlungs­freiheit der betroffenen Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn - wie im Verfahren 1 BvR 739/08 - die Versor­gungs­bezüge aus dem Netto­a­r­beits­entgelt finanziert worden sind, das bereits mit Kranken­ver­si­che­rungs­bei­trägen belastet wurde. Der Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz ist gewahrt, da den gezahlten Pflicht­bei­trägen der umfassende und unbegrenzte Versi­che­rungs­schutz der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung gegenübersteht und zwar nicht nur während des Erwerbslebens, sondern auch nach dem Eintritt in den Ruhestand. Die Äquivalenz von Beitrag und Risiko­ab­si­cherung ist durch einen Beitrag auf berufsbezogene Versor­gungs­bezüge des Rentners nicht gestört.

Regelung mit allgemeinem Gleichheitssatz vereinbar

Des Weiteren ist es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass nach der Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts eine Leistung aus einer stets vom Arbeitgeber als Versi­che­rungs­nehmer geführten Direkt­ver­si­cherung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung auch dann unterliegt, wenn sie nach Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses durch Eigenleistungen des versicherten Arbeitnehmers finanziert worden ist.

Keine verfas­sungs­widrige Ungleich­be­handlung im Fall 1 BvR 739/08

So verhält es sich im Verfahren 1 BvR 739/08. Eine verfas­sungs­widrige Ungleich­be­handlung des Beschwer­de­führers liegt hier nicht vor. Das Betrie­bs­ren­tenrecht qualifiziert auch die ausschließlich arbeit­neh­mer­fi­nan­zierte Direkt­ver­si­cherung als betriebliche Alters­ver­sorgung. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versi­che­rungs­vertrag durch den Arbeitgeber abgeschlossen wurde und er - anders als beim privaten Lebens­ver­si­che­rungs­vertrag - Versi­che­rungs­nehmer ist. Hierbei handelt es sich um ein geeignetes Kriterium, um beitrags­pflichtige Versor­gungs­bezüge und beitragsfreie private Lebens­ver­si­che­rungen voneinander abzugrenzen. Hinsichtlich solcher Beiträge, die der Beschwer­de­führer nach dem Ausscheiden aus dem Arbeits­ver­hältnis auf die Direkt­ver­si­cherung eingezahlt hat, ist der Berufsbezug noch insoweit gewahrt, als der Arbeitgeber die Direkt­ver­si­cherung als Versi­che­rungs­nehmer innerhalb der insti­tu­ti­o­nellen Vorgaben des Betrie­bs­ren­ten­ge­setzes fortgeführt hat. Der Beschwer­de­führer hat sich den insti­tu­ti­o­nellen Rahmen der Direkt­ver­si­cherung im Sinne des Betrie­bs­ren­ten­ge­setzes zunutze gemacht, so dass auch hieraus erwirtschaftete Erträge noch als Versor­gungs­bezüge qualifiziert und damit zu Beiträgen zur Kranken­ver­si­cherung der Rentner herangezogen werden können.

Mit Vertrags­übernahme durch Arbeitnehmer ist Kapita­l­le­bens­ver­si­che­rungs­vertrag vollständig aus betrieblichem Bezug gelöst und mit anderen privaten Lebens­ver­si­che­rungen gleichzusetzen

Das Bundes­so­zi­al­gericht überschreitet jedoch die Grenzen zulässiger Typisierung und verstößt damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit es im Verfahren 1 BvR 1660/08 auch diejenigen Kapita­l­leis­tungen der Beitragspflicht unterwirft, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwer­b­s­tä­tigkeit auf den Lebens­ver­si­che­rungs­vertrag unter Einrücken in die Stellung des Versi­che­rungs­nehmers eingezahlt hat. Denn mit der Vertrags­übernahme durch den Arbeitnehmer ist der Kapita­l­le­bens­ver­si­che­rungs­vertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und unterscheidet sich hinsichtlich der dann noch erfolgenden Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebens­ver­si­che­rungen. Soweit das Bundes­so­zi­al­gericht die Einzahlungen auf private Lebens­ver­si­che­rungs­verträge allein deshalb der Beitragspflicht Pflicht­ver­si­cherter unterwirft, weil die Verträge ursprünglich vom Arbeitgeber des Bezugs­be­rech­tigten abgeschlossen wurden und damit dem Regelwerk des Betrie­bs­ren­ten­rechts unterlagen, widerspricht es der gesetz­ge­be­rischen Grund­sat­z­ent­scheidung, die private Altersvorsorge beitragsfrei zu stellen. Auf die Einzahlungen des Bezugs­be­rech­tigten auf einen von ihm als Versi­che­rungs­nehmer fortgeführten Kapita­l­le­bens­ver­si­che­rungs­vertrag finden hinsichtlich der von ihm nach Vertrags­übernahme eingezahlten Beiträge keine Bestimmungen des Betrie­bs­ren­ten­rechts mehr Anwendung. Es begegnet auch keinen praktischen Schwierigkeiten, bei der Auszahlung einer Lebens­ver­si­cherung den auf privater Vorsorge beruhenden Anteil des Zahlbetrags getrennt auszuweisen.

Gesetzgeber will Anreiz zur Eigenvorsorge in Ergänzung der betrieblichen Alters­ver­sorgung schaffen

Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist vorliegend intensiv, weil die Beitrags­be­lastung mit dem vollen Beitragssatz zur gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung erheblich ist. Ein Umgehungs­problem zulasten der Kranken­ver­si­cherung der Rentner besteht nicht. Denn der Gesetzgeber des Betrie­bs­ren­ten­ge­setzes verfolgt mit dem Forts­et­zungsrecht des Arbeitnehmers explizit den Zweck, einen Anreiz zur Eigenvorsorge in Ergänzung der betrieblichen Alters­ver­sorgung zu setzen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss10412

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI