18.10.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 33659

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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.10.2023

Verfassungs­beschwerde einer Umwelt­ak­ti­vistin gegen die Versagung von Prozess­kos­tenhilfe teilweise erfolgreichAnspruch auf Rechts­schutz­gleichheit verletzt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat der Verfassungs­beschwerde einer Umwelt­ak­ti­vistin teilweise stattgegeben, die sich gegen die Versagung von Prozess­kos­tenhilfe für einen Verwaltungs­rechts­streit richtet.

Die Beschwer­de­führerin ist eine bekannte Umwelt­ak­ti­vistin, die seit vielen Jahren Proteste durchführt, insbesondere sogenannte Kletteraktionen. Anfang Dezember 2020 fuhr sie mit einem ICE der Deutschen Bahn. In dem Zug, der sich vom Rodungsort wegbewegte, wurde sie während eines Halts an einem etwa 80 Kilometer nördlich des Dannenröder Forstes gelegenen Hauptbahnhof als einzige Person im ICE von Bundes­po­li­zei­beamten angesprochen. Diese stellten ihre Personalien fest, führten eine Durchsuchung durch und stellten mitgeführte Klette­ru­ten­silien sicher. Gegen einen Teil der Polizei­maß­nahmen erhob die Beschwer­de­führerin Forts­et­zungs­fest­stel­lungsklage zum Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main. Mit der Klageerhebung beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit angegriffenem Beschluss vom 26. Mai 2021 lehnte das Verwal­tungs­gericht den Prozess­kos­ten­hil­feantrag ab. Da das notwendige Forts­et­zungs­fest­stel­lungs­in­teresse fehle, habe die Rechts­ver­folgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwal­tungs­ge­richtshof mit angegriffenem Beschluss vom 2. November 2021 wegen mangelnder Erfolgs­aus­sichten der Rechts­ver­folgung zurück. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hielt die Klage für unbegründet, weil die Polizei­maß­nahmen rechtmäßig gewesen seien. Der für die Identi­täts­fest­stellung erforderliche Gefah­ren­verdacht habe schon deshalb vorgelegen, weil aufgrund polizeilicher Erkenntnisse zu befürchten gewesen sei, dass sich die Beschwer­de­führerin den Baumbesetzungen im Dannenröder Forst anschließe. Ihr Rucksack habe durchsucht werden dürfen, da aufgrund polizeilicher Erkenntnisse zu befürchten gewesen sei, dass die Beschwer­de­führerin darin Klette­ru­ten­silien mit sich führe, die im Zusammenhang mit der Rodung des Dannenröder Forstes zur möglichen Begehung von Ordnungs­wid­rig­keiten oder gar Straftaten geeignet gewesen seien. Welche polizeilichen Erkenntnisse der Gefah­ren­prognose zugrunde lagen und woher sie rührten, führte der Verwal­tungs­ge­richtshof jeweils nicht aus.

Anforderungen an die Erfolgs­aus­sichten der Klage überspannt

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen den Beschluss des Verwal­tungs­ge­richtshofs richtet und eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit gerügt wird, zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Im Übrigen ist sie unzulässig. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat in seinem Beschluss vom 2. November 2021 die aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anforderungen an die im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren zu prüfenden Erfolgs­aus­sichten der Klage überspannt. Die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über die Prozess­kos­tenhilfe obliegt in erster Linie den Fachgerichten. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann nur eingreifen, wenn deren Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfas­sungs­rechtlich verbürgten Rechts­schutz­gleichheit beruhen. Die Fachgerichte überschreiten den Entschei­dungs­spielraum bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbe­stands­merkmals der „hinreichenden Erfolgsaussicht“ erst dann, wenn sie einen Ausle­gungs­maßstab verwenden, der den Zugang zum Recht unver­hält­nismäßig erschwert.

VGH durfte Gefahrenannahme im PKH-Verfahren nicht auf gespeicherte Polizeidaten stützen

Der Beschluss des Verwal­tungs­ge­richtshofs genügt diesen aus der Rechts­schutz­gleichheit folgenden Anforderungen nicht. Ungeachtet der mit dem Forts­et­zungs­fest­stel­lungs­in­teresse und der Gefahrenannahme verbundenen tatsächlichen und grund­recht­lichen Fragen hat der Verwal­tungs­ge­richtshof schon im Rahmen der summarischen Prüfung des Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahrens die Erfolgsaussicht der Klage von vornherein verneint. Insbesondere hat er die Versagung der Prozess­kos­tenhilfe – durch den Verzicht auf eine dem Klageverfahren vorbehaltene Beweiserhebung – auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage getroffen, zumal die Beschwer­de­führerin dem Dannenröder Forst nähergelegene Haltestellen bereits passiert hatte. Welche polizeilichen Erkenntnisse dennoch die Annahme einer Gefahr beziehungsweise eines Gefah­ren­ver­dachts in der konkreten Situation haben begründen sollen, bleibt unklar. Die augen­scheinliche Annahme des Verwal­tungs­ge­richtshofs, dass die Eigenschaft als polizeibekannte Aktivistin für eine jederzeitige Durchsuchung an Verkehr­s­kno­ten­punkten im Bundesgebiet ausreiche, wäre jedenfalls einer vertieften Erörterung im Haupt­sa­che­ver­fahren vorbehalten gewesen. Stützt sich die Polizei für die Vornahme von Grund­recht­s­ein­griffen auf gespeicherte Daten aus ihren Datenbeständen, dürfen die Gerichte die Rechtmäßigkeit dieser Speicherung und Verwendung nicht ohne Weiteres unterstellen. Sind – wie hier – Vorkenntnisse die Grundlage für ein gezieltes Herausgreifen einer Person, kann von dieser Recht­mä­ßig­keits­prüfung grundsätzlich nicht abgesehen werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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