23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.06.2014

Erhebung wiederkehrender Straßen­aus­bau­beiträge bei konkret-individueller Zurechnung eines Sondervorteils zulässigVorschrift des rheinland-pfälzischen Kommunal­abgaben­gesetzes bei verfassungs­konformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar

Die Erhebung wiederkehrender Straßen­aus­bau­beiträge ist verfassungs­rechtlich zulässig. Die Differenzierung zwischen Beitrags­pflichtigen und nicht Beitrags­pflichtigen muss nach Maßgabe des konkret zurechenbaren Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungs­mög­lichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Die maßgebliche Vorschrift des rheinland-pfälzischen Kommunal­abgaben­gesetzes ist bei verfassungs­konformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Zur Prüfung der Frage, ob die angegriffenen Beitrags­sat­zungen den jetzt geklärten verfassungs­rechtlichen Anforderungen gerecht werden, wurden die Verfahren an das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen wurden auf der Grundlage kommunaler Satzungen zu wiederkehrenden Beiträgen für Verkehrsanlagen herangezogen. Dem Verfahren 1 BvR 668/10 liegt ein Bescheid der Stadt Saarburg für das Jahr 2007 in Höhe von 146,30 Euro zu Grunde, dem Verfahren 1 BvR 2104/10 ein Bescheid der Stadt Schifferstadt für das Jahr 2006 in Höhe von 27,36 Euro. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor den Verwal­tungs­ge­richten im Wesentlichen ohne Erfolg. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen wenden sich mittelbar auch gegen die Rechtsgrundlage der Beitrags­sat­zungen in § 10 a des rheinland-pfälzischen Kommu­na­l­ab­ga­ben­ge­setzes (KAG RP).

Wiederkehrende Beiträge sind nicht­steu­erliche Abgaben

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass der wiederkehrende Beitrag auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die die Kompe­ten­z­ordnung des Grundgesetzes wahrt. Wiederkehrende Beiträge nach § 10 a KAG RP sind keine Steuern, sondern nicht­steu­erliche Abgaben, für die den Ländern nach den allgemeinen Regeln die erforderliche Sachge­setz­ge­bungs­kom­petenz zusteht (Art. 30, 70 ff. GG, Straße­n­aus­bau­bei­tragsrecht).

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind unbegründet, soweit sie sich grundsätzlich gegen die Möglichkeit wenden, wiederkehrende Beiträge für Verkehrsanlagen nach § 10 a KAG RP aufzuerlegen.

Nicht­steu­erliche Abgaben bedürfen besonderer sachlicher Rechtfertigung

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus dem Gleichheitssatz folgt für das Steuer- und Abgabenrecht der Grundsatz der Belas­tungs­gleichheit. Bei der Auswahl des Abgaben­ge­gen­stands sowie bei der Bestimmung von Beitrags­maß­stäben und Abgabensatz hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestal­tungs­spielraum. Wer eine nicht­steu­erliche Abgabe schuldet, ist allerdings regelmäßig zugleich steuerpflichtig. Daher bedürfen nicht­steu­erliche Abgaben, einer - über den Zweck der Einnah­me­er­zielung hinausgehenden - besonderen sachlichen Rechtfertigung. Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Gebühr oder eines Beitrags rechtfertigen können, sind vor allem Zwecke des Vorteils­aus­gleichs, der Verhal­tens­lenkung sowie soziale Zwecke anerkannt.

Vorteile der Typisierung müssen im Verhältnis zu der dazu notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen

Es ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die Erhebung von Abgaben so auszugestalten, dass sie praktikabel bleibt, und sie von übermäßigen, mit Rechts­un­si­cherheit verbundenen Diffe­ren­zie­rungs­an­for­de­rungen zu entlasten. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Abgabe­pflichtigen darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen.

Bei grund­s­tücks­be­zogener Beitrags­er­hebung muss Sondervorteil grund­s­tücks­bezogen definiert werden

Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitrags­pflichtigen und nicht Beitrags­pflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungs­mög­lichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Erfolgt die Erhebung von Straße­n­aus­bau­bei­trägen grund­s­tücks­bezogen, können nach dem Grundsatz der abgaben­recht­lichen Belas­tungs­gleichheit nur solche Grundstücke herangezogen werden, deren Eigentümer aus der Möglichkeit, die ausgebauten Straßen in Anspruch zu nehmen, einen Sondervorteil schöpfen können, der sich von dem der Allgemeinheit der Straßennutzer unterscheidet. Soweit die Beitrags­er­hebung grund­s­tücks­bezogen erfolgt, muss auch der Sondervorteil grund­s­tücks­bezogen definiert werden.

Kein Verstoß gegen Gebot der Belas­tungs­gleichheit

Die Heranziehung zu wiederkehrenden Beiträgen nach Maßgabe des § 10 a KAG RP verstößt bei verfas­sungs­kon­former Auslegung nicht gegen das Gebot der Belas­tungs­gleichheit.

Wiederkehrender Beitrag soll allgemein Möglichkeit der Zufahrt zur einer - nicht bestimmten - Verkehrsanlage bieten

Während nach Auffassung des Landes­ge­setz­gebers beim einmaligen Beitrag der Sondervorteil in der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zuganges "zu der hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage" besteht, soll beim wiederkehrenden Beitrag die Möglichkeit der Zufahrt oder des Zugangs zu "einer der Verkehrsanlagen" - also nicht nur zu einer bestimmten, gerade hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage - genügen.

Straßenausbau sichert Zugänglichkeit des Grundstücks und damit Fortbestand der qualifizierten Nutzbarkeit

Damit bewegt sich der Landes­ge­setzgeber innerhalb der durch den Gleichheitssatz gezogenen Grenzen seiner Gestal­tungs­freiheit. Mit dem Ausbaubeitrag wird nicht die schlichte auch der Allgemeinheit zustehende Straßen­be­nut­zungs­mög­lichkeit entgolten, sondern die einem Grundstück mit Baulandqualität zugutekommende Erhaltung der wegemäßigen Erschließung als Anbindung an das inner- und überörtliche Verkehrsnetz. Durch den Straßenausbau wird die Zugänglichkeit des Grundstücks gesichert und damit der Fortbestand der qualifizierten Nutzbarkeit. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass zur wegemäßigen Erschließung eines bestimmten Grundstücks allein die Straße, an der es gelegen ist, regelmäßig nicht ausreicht. Vielmehr wird der Anschluss an das übrige Straßennetz meist erst über mehrere Verkehrsanlagen vermittelt.

Bildung einer Abrech­nungs­einheit aus sämtlichen zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen einer Gemeinde bei einem sich daraus ergebenden Sondervorteil für das beitrags­be­lastete Grundstück zulässig

Die Bildung einer einheitlichen Abrech­nungs­einheit für Straße­n­aus­bau­beiträge ist zulässig, wenn mit den Verkehrsanlagen ein konkret-individuell zurechenbarer Vorteil für das beitrags­be­lastete Grundstück verbunden ist. § 10 a KAG RP eröffnet dem Satzungsgeber die Möglichkeit, einheitliche öffentliche Einrichtungen zu bilden, die nicht notwendig das gesamte Gemeindegebiet umfassen, sondern auch nur einzelne, abgrenzbare Gebietsteile. Der Gesetzgeber sah die Ausübung des Satzungs­er­messens dahingehend, dass sämtliche zum Anbau bestimmte Verkehrsanlagen einer Gemeinde eine einheitliche öffentliche Einrichtung bilden, als Regelfall an, was auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass es in Rheinland-Pfalz besonders viele kleinere Gemeinden gibt. Die Bildung einer einzigen Abrech­nungs­einheit im gesamten Gemeindegebiet durch Satzung ist dann gerechtfertigt, wenn mit den Verkehrsanlagen ein Sondervorteil für das beitrags­be­lastete Grundstück verbunden ist. Besteht ein solcher Vorteil nicht wie dies regelmäßig in Großstädten oder Gemeinden ohne zusam­men­hän­gendes Gebiet der Fall sein wird , läge in der Heranziehung aller Grundstücke zur Beitragspflicht eine Gleich­be­handlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.

Satzungsgeber ist Berück­sich­tigung der örtlichen Gegebenheiten ausdrücklich vorgeschrieben

Der Wortlaut des § 10 a KAG RP steht einer solchen verfas­sungs­kon­formen Auslegung nicht entgegen, da dem Satzungsgeber ausdrücklich vorgeschrieben ist, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In Großstädten oder Gemeinden ohne zusam­men­hän­gendes Gebiet ist das eröffnete Satzungs­er­messen zur Bildung einer einzigen Verkehrsanlage im gesamten Gemeindegebiet insoweit von Verfassungs wegen auf Null reduziert, als nur so dem Gebot eines zurechenbaren Sondervorteils auch bei Berück­sich­tigung des Typisierungs- und Verein­fa­chungs­spielraums des Satzungsgebers Rechnung getragen werden kann.

Beitrags­er­hebung kommt nur für Grundstücke mit potentiellem Gebrauchs­vorteil durch Verkehrsanlage in Betracht

Eine Beitrags­er­hebung kommt nur für diejenigen Grundstücke in Betracht, die von der Verkehrsanlage einen jedenfalls potentiellen Gebrauchs­vorteil haben, bei denen sich also der Vorteil der Möglichkeit der Nutzung der ausgebauten Straßen als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirkt. Nur in diesem Fall erscheint es nach dem Maßstab des Gleich­heits­satzes gerechtfertigt, gerade den oder die Eigentümer dieses Grundstücks zu einem Beitrag für die Nutzung der ausgebauten Straße heranzuziehen.

Konkret zurechenbare Vorteile für herangezogene Grundstücke hängt von tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab

Ob die herangezogenen Grundstücke einen konkret zurechenbaren Vorteil von dem Ausbau und der Erhaltung einer Verkehrsanlage haben, hängt dabei nicht von der politischen Zuordnung eines Gebiets, sondern vor allem von den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab, etwa der Größe, der Existenz eines zusam­men­hän­genden bebauten Gebiets, der Topographie wie der Lage von Bahnanlagen, Flüssen und größeren Straßen oder der typischen tatsächlichen Straßennutzung. Dabei dürfte in Großstädten die Aufteilung der Verkehrsanlagen in mehrere abgrenzbare Gebietsteile regelmäßig erforderlich und unbeschadet des ansonsten bestehenden Satzungs­er­messens die Annahme einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung ausgeschlossen sein; in kleinen Gemeinden - insbesondere solchen, die aus nur einem kleinen, zusammenhängend bebauten Ort bestehen - werden sich einheitliche öffentliche Einrichtung und Gemeindegebiet dagegen häufig decken.

Individuelle Zurechnung von Vorteil und Beitragspflicht aus verfas­sungs­recht­licher Sicht ausreichend

Ein "funktionaler Zusammenhang" von Verkehrsanlagen, wie er früher vom Landes­ge­setzgeber und den Verwal­tungs­ge­richten gefordert wurde, ist für die Bildung einer Abrech­nungs­einheit von Verkehrsanlagen durch den Gleichheitssatz jedoch nicht vorgegeben. Aus verfas­sungs­recht­licher Sicht kommt es allein darauf an, dass eine individuelle Zurechnung von Vorteil und Beitragspflicht hergestellt werden kann.

OVG muss individuell-konkret zurechenbaren, grund­s­tücks­be­zogenen Vorteil der beitrags­pflichtigen Grundstücke erneut prüfen

Die angegriffenen Entscheidungen sind den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen aus dem Grundsatz der Belas­tungs­gleichheit nicht in vollem Umfang gerecht geworden. Insbesondere hat das Oberver­wal­tungs­gericht bei der Anwendung von § 10 a KAG RP nicht geprüft, ob ein individuell-konkret zurechenbarer, grund­s­tücks­be­zogener Vorteil der beitrags­pflichtigen Grundstücke vom Anschluss an die jeweilige Beitragseinheit vorhanden ist. Daher sind die Entscheidungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts Rheinland-Pfalz aufzuheben und die Verfahren dorthin zurück­zu­ver­weisen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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