21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.06.2017

Nachrich­ten­magazin "Der Spiegel" vorerst nicht zum Abdruck eines "Nachtrags" verpflichtetAntrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Verpflichtung zum Abdruck eines "Nachtrags" erfolgreich

Das Bundes­verfassungs­gericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung auf Antrag der des Nachrich­ten­ma­gazins "Der Spiegel" die Vollstreckung aus einem Urteil des Hanseatischen Oberlan­des­ge­richts Hamburg einstweilen eingestellt. Mit dem Urteil war der Beschwer­de­führerin auferlegt worden, einen "Nachtrag" zu einem im Magazin "Der Spiegel" erschienenen Artikel abzudrucken. Die Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts beruht auf einer Folgenabwägung. Ein weiterer Aufschub bei der Vollstreckung ist dem Kläger des Ausgangs­ver­fahrens eher zumutbar als es die Verpflichtung zum sofortigen Abdruck für die Antragstellerin wäre.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im August 2010 erschien in der Zeitschrift "Der Spiegel" ein Beitrag, der sich kritisch mit den Zuständen bei der HSH Nordbank AG befasste. Darin wird unter anderem dargestellt, dass der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens als Justitiar der HSH Nordbank AG im Jahr 2009 an einer Abhörmaßnahme gegen ein Vorstands­mitglied beteiligt gewesen sein könnte. Wegen dieser Berich­t­er­stattung betrieb er ein Unter­las­sungs­ver­fahren gegen die Beschwer­de­führerin. Im Jahr 2015 verurteilte das Oberlan­des­gericht die Beschwer­de­führerin, eine vom Kläger des Ausgangs­ver­fahrens formulierte Erklärung in der nächsten Ausgabe ihres Nachrich­ten­ma­gazins unter der Bezeichnung als "Nachtrag" zu veröffentlichen. In dieser werden auch weitere angeblich an der Abhöraktion beteiligte Personen benannt. Der letzte Satz dieser Erklärung lautet: "[haben wir durch die Berich­t­er­stattung] [...] den Verdacht erweckt, der HSH-Chefjustitiar G. habe an den beschriebenen angeblichen Abhörmaßnahmen gegen R. mitgewirkt. Diesen Verdacht erhalten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht. Der Verlag."

Spiegel rügt Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit

Die hiergegen eingelegte Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde wies der Bundes­ge­richtshof ebenso zurück wie eine nachfolgend erhobene Anhörungsrüge. Inzwischen wird die Beschwer­de­führerin im Zwangs­mit­telwege dazu angehalten, die Erklärung abzudrucken. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin vornehmlich die Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) und begehrt mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Vollziehung des Urteils des Oberlan­des­ge­richts einstweilen auszusetzen.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht muss bei offenem Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens Folgenabwägung vornehmen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begründet ist. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Die Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens muss das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine Folgenabwägung vornehmen.

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet; sie wirft vielmehr Fragen auf, die im vorläufigen Rechts­schutz­ver­fahren nicht abschließend beurteilt werden können. Demnach war eine Folgenabwägung vorzunehmen. Nach ihrem Ergebnis überwiegen im vorliegenden Verfahren die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.

Veröf­fent­lichung des "Nachtrags" könnte zu Imageschaden führen

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Verfas­sungs­be­schwerde im Haupt­sa­che­ver­fahren als begründet erweisen, müsste die Beschwer­de­führerin eine Erklärung veröffentlichen, die ihr in dieser Form eventuell nicht hätte auferlegt werden dürfen. Für die Beschwer­de­führerin bedeutete dies einen Eingriff in ihre redaktionelle Gestal­tungs­freiheit. Von Gewicht ist dabei, dass ihr eine Veröf­fent­lichung in der vorgesehenen Form auch eine inhaltliche Distanzierung abverlangen würde. Zudem könnte durch die Veröf­fent­lichung des "Nachtrags" ein Imageschaden eintreten. Schließlich besteht die Gefahr, dass durch die Veröf­fent­lichung Persön­lich­keits­rechte Dritter beeinträchtigt werden, ohne dass dies nachträglich heilbar wäre.

Veröf­fent­lichung des "Nachtrags" kann auch zum späteren Zeitpunkt noch Sinn erfüllen

Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfas­sungs­be­schwerde aber später als unbegründet, würde die Beschwer­de­führerin bis zur Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerde keinen "Nachtrag" abdrucken. Dies ist angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe zwar von Gewicht. Seit der Veröf­fent­lichung des Artikels sind bereits sechs Jahre verstrichen. Auch bedeutet eine zeitliche Verzögerung im vorliegenden Fall nicht, dass der Effekt des erstrebten Nachtrags unwie­der­bringlich verloren ginge. Für den Kläger des Ausgangs­ver­fahrens kann die Veröf­fent­lichung des "Nachtrags" auch später noch ihren Sinn erfüllen.

Aufschub bei Vollstreckung eher zumutbar als Verpflichtung zum sofortigen Abdruck

Beurteilt man die Folgen, wiegen die Nachteile, die der Beschwer­de­führerin im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die Nachteile, die für den Kläger des Ausgangs­ver­fahrens im Falle eines Anord­nungs­er­lasses entstünden. Ein weiterer Aufschub bei der Vollstreckung ist diesem eher zumutbar als es die Verpflichtung zum sofortigen Abdruck für die Beschwer­de­führerin wäre.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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