21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss31.07.2018

Verfassungs­beschwerden gegen Nacht­flu­g­re­gelung für künftigen Flughafen BER erfolglos

Das Bundes­verfassungs­gericht hat drei Verfassungs­beschwerden gegen Entscheidungen des Bundes­verwaltungs­gerichts zur Nacht­flu­g­re­gelung am künftigen Flughafen Berlin Brandenburg nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hatte mit Urteil vom 16. März 2006 die Planfest­stel­lungs­behörde verpflichtet, über Einschränkungen des Nacht­flug­be­triebs am künftigen Flughafen Berlin-Brandenburg erneut zu entscheiden und den ursprünglichen Planfest­stel­lungs­be­schluss teilweise aufgehoben.

Neuregelung der Nachtflugzeiten

Durch Planer­gän­zungs­be­schluss vom 20. Oktober 2009 erfolgte die aufgetragene Neuregelung. Die nunmehr dort getroffene Nacht­flu­g­re­gelung für den künftigen Flughafen Berlin Brandenburg hält die Nachtkernzeit 00.00 Uhr bis 05.00 Uhr grundsätzlich von Flugaktivitäten frei und öffnet die Nachtrand­s­tunden von 22.00 Uhr bis 23.30 Uhr sowie von 05.30 Uhr bis 06.00 Uhr weitgehend für den Flugbetrieb. In der Nachtkernzeit dürfen nur besonders geregelte Flüge stattfinden. In den halben Stunden unmittelbar vor (23.30 Uhr bis 00.00 Uhr) und nach (05.00 Uhr bis 05.30 Uhr) der Nachtkernzeit sind großzügigere Ausnahmen vom Nachtflugverbot zugelassen.

Klagen der Beschwer­de­führer gegen Nacht­flu­g­re­gelung vor dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht erfolglos

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies die Klagen der Beschwer­de­führer gegen die neue Nacht­flu­g­re­gelung mit den von den Verfas­sungs­be­schwerden angegriffenen Entscheidungen ab. Die Beschwer­de­führer im Verfahren 1 BvR 612/12 und 1 BvR 847/12 sind Anwohner des Flughafens. Im Verfahren 1 BvR 612/12 rügen sie eine Verletzung ihrer Rechte auf Gesundheit und rechtliches Gehör. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht habe wesentlichen Vortrag der Beschwer­de­führer zur Fehler­haf­tigkeit eines Gutachtens und zur Abwägung der Lärmschut­z­in­teressen übergangen. Zudem sei die Bedeutung des Schutzguts "Gesundheit" im Rahmen der Abwägung der wider­strei­tenden Belange fehlgewichtet worden. Die vier Beschwer­de­füh­re­rinnen im Verfahren 1 BvR 682/12 sind unmittelbare Anlie­ger­ge­meinden des Flughafens. Sie sehen sich in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil wesentlicher Vortrag zur Unver­wert­barkeit eines Gutachtens durch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht nicht berücksichtigt worden sei. Zudem seien ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz und ihr Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

Verfahren 1 BvR 612/12

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass das angegriffene Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts die Beschwer­de­führer nicht in Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat das Vorbringen der Beschwer­de­führer nicht übergangen, sondern lediglich anders gewürdigt.

Neuere Erkenntnisse der Lärmmedizin und der Lärmwir­kungs­for­schung zur Bestimmung von Grenzwerten mussten nicht eingeholt werden

Das angegriffene Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts verletzt die Beschwer­de­führer auch nicht in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfordert entgegen der Auffassung der Beschwer­de­führer nicht, die vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht bei der Rüge der Verletzung staatlicher Schutzpflichten in ständiger Rechtsprechung angewandten Maßstäbe bezüglich neuer wissen­schaft­licher Erkenntnisse zu verändern. Neue wissen­schaftliche Erkenntnisse sind danach in der Regel erst dann einer Planungs- oder Zulas­sungs­ent­scheidung zugrunde zu legen, wenn sie sich in der wissen­schaft­lichen Diskussion durchgesetzt haben. Durch die sich aus der Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Überprüfungs- und Nachbes­se­rungs­pflicht des Gesetzgebers wird zugleich gesichert, dass das Risiko von zunächst noch bestehenden Ungewissheiten in der Wissenschaft nicht einseitig dauerhaft Betroffenen auferlegt wird. Dem trägt die Rechtslage im Hinblick auf den Schutz vor Fluglärm mittlerweile deutlicher als bisher dadurch Rechnung, dass nach § 2 Abs. 3 FluglärmG in der Fassung des Jahres 2007 die Bundesregierung verpflichtet wird, dem Deutschen Bundestag spätestens im Jahre 2017 und spätestens nach Ablauf von jeweils weiteren zehn Jahren Bericht über die Überprüfung der in § 2 Abs. 2 FluglärmG genannten Lärmgrenzwerte unter Berück­sich­tigung des Standes der Lärmwir­kungs­for­schung und der Luftfahrt­technik zu erstatten. Daraus hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in der angegriffenen Entscheidung in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise geschlossen, dass angesichts der in § 2 Abs. 2 FluglärmG normativ festgelegten fachpla­ne­rischen Zumut­ba­r­keits­schwelle neuere Erkenntnisse der Lärmmedizin und der Lärmwir­kungs­for­schung durch die Planfest­stel­lungs­behörde zur Bestimmung dieser Grenze nicht mehr eingeholt zu werden brauchten.

Bei Ermittlung des Bedarfs an Nacht­flug­verkehr wurde im Planer­gän­zungs­be­schluss nach verschiedenen Verkehrs­seg­menten zu unter­schied­lichen Zeiten differenziert

Soweit die Beschwer­de­führer rügen, die abzuwägenden Belange seien bereits fehlerhaft ermittelt worden, liegt ebenfalls keine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Bei der Feststellung des Bedarfs an Nacht­flug­verkehr wurde im Planer­gän­zungs­be­schluss nach verschiedenen Verkehrs­seg­menten zu unter­schied­lichen Zeiten differenziert. Diese Feststellung beruht auf Prognosen, bei deren Nachprüfung das Bundes­ver­fas­sungs­gericht sich darauf zu beschränken hat, ob diese Einschätzungen und Entscheidungen offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der verfas­sungs­recht­lichen Ordnung widersprechen. Ausgehend hiervon hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, weshalb es die erstellten Wachs­tums­pro­gnosen für die einzelnen Verkehrs­segmente und den darauf prognos­ti­zierten Nachtflugbedarf für plausibel hält.

Gewichtung wider­strei­tender Belange beim Fluglärmschutz in der Nachtzeit nicht zu beanstanden

Die Beschwer­de­führer sind auch nicht durch die Gewichtung der wider­strei­tenden Belange beim Fluglärmschutz in der Nachtzeit verletzt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat das Gewicht der Nachtkernzeit erkannt und die besondere Bedeutung der Nachtruhe in der Nachtkernzeit betont sowie eine Gesamt­be­trachtung der Lärmbelastung in der Summe vorgenommen, die durch die zugelassenen Ausnahmen entsteht. Auch für die Nachtrandzeiten erfolgte bei einer Gesamt­be­trachtung der Nachtzeit entgegen der Auffassung der Beschwer­de­führer keine aus verfas­sungs­recht­licher Sicht zu beanstandende Fehlgewichtung des Belangs "Schutz der Nachtruhe" durch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Schließlich werden die Beschwer­de­führer weder durch die Abwägung im Planer­gän­zungs­be­schluss als solche noch durch das Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts, wonach die Abwägung der einzelnen wider­strei­tenden Belange im Planer­gän­zungs­be­schluss bei der Festlegung der Nacht­flu­g­re­gelung rechts­feh­lerfrei sei, in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

Regelung für Nachtkernzeit hält Prüfungsmaßstab des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts bei Planungs­ent­schei­dungen stand

Insbesondere hält die Regelung für die Nachtkernzeit dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts bei Planungs­ent­schei­dungen stand, da die Einschätzungen und Entscheidungen weder offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegt sind, noch der verfas­sungs­recht­lichen Ordnung widersprechen und zudem der erhebliche Sachverhalt zutreffend ermittelt und die beteiligten Belange und Interessen umfassend und in nachvoll­ziehbarer Weise abgewogen wurden. Eine Verletzung spezifischen Verfas­sungs­rechts ist nicht erkennbar.

Im Ergebnis gilt dies auch für die Nachtrandzeit.

Lärmschutz­belange der Anwohner müssen weitgehend hinter Verkehr­s­in­teressen zur Deckung des internationalen Luftver­kehrs­bedarfs zurücktreten

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hielt es für den Flughafen Berlin Brandenburg für vertretbar, im Hinblick auf den weitgehenden Schutz der Nachtruhe zwischen 23.30 Uhr und 05.30 Uhr Flugverkehr bis 23.30 Uhr und ab 05.30 Uhr grundsätzlich unbegrenzt zuzulassen und die Lärmschutz­belange der Anwohner insoweit weitgehend hinter den gewichtigen Verkehr­s­in­teressen zur Deckung des internationalen Luftver­kehrs­bedarfs am einzigen Verkehrs­flughafen der Region zurücktreten zu lassen, betonte aber, dass auch in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 23.30 Uhr und zwischen 05.00 Uhr und 05.30 Uhr "die Nacht nicht zum Tag" werden dürfe. Die Verhält­nis­mä­ßigkeit sieht das Bundes­ver­wal­tungs­gericht dabei nur gewahrt, wenn das Konzept der Planfest­stel­lungs­behörde des Ab- und Anschwellens des Luftverkehrs in den Nachtrand­s­tunden auf Dauer eingehalten werde.

Gebot des Schutzes vor Fluglärm nicht verkannt

Diese Erwägungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts halten sich noch im Rahmen vertretbarer fachge­richt­licher Wertung. Sie verkennen nicht grundsätzlich das Gebot des Schutzes vor Fluglärm aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der hohen Bedeutung des verfas­sungs­rechtlich abgesicherten Belangs des Schutzes vor Verkehrslärm wird allerdings für die erste Stunde der Nacht (22.00 Uhr bis 23.00 Uhr) nur Rechnung getragen, sofern die Belastung in dieser Stunde im Zusammenhang mit dem Konzept des Ab- und Anschwellens für die ganze Nachtzeit gesehen wird, die Nacht­ver­kehrszahl im Zeitabschnitt danach durch die mengenmäßige Begrenzung das Abschwellen sichert und in dieser Stunde keine stärkere Belastung mit Fluglärm als in den Abendstunden auftritt und dies gegebenenfalls durch nachträgliche Auflagen und Begrenzungen umgesetzt wird.

Verfahren 1 BvR 682/12

Die angegriffenen Entscheidungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts verletzen die Beschwer­de­füh­re­rinnen nicht in ihren Rechten aus Art. 103 Abs. 1 GG, da sich das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hinsichtlich aller für seine Entscheidung erheblichen Aspekte mit ihrem Vorbringen ausein­an­der­gesetzt hat.

Ob sich die Beschwer­de­füh­re­rinnen als Gemeinden hier ausnahmsweise auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen können, kann offen bleiben. Art. 19 Abs. 4 GG wird durch das angegriffene Urteil nicht verletzt. Planung hat einen finalen und keinen konditionalen Charakter. Dies findet im eingeschränkten gerichtlichen Prüfprogramm seinen Niederschlag, führt aber nicht zu einer unangemessenen Rechts­schutz­ver­kürzung.

Es kann schließlich auch offen bleiben, ob die Rüge der Beschwer­de­füh­re­rinnen, es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, der Rechts­schutz­ga­rantie zugeordnet und hier von ihnen ausnahmsweise als Gemeinden geltend gemacht werden könnte, denn ein solcher Verstoß liegt jedenfalls nicht vor. Den Beschwer­de­füh­re­rinnen wurde bei ihrer Rechts­wahr­nehmung durch die Gestaltung der mündlichen Verhandlung nichts abgeschnitten, was nicht schon Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war.

Verfahren 1 BvR 847/12

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da für die Beurteilung der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der angegriffenen Entscheidung erforderliche Unterlagen von den Beschwer­de­führern nicht vorgelegt wurden und es an einer ausreichenden Ausein­an­der­setzung mit den angegriffenen Entscheidungen und der zugrunde liegenden Rechtslage fehlt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss26245

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI