23.11.2024
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Dokument-Nr. 28749

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Bundesverfassungsgericht Beschluss11.05.2020

Bundes­verfassungs­gericht lehnt Eilanträge gegen Masern­impf­pflicht abOhne Masern­schutz­impfung vorerst weiter keine Kita-Betreuung

Das Bundes­verfassungs­gerichts hat die Eilanträge mehrerer Eltern und ihren Kindern auf vorläufige Außer­kraft­setzung mehrerer, den Nachweis einer Masern­schutz­impfung betreffende Regelungen des Infek­ti­o­ns­schutz­gesetzes (IfSG) abgelehnt. Das Interesse, Kinder ohne Masern­schutz­impfung in einer Gemeinschafts­einrichtung betreuen zu lassen, gegenüber dem Interesse an der Abwehr infek­ti­o­ns­be­dingter Risiken für Leib oder Leben einer Vielzahl von Personen zurücktreten

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach den Vorschriften des IfSG darf eine Betreuung von Kindern in einer Kindertagesstätte oder bestimmten Formen der Kindes­ta­gespflege lediglich bei Nachweis entweder eines ausreichenden Impfschutzes oder einer Immunität gegen Masern erfolgen. Mit ihren Anträgen auf einstweilige Anordnung wollen die Beschwer­de­führer erreichen, dass eine entsprechende Betreuung bis zur Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerden auch ohne den entsprechenden Nachweis erfolgen darf.

Sachverhalt

§ 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 IfSG sieht vor, dass Kinder, die in einer Kinder­ta­gesstätte oder in der erlaub­nis­pflichtigen Kinder­ta­gespflege betreut werden, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder eine Immunität gegen Masern aufweisen müssen, sofern sie nicht aufgrund einer medizinischen Kontra­in­di­kation nicht geimpft werden können (§ 20 Abs. 8 Satz 4 IfSG). Ferner muss vor Beginn ihrer Betreuung ein entsprechender Nachweis vorgelegt werden (§ 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG). In beiden Verfahren sind die Beschwer­de­führer jeweils gemeinsam sorge­be­rechtigte Eltern und ihre jeweils einjährigen Kinder. Letztere sollen nach dem Wunsch der Eltern zeitnah in einer kommunalen Kinder­ta­gesstätte beziehungsweise von einer Tagesmutter, die die Erlaubnis zur Kinder­ta­gespflege nach § 43 SGB VIII besitzt, betreut werden. Die Kinder sind nicht gegen Masern geimpft. Es besteht weder eine medizinische Kontra­in­di­kation gegen eine Masern­schutz­impfung noch verfügen sie über eine entsprechende Immunität.

Folgenabwägung geht zum Nachteil der Beschwer­de­führer aus

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfas­sungs­wid­rigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfas­sungs­be­schwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei einem offenen Ausgang der Verfas­sungs­be­schwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfas­sungs­be­schwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfas­sungs­be­schwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe. Wird – wie hier – die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Ein Gesetz darf deshalb nur dann vorläufig am Inkrafttreten gehindert werden, wenn die Nachteile, die mit seinem Inkrafttreten nach späterer Feststellung seiner Verfas­sungs­wid­rigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfas­sungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten.

Erfolg der Verfas­sungs­be­schwerde kann wegen fehlender Betreuung nachteilige wirtschaftliche Folgen für Eltern haben

Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätten die Verfas­sungs­be­schwerden Erfolg, wäre das gesetzliche Betreu­ungs­verbot zu Unrecht erfolgt. Dies führte dazu, dass zwischen­zeitlich die minderjährigen Beschwer­de­führer mangels Masern­schutz­impfung nicht wie beabsichtigt betreut werden könnten und sich deren Eltern um eine anderweitige Kinderbetreuung kümmern müssten, was mitunter nachteilige wirtschaftliche Folgen nach sich zöge.

Betreuung ohne Masern­schutz­impfung birgt Gefahren für das Leben und körperlicher Unversehrtheit vieler Personen

Erginge dagegen die beantragte einstweilige Anordnung und hätten die Verfas­sungs­be­schwerden keinen Erfolg, wären durch die beantragte einstweilige Außer­voll­zug­setzung von § 20 Abs. 8 Satz 1 bis 3, Abs. 9 Satz 1 und 6, Abs. 12 Satz 1 und 3 und Abs. 13 Satz 1 IfSG grundrechtlich geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter von hohem Gewicht betroffen. Die grundsätzliche Pflicht, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern vor der Betreuung in einer Gemein­schaft­s­ein­richtung nachzuweisen, dient dem besseren Schutz vor Maser­n­in­fek­tionen, insbesondere bei Personen, die regelmäßig in Gemeinschafts- und Gesund­heits­ein­rich­tungen mit anderen Personen in Kontakt kommen. Impfungen gegen Masern in bestimmten Gemein­schaft­s­ein­rich­tungen sollen nicht nur das Individuum gegen die Erkrankung schützen, sondern gleichzeitig die Weiter­ver­breitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindern, wenn mit Hilfe der Maßnahmen erreicht wird, dass die Impfquote in der Bevölkerung hoch genug ist. Auf diese Weise könnten auch Personen geschützt werden, die aus medizinischen Gründen selbst nicht geimpft werden können, bei denen aber schwere klinische Verläufe bei einer Infektion drohen. Ziel des Masern­schutz­ge­setzes ist namentlich der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat prinzipiell auch kraft seiner grund­recht­lichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG angehalten ist.

Interesse an der Abwehr infek­ti­o­ns­be­dingter Risiken für Leib und Leben vorrangig

Bei Gegen­über­stellung der danach jeweils zu erwartenden Folgen muss das Interesse der Beschwer­de­führer, ihre Kinder ohne Masern­schutz­impfung in einer Gemein­schaft­s­ein­richtung betreuen zu lassen, beziehungswiese der Kinder, selbst dort betreut zu werden, gegenüber dem Interesse an der Abwehr infek­ti­o­ns­be­dingter Risiken für Leib und Leben einer Vielzahl von Personen zurücktreten. Die Nachteile, die mit Inkrafttreten der angegriffenen Regelungen des Masern­schutz­ge­setzes nach späterer Feststellung seiner Verfas­sungs­wid­rigkeit verbunden wären, überwiegen in Ausmaß und Schwere nicht – und schon gar nicht deutlich – die Nachteile, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfas­sungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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