24.11.2024
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Dokument-Nr. 11218

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.01.2011

BVerfG: Neufassung des Baufor­de­rungs­si­che­rungs­ge­setzes verfas­sungsgemäßSchutz von Bauhandwerkern und Baubeteiligte vor Forde­rungs­aus­fällen legitimiert Eingriff in die Berufs­aus­übungs­freiheit von Bauunternehmern

Die Neufassung des Baufor­de­rungs­si­che­rungs­ge­setzes, die den Empfänger von Baugeld verpflichtet, dieses nur zur Befriedigung von Forderungen solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung des Baus aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Liefe­rung­vertrags beteiligt waren, ist rechtmäßig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und wies eine Verfas­sungs­be­schwerde ab, mit der die Beschwer­de­führer eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und des allgemeinen Gleich­heits­satzes rügten.

Das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Baufor­de­rungs­si­che­rungs­gesetz -BauFordSiG) dient dem Zweck, Bauhandwerker und andere Baubeteiligte, die mit ihren Arbeiten in Vorleistung treten, vor Forde­rungs­aus­fällen, insbesondere bei einem Bankrott des Bauunternehmers, zu schützen. Vor dem Hintergrund, dass vor allem Handwerker und mittel­stän­dische Bauunternehmen in den neuen Bundesländern seit längerer Zeit erhebliche Forde­rungs­ausfälle und daraus resultierende teilweise existenz­be­drohende Liqui­di­täts­schwie­rig­keiten beklagt hatten, wurde das Baufor­de­rungs­si­che­rungs­gesetz durch Artikel 3 des Gesetzes zur Sicherung von Werkun­ter­neh­me­r­ansprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen vom 23. Oktober 2008 novelliert. Insbesondere wurde die Vorschrift des § 1 BauFordSiG ausgeweitet, die den Empfänger von Baugeld verpflichtet, dieses nur zur Befriedigung von Forderungen solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung des Baus aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Liefe­rung­vertrags beteiligt waren. Von dieser Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht sollten nunmehr alle Gelder erfasst werden, die ein Unternehmer in der Kette nach dem Bauherrn erhält. § 2 BauFordSiG enthält einen die Fälle einer Zuwiderhandlung regelnden Straftatbestand, der im Wesentlichen der früher in § 5 erfassten Strafbestimmung entspricht.

Beschwer­de­führer rügen Verletzung der Berufsfreiheit und des allgemeinen Gleich­heits­satzes

Die Beschwer­de­führerin zu 1), eine GmbH, ist ein Bauunternehmen mit den Schwerpunkten Verkehrswegebau, Ingenieurhoch- und -tiefbau, Rekonstruktion von Bestands­bau­werken sowie Schlüs­sel­fer­tigbau. Der Beschwer­de­führer zu 2) ist Geschäftsführer und Mehrheits­ge­sell­schafter der Beschwer­de­führerin zu 1). Mit der Verfas­sungs­be­schwerde rügen die Beschwer­de­führer eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und des allgemeinen Gleich­heits­satzes. Zudem verstoße die Strafvorschrift in § 2 BauFordSiG gegen das Bestimmt­heitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) und gegen die Unschulds­ver­mutung aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 11 AEMR, Art. 6 EMRK.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht verneint Verletzung der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit die Beschwer­de­führer eine Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes, des Bestimmt­heits­gebots und der Unschulds­ver­mutung geltend machen, ist die Verfas­sungs­be­schwerde unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert begründet worden ist. Im Übrigen ist sie unbegründet, da die Beschwer­de­führer durch die angegriffenen Regelungen nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit verletzt werden.

Eingriff in Berufsfreiheit verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die durch die Neufassung des Baufor­de­rungs­si­che­rungs­ge­setzes in ihrem Anwen­dungs­bereich erheblich ausgeweitete Pflicht zur zweck­ent­spre­chenden Verwendung von Baugeld greift zwar in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein. Die Verpflichtung, empfangenes Baugeld entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwenden, beeinträchtigt nicht nur die Beschwer­de­führerin zu 1) in diesem Grundrecht, sondern auch den Beschwer­de­führer zu 2), da ihm in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer im Falle einer Zuwiderhandlung Sanktionen in Form von Schaden­s­er­satz­ansprüchen und Strafbarkeit drohen. Der Eingriff ist jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. § 1 BauFordSiG genügt den sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Bestimmt­heits­an­for­de­rungen. Der Vorschrift ist das klare Handlungsgebot zu entnehmen, empfangenes Baugeld zur Befriedigung von Forderungen der im Gesetz genannten Personen zu verwenden. Weiter folgt aus Wortlaut, Zweck und Entste­hungs­ge­schichte der Norm eindeutig, dass Baugeld nur zur Befriedigung solcher Baugläubiger eingesetzt werden darf, die für genau die Baustelle tätig geworden sind, für die das Baugeld gegeben wurde. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Maße ein Baugel­d­emp­fänger das Baugeld vor dem Zugriff Dritter zu sichern hat, lässt sich mit allgemeinen Ausle­gungs­grund­sätzen beantworten. § 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG steht ferner nicht in einem rechtsstaatlich bedenklichen Normwiderspruch zum Insolvenzrecht.

Der Eingriff in die Berufs­aus­übungs­freiheit genügt auch materiell den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen, da er durch das Ziel des Baufor­de­rungs­si­che­rungs­ge­setzes und seiner Novellierung, nämlich Bauhandwerker und andere Baubeteiligte vor Forde­rungs­aus­fällen zu schützen, legitimiert ist.

Angegriffene Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht zur Zweckerreichung nicht ungeeignet

Derzeit ist nicht festzustellen, dass die angegriffenen Regelungen zur Erreichung dieses Zwecks nicht geeignet wären. Im Rahmen seines weitgehenden Einschätzungs- und Progno­se­spielraums durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die praktische Bedeutung der Regelungen steigen würde. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die angegriffene Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht zur Zweckerreichung ungeeignet wäre, weil sie den Baugläubigern aufgrund insol­venz­recht­licher Regelungen keinen wirksamen Schutz bieten könnte. Denn dadurch würden das Verbot, Baugeld selbst zu verbrauchen oder an Dritte zu zahlen, und die aus einem Verstoß resultierenden Schaden­s­er­satz­ansprüche von Baugläubigern nicht beeinträchtigt.

Gelockerte Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht nicht in jeder Hinsicht zur Zweckerreichung gleich geeignet

Gegen die Erfor­der­lichkeit des Eingriffs bestehen derzeit ebenfalls keine Bedenken. Dies gilt auch für die Pflicht einer baustel­len­spe­zi­fischen Verwendung des Baugeldes. Eine Lockerung dieser Verpflichtung würde zwar, wie von der Bundesregierung und den Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Jahr 2009 in ihren Gesetzentwürfen zur Änderung des Baufor­de­rungs­si­che­rungs­ge­setzes vertreten, für Baugel­d­emp­fänger ein erheblich größeres Maß an Flexibilität und eine geringere Beein­träch­tigung ihrer Liquidität mit sich bringen. Nach den schlüssigen Einwänden des Bundesrates lässt sich jedoch nicht feststellen, dass eine gelockerte Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht in jeder Hinsicht zur Zweckerreichung gleich geeignet wäre. Denn nach Einschätzung des Bundesrats würde zum einen eine Aufhebung der Verpflichtung zur baustel­len­spe­zi­fischen Verwendung dazu führen, dass überschuldete Bauträger und General­un­ter­nehmer „im Schnee­ba­ll­system immer wieder «alte Löcher stopfen»" und sich zu Lasten der am jeweils jüngsten Projekt beteiligten Subunternehmer länger am Markt halten könnten. Zum anderen, so die weitere Prognose des Bundesrats, würde der Wegfall der Verpflichtung zur baustel­len­spe­zi­fischen Verwendung dazu führen, dass der Schutz von Subunternehmern nicht mehr praktikabel gewährleistet wäre.

Beein­träch­tigung der wirtschaft­lichen Handlungs­freiheit durch die Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht bejaht

Der Eingriff ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar wird die Beschwer­de­führerin zu 1) durch die Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht erheblich in ihrer wirtschaft­lichen Handlungs­freiheit beeinträchtigt, da sie das Baugeld nicht dazu benutzen darf, ältere Forderungen aus anderen Baumaßnahmen zu begleichen, und damit für sie die Möglichkeit eines „Cash-Poolings“ im Rahmen des Liqui­di­täts­ma­na­gements entfällt. Sie wird daher in größerem Umfang als bisher auf Eigenkapital oder Zwischen­fi­nan­zie­rungen angewiesen sein. Darüber hinaus bringt die Baugeld­ver­wen­dungs­pflicht für sie einen erhöhten Verwal­tungs­aufwand mit sich.

Beein­träch­ti­gungen im Hinblick auf bezweckten Schutz der Baugläubiger vor Forde­rungs­aus­fällen verhältnismäßig

Die Beschränkung der Liquidität von Baugel­d­emp­fängern wird jedoch durch das Entnahmerecht für Eigenleistungen nach § 1 Abs. 2 BauFordSiG abgemildert. Die gleichwohl verbleibenden erheblichen Beein­träch­ti­gungen der Beschwer­de­führer stehen nicht außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber legitimerweise bezweckten Schutz der Baugläubiger vor Forde­rungs­aus­fällen. Angesichts des Volumens, das die Forde­rungs­ausfälle in der Bauwirtschaft erreicht haben, und der teilweise existenziellen wirtschaft­lichen Folgen, die sich daraus insbesondere für Bauhandwerker ergeben, darf der Gesetzgeber auch solche Schutzmaßnahmen ergreifen, die die Berufs­aus­übungs­freiheit der Baugel­d­emp­fänger erheblich einschränken.

Gesetzgeber muss künftige Entwicklung beobachten und notfalls korrigierend eingreifen

Angesichts der prognostischen Unwägbarkeiten hinsichtlich der Auswirkungen gesetz­ge­be­rischer Maßnahmen zum Schutz des Bauhandwerks vor Zahlungs­aus­fällen wird der Gesetzgeber jedoch, so die Kammer abschließend, die weitere Entwicklung zu beobachten haben, um gegebenenfalls korrigierend einzugreifen zu können.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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