18.10.2024
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Dokument-Nr. 19281

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Beschluss19.11.2014Bundesverfassungsgericht1 BvR 2843/14
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2015, 33Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2015, Seite: 33
  • NJW 2015, 542Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 542
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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.11.2014

Umgangs- und Auskunfts­an­spruch des biologischen Vaters: Zeitpunkt der Einholung eines Ab­stammungs­gut­achtens muss verhältnismäßig seinGerichte müssen familiäre Auswirkungen der Abstam­mungs­er­klärung beachten und unnötige Eingriffe in das Famili­en­grundrecht vermeiden

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass es wegen der familiären Auswirkungen einer Abstam­mungs­klärung zur Wahrung des Verhältnis­mäßig­keits­grund­satzes geboten sein kann, diese erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Voraussetzungen eines Umgangs- oder Auskunfts­an­pruchs vorliegen. Im zugrunde liegenden Verfahren nahm das Bundes­verfassungs­gericht eine Verfassungs­beschwerde, die sich gegen die Einholung eines Ab­stammungs­gut­achtens im Verfahren auf Umgang und Auskunft des mutmaßlichen Vaters richtet, nicht zur Entscheidung an, da die von den Fachgerichten gewählte Prüfungs­rei­henfolge nach Auffassung des Bundes­verfassungs­gerichts nicht zu beanstanden war.

Die Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens sind ein Ehepaar mit seiner Tochter. Der Ehemann ist rechtlicher Vater der Tochter, der Antragsteller des Ausgangs­ver­fahrens hält sich selbst für ihren leiblichen Vater. Er macht ein Umgangs- und Auskunftsrecht nach § 1686 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geltend. Nachdem das Amtsgericht den Antrag insgesamt zurückgewiesen hatte, ordnete das Oberlan­des­gericht die Einholung eines Abstam­mungs­gut­achtens an. Die Beschwer­de­führer verweigerten hieran ihre Mitwirkung. Das Oberlan­des­gericht entschied daraufhin durch Zwischen­be­schluss, dass die Weigerung rechtswidrig sei. Hiergegen richtet sich die Verfas­sungs­be­schwerde.

Anordnung der Abstam­mungs­un­ter­suchung genügt Anforderungen des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht verwies darauf, dass die Anordnung und Durchführung einer Abstam­mungs­un­ter­suchung zwar insbesondere in das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der bestehenden Familie eingreife. Der Grund­recht­s­eingriff sei jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt; er beruhe auf gesetzlicher Grundlage und ist verhältnismäßig. Der Schutz der bestehenden Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) findet im verfas­sungs­rechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang und Auskunft über das Kind eine verfas­sungs­im­manente Schranke. In deren gesetzlicher Konkretisierung ermächtigt § 167 a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Gerichte zur Anordnung einer Abstam­mungs­un­ter­suchung, sofern dies in Verfahren nach § 1686 a BGB zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit in Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem mutmaßlichen leiblichen Vater zur Durchsetzung des neu geschaffenen Umgangs- oder Auskunfts­an­spruchs eine Abstam­mungs­klärung auch dann ermöglicht, wenn - wie hier - eine Vater­schafts­an­fechtung wegen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind nicht in Betracht kommt. Die aufgrund der genannten Regelungen ergangene Anordnung einer Abstam­mungs­un­ter­suchung genügt den Anforderungen des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes.

Anspruch auf Umgang und Auskunft darf Kindeswohl nicht widersprechen

Der Anspruch auf Umgang sowie Auskunft gemäß § 1686 a Abs. 1 BGB setzt neben der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers voraus, dass dieser ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und dass der Umgang dem Kindeswohl dient (Nr. 1), bzw. dass die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse dem Wohl des Kindes nicht widerspricht und der Antragsteller an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat (Nr. 2). Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Reihenfolge die Anspruchs­vor­aus­set­zungen durch das Gericht zu klären sind.

Reihenfolge die Anspruchs­vor­aus­set­zungen liegt nicht im Belieben der Gerichte

Von Verfassungs wegen darf diese Reihenfolge jedoch nicht im Belieben des Gerichts stehen, weil die Betroffenen nicht mit Grund­recht­s­ein­griffen belastet werden dürfen, die nicht erforderlich sind. Insbesondere dürfen die Gerichte sich hierbei nicht alleine von Prakti­ka­bi­li­täts­er­wä­gungen leiten lassen. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstam­mungs­klärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Famili­en­grundrecht vielmehr geboten sein, die Abstam­mungs­klärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen vorliegen; ist hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen für die Betroffenen ungleich belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstam­mungs­klärung vorzunehmen. Wenn sich die Frage der Kindes­wohl­dien­lichkeit oder -verträglichkeit ohne großen Aufwand klären lässt, wird das Gericht in der Regel vorab keine Abstam­mungs­un­ter­suchung anordnen dürfen. Die Anordnung einer Abstam­mungs­un­ter­suchung vor Klärung der sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen scheidet regelmäßig auch dann aus, wenn nach dem Stand der Ermittlungen unwahr­scheinlich ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Je wahrschein­licher hingegen ist, dass die sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen vorliegen und je geringer die damit verbundenen Beein­träch­ti­gungen des Familienlebens sind, desto eher darf eine Abstam­mungs­un­ter­suchung vor der abschließenden Klärung der sonstigen Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen angeordnet werden. Hierbei kann insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers zwischen den Beteiligten streitig ist oder nicht.

Gericht hat bei Abstam­mungs­un­ter­suchung im vorliegenden Fall keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken

Dies zugrunde gelegt, begegnet die Anordnung der Abstam­mungs­un­ter­suchung im vorliegenden Fall keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, obwohl die weiteren Anspruchs­vor­aus­set­zungen noch nicht abschließend geklärt sind. Das Oberlan­des­gericht nimmt in nicht zu beanstandender Weise an, dass erhebliche psychische Auswirkungen der Abstam­mungs­klärung auf die Beteiligten nicht zu befürchten sind, weil unstreitig ist, dass eine leibliche Vaterschaft des Antragstellers in Betracht kommt. Zudem sieht es derzeit die Voraussetzungen eines Auskunfts­an­spruchs nach § 1686 a Abs. 1 Nr. 2 BGB - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Dies erscheint nicht unplausibel, denn die Beschwer­de­führer haben selbst einen solchen Anspruch „anerkannt“ und damit zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht der Auskunft über das Kind keine unüberwindbaren Kindes­wohl­belange entgegenstehen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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