21.11.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 19164

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Beschluss29.10.2014BundesgerichtshofXII ZB 20/14
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2015, 34Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2015, Seite: 34
  • NJW 2014, 3786Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 3786
  • NJW-Spezial 2014, 744 (Wolfgang Roth)Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2014, Seite: 744, Entscheidungsbesprechung von Wolfgang Roth
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Dresden, Urteil24.10.2012, 307 F 1381/12
  • Oberlandesgericht Dresden, Urteil27.12.2013, 20 UF 1351/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss29.10.2014

BGH bejaht Exhumierung zur Feststellung der VaterschaftPostmortales Persönlich­keits­recht eines Verstorbenen tritt hinter das Recht eines Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass das postmortale Persönlich­keits­recht des Verstorbenen im Falle einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen DNA-Untersuchung und einer damit einhergehenden Exhumierung regelmäßig hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurücktritt.

Die im Jahr 1944 geborene und in der früheren DDR aufgewachsene Antragstellerin des zugrunde liegenden Verfahrens begehrt die Feststellung, dass der 2011 verstorbene S. ihr Vater sei. Die Antragstellerin behauptete, dass S. in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechts­verkehr mit ihrer Mutter gehabt habe. Diese habe ihr an ihrem 18. Geburtstag die Vaterschaft von S. offenbart. Ihre Mutter habe sie in den Nachkriegs­jahren zu der Familie S. in Westdeutschland reisen lassen, wo sie engen Kontakt zu ihrer "S.-Oma" gehabt habe. Bei einem späteren Treffen mit S. sei dieser selbst­ver­ständlich davon ausgegangen, ihr Vater zu sein.

Sohn des vermeintlichen Vaters der Antragstellerin verweigert Einwilligung in Exhumierung

Das Amtsgericht hat die Anträge der Antragstellerin, die Leiche von S. zu exhumieren, eine Gewebeprobe zu entnehmen und die Vaterschaft festzustellen, zurückgewiesen. Auf ihre Beschwerde hat das Oberlan­des­gericht die Exhumierung der Leiche zum Zwecke der Erstellung eines DNA-Abstam­mungs­gut­achtens angeordnet. Der eheliche Sohn von S. hat die Einwilligung in die Exhumierung und Gewebe­pro­ben­entnahme verweigert. Mit einem Zwischen­be­schluss hat das Oberlan­des­gericht diese Weigerung für unberechtigt erklärt. Hiergegen wendet sich der Sohn des Verstorbenen mit der zugelassenen Rechts­be­schwerde.

BGH erklärt Antrag auf Feststellung der Vaterschaft für zulässig

Die Rechts­be­schwerde blieb erfolglos. Der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft ist zulässig, weil die Angaben der Antragstellerin ausreichende Anhaltspunkte für eine Vaterschaft des S. enthalten, ihre Behauptung also nicht ins Blaue hinein erfolgt ist. Die Exhumierung ist auch deshalb erforderlich, weil sich der Sohn des S. geweigert hat, eigenes DNA-Material für die Begutachtung zur Verfügung zu stellen.

Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung hat Vorrang vor Totenruhe des Verstorbenen

Dem verfas­sungs­rechtlich geschützten Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist gegenüber der Totenruhe des Verstorbenen grundsätzlich der Vorrang einzuräumen. Sowohl nach der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention als auch nach dem Grundgesetz kommt dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung besondere Bedeutung zu. Sofern im Einzelfall durch die Untersuchung eine Verletzung des postmortalen Persön­lich­keits­rechts des Verstorbenen droht und damit das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurückzutreten hat, kann dem im Rahmen der Zumut­ba­r­keits­prüfung des entsprechend anzuwendenden § 178 Abs. 1 FamFG* hinreichend Rechnung getragen werden. Solche besonderen Gründe, die gegen eine Exhumierung und eine Begutachtung sprechen könnten, lagen im vorliegenden Fall nicht vor.

Teilhabe an väterlichem Erbe stellt legitimes Interesse des leiblichen Kindes dar

Das Interesse der Antragstellerin an der Feststellung der Vaterschaft wird nicht dadurch geschmälert, dass sie bereits seit langer Zeit über die mögliche Vaterschaft des S. informiert gewesen war bzw. keine Zweifel mehr an seiner Vaterschaft hatte. Ihr Interesse ist auch deswegen nicht geringer zu bewerten, weil sie damit vor allem die Geltendmachung eines Erbrechts verfolgt. Das Wissen um die eigene Herkunft ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daran ändert nichts, dass im Einzelfall bei der Klärung der Abstam­mungsfrage vermö­gens­rechtliche Interessen im Vordergrund stehen können. Zudem stellt die Teilhabe an dem väterlichen Erbe ein legitimes Interesse des leiblichen Kindes dar.

* § 178 Abs. 1 FamFG

Soweit es zur Feststellung der Abstammung erforderlich ist, hat jede Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn, dass ihr die Untersuchung nicht zugemutet werden kann.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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