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Bundesverfassungsgericht Urteil13.02.2007
Bundesverfassungsgericht untersagt Verwendung heimlicher Vaterschaftstests im gerichtlichen VerfahrenGesetzgeber muss aber Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitstellen
Zweifelnde Väter können aufatmen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass heimliche Vaterschaftstests unzulässig sind, gleichzeitig hat das höchste deutsche Gericht dem Gesetzgeber aber aufgegeben bis zum 31. März 2008 eine Regelung zu treffen, die ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitstellt.
Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen. Der Gesetzgeber hat aber zur Verwirklichung des Rechts des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm (neben dem Vaterschaftsanfechtungsverfahren) ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31. März 2008 eine entsprechende Regelung zu treffen. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 13. Februar 2007. Der Verfassungsbeschwerde lag der Fall einer Vaterschaftsanfechtungsklage zugrunde, die auf einen heimlich eingeholten DNA-Vaterschaftstest gestützt war. Die Zivilgerichte hatten die Verwertung des Gutachtens als Beweismittel abgelehnt.
Sachverhalt:
Der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratete Beschwerdeführer hatte seine Vaterschaft vor dem Jugendamt anerkannt. Jahre später ließ er ein ausgespucktes Kaugummi, das angeblich von dem Kind stammte, sowie eine eigene Speichelprobe ohne Wissen und Zustimmung des Kindes und der Mutter von einem privaten Labor genetisch analysieren. Die Analyse ergab, dass der Spender der Speichelprobe nicht der biologische Vater des Kindes sein konnte, von dem die Gegenprobe angeblich stammte.
Die darauf gestützte Vaterschaftsanfechtungsklage war sowohl vor dem Oberlandesgericht als auch dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof führte in seinem Urteil vom 12. Januar 2005 (XII ZR 227/03) aus, dass die Untersuchung des genetischen Materials eines anderen Menschen ohne dessen ausdrückliche Zustimmung gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoße und rechtswidrig sei. Dieses Grundrecht des Kindes brauche auch nicht hinter dem Interesse des als Vater geltenden Mannes, sich Gewissheit über seine biologische Vaterschaft zu verschaffen, zurückzustehen. Deshalb dürfe das Ergebnis einer solchen Untersuchung in einem Zivilprozess nicht verwertet werden.
Vorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dem (vermeintlichen) Vater erwachse aus seinem Persönlichkeitsrecht ein Anspruch, die Abstammung eines Kindes von ihm gerichtlich klären zu lassen. Eine verfassungskonforme Abwägung zwischen den Interessen des Vaters und des Kindes müsse zu dem Ergebnis führen, dass das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung Vorrang vor dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Vater der effektive Zugang zu einer Klärung der Abstammung bei mangelnder Zustimmung des Kindes und seiner Mutter zu einem DNA-Gutachten praktisch verwehrt werde und damit seine Interessen unverhältnismäßig zurückgesetzt würden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht nur das Recht eines Mannes auf Kenntnis der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes, sondern auch auf Verwirklichung dieses Rechts. Der Gesetzgeber hat es unter Verletzung dieses Grundrechtsschutzes unterlassen, einen Verfahrensweg zu eröffnen, auf dem das Recht auf Kenntnis der Abstammung in angemessener Weise geltend gemacht und durchgesetzt werden kann.
1. Zwar besteht die Möglichkeit, auf privatem Wege mit Einwilligung des Kindes beziehungsweise seiner sorgeberechtigten Mutter unter Verwendung von Genmaterial des Kindes ein Vaterschaftsgutachten einzuholen und dadurch Kenntnis über die Abstammung zu erlangen. Dieser Weg ist jedoch bei Fehlen der erforderlichen Einwilligung rechtlich verschlossen, da ein mit Hilfe von genetischem Datenmaterial heimlich eingeholter Vaterschaftstest auf einer nicht zu rechtfertigenden Verletzung des Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung basiert, vor der die staatlichen Organe Schutz zu bieten haben. Vor ungewollten Zugriffen auf das genetische Datenmaterial eines Kindes ist auch dessen sorgeberechtigte Mutter zu schützen. Zur verfassungsrechtlich geschützten elterlichen Sorge gehört auch, im Interesse des Kindes darüber zu entscheiden, ob jemand genetische Daten des Kindes erheben und verwerten darf.
2. Das Recht eines Mannes auf Kenntnis der Abstammung eines Kindes von ihm verlangt aber für Fälle, in denen Zweifel an der Vaterschaft bestehen, die Eröffnung eines Verfahrens, in dem die Abstammung geklärt werden kann, ohne dass daran zwingend weitere rechtliche Folgen geknüpft werden. Mit der Eröffnung eines solchen Verfahrens schränkt der Gesetzgeber über den hiermit notwendigerweise verbundenen Zugriff auf die genetischen Daten des Kindes zwar das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung ein. Da es sich um Daten handelt, die in Beziehung zu denen des Mannes stehen können, der rechtlicher Vater des Kindes ist, ist das Recht des Kindes, diese Daten nicht preiszugeben, ihm gegenüber aber weniger schützenswert. Auch Grundrechte der Mutter stehen der Bereitstellung eines Verfahrens zur Klärung und Feststellung der Abstammung eines Kindes von ihm nicht entgegen. Zwar räumt das Persönlichkeitsrecht der Mutter das Recht ein, selbst darüber zu befinden, ob und wem sie Einblick in ihr Geschlechtsleben gibt. Allerdings ist damit kein unzulässiger Eingriff in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung der Mutter verbunden. Der Eingriff dient dem vorrangigen Ziel der Klärung, ob das Kind aus ihrer Beziehung mit dem rechtlichen Vater hervorgegangen ist, der wiederum ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Kenntnis hat, ob das Kind von ihm abstammt.
3. Das Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist kein Verfahren, das dem Recht des Vaters allein auf Kenntnis der Abstammung des Kindes von ihm in verfassungsgemäßer Weise Rechnung trägt. Es beendet die rechtliche Vaterschaft, wenn sich im Verfahren erweist, dass das Kind nicht von seinem rechtlichen Vater abstammt. Zwar kommt es auch zur Klärung der Vaterschaft. Wegen seines überschießenden Zieles der rechtlichen Trennung vom Kind wird aber das Anfechtungsverfahren nicht dem Recht eines Mannes auch auf bloße Kenntnis der Abstammung eines Kindes von ihm gerecht. Der Wunsch eines rechtlichen Vaters kann sich allein darauf richten, zu wissen, ob das Kind wirklich von ihm abstammt, ohne zugleich seine rechtliche Vaterschaft aufgeben zu wollen. Auch die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Vaterschaft angefochten werden kann, sind, bezogen auf die Verfolgung des Interesses, Kenntnis von der Abstammung seines Kindes zu erlangen, unverhältnismäßig. Geht es lediglich um die Verfolgung dieses Ziels steht dem Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung kein entsprechend gewichtiges, schützenswertes Interesse von Kind und Mutter gegenüber. Daher wäre es nicht gerechtfertigt, ein Verfahren zur Klärung und Feststellung der Abstammung an dieselben Darlegungslasten und Fristen zu binden, die für die Anfechtungsklage maßgeblich sind. Zur Verfahrenseröffnung reichte hier aus, wenn der rechtliche Vater Zweifel an der Abstammung des Kindes von ihm vorträgt.
II. Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des Rechtes des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen. Auch der Umstand, dass bislang kein Verfahren zur Verfügung steht, das es einem Mann ermöglicht, allein die Abstammung eines ihm rechtlich zugeordneten Kindes zu klären und feststellen zu lassen, führt nicht dazu, ein solches besonders schützenswertes Interesse des Beschwerdeführers anerkennen zu können.
III. Auf welche Weise der Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Bereitstellung eines Verfahrens allein auf Feststellung der Vaterschaft nachkommt, liegt in seiner Gestaltungsfreiheit. Allerdings ist er gehalten, Sorge dafür zu tragen, dass im Vaterschaftsanfechtungsverfahren das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Kindes, gegebenenfalls seine rechtliche und soziale familiäre Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung findet. So etwa kann er sicherstellen, dass die nun leichter zu erwerbende Kenntnis des rechtlichen Vaters, nicht biologischer Vater zu sein, im Anfechtungsverfahren in bestimmten Fällen nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt.
Das Urteil ist, soweit es die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen bestätigt, mit 6 : 2 Stimmen ergangen, im übrigen einstimmig.
Siehe auch:
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.02.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts
der Leitsatz
1. Der Gesetzgeber hat zur Verwirklichung des Rechts des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen.
2.Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen.
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