18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.11.2019

Recht auf Vergessen: Kein Anspruch auf Löschung von Suchmaschinen-Link zu genehmigtem Fernsehbeitrag mit InterviewBei Prüfung eines Unterlassungs­an­spruchs gegen Such­maschinen­betreiber ist Meinungs­freiheit der Inhalteanbieter zu berücksichtigen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat unter Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eine Verfassungs­beschwerde gegen ein Urteil des Oberlan­des­ge­richts Celle zurückgewiesen. Dieses hatte eine Klage der Beschwer­de­führerin gegen einen Such­maschinen­betreiber abgewiesen, mit der sie sich dagegen wandte, dass auf Suchabfragen zu ihrem Namen der Link zu einem 2010 in ein Onlinearchiv eingestellten Transkript eines Fernsehbeitrags nachgewiesen wurde, in dem ihr unter namentlicher Nennung ein unfairer Umgang mit einem gekündigten Arbeitnehmer vorgeworfen wurde.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 21. Januar 2010 strahlte der Norddeutsche Rundfunk einen Beitrag des Fernsehmagazins "Panorama" mit dem Titel "Kündigung: Die fiesen Tricks der Arbeitgeber" aus. Gegen Ende dieses Beitrags, für den die Beschwer­de­führerin zuvor ein Interview gegeben hatte, wurde der Fall eines gekündigten ehemaligen Mitarbeiters des von ihr als Geschäfts­führerin geleiteten Unternehmens dargestellt. In Anknüpfung an die geplante Gründung eines Betriebsrats wurde ihr in dem Beitrag ein unfairer Umgang mit dem Mitarbeiter vorgeworfen.

OLG verneint Anspruch auf Entfernung des Links

Der Norddeutsche Rundfunk stellte eine Datei mit einem Transkript dieses Beitrags unter dem Titel "Die fiesen Tricks der Arbeitgeber" auf seiner Internetseite ein. Bei Eingabe des Namens der Beschwer­de­führerin in die Suchmaske des Suchma­schi­nen­be­treibers Google wurde als eines der ersten Suchergebnisse die Verlinkung auf diese Datei angezeigt. Nachdem dieser es abgelehnt hatte, die Nachweise dieser Seite zu unterlassen, erhob die Beschwer­de­führerin Klage, die vom Oberlan­des­gericht abgewiesen wurde. Die Beschwer­de­führerin könne weder aus § 35 Abs. 2 Satz 2 BDSG a. F. noch aus § 823 Abs. 1, § 1004 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG die Entfernung des Links (im Weiteren auch: Auslistung) beanspruchen.

Beschwer­de­führerin rügt Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts und Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung

Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin eine Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts und ihres Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung. Bereits die Überschrift des Suchergebnisses sei verfälschend, da sie niemals "fiese Tricks" angewandt habe. Das Suchergebnis rufe eine negative Vorstellung über sie als Person hervor, die geeignet sei, sie als Privatperson herabzuwürdigen. Überdies liege der Bericht zeitlich so weit zurück, dass auch in Folge des Zeitablaufs kein berechtigtes öffentliches Interesse mehr an ihm bestehe.

Anspruch auf Auslistung richtet sich nach unionsrechtlich vollständig verein­heit­lichten Rechts­vor­schriften

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht verwies darauf, dass das Verfahren zunächst Anlass gibt, den verfas­sungs­ge­richt­lichen Prüfungsmaßstab im Kontext des Unionsrechts näher zu bestimmen. Der von der Beschwer­de­führerin im Ausgangs­ver­fahren verfolgte Anspruch auf Auslistung richtet sich - sowohl für die damals geltende Daten­schutz­richtlinie als auch für die heutige Datenschutz-Grundverordnung - nach Rechts­vor­schriften, die unionsrechtlich vollständig vereinheitlicht sind und damit in allen Staaten der Europäischen Union gleichermaßen gelten. Die Frage, welche perso­nen­be­zogenen Daten eine Suchmaschine auf Suchabfragen nachweisen darf, fällt auch nicht in den Bereich des sogenannten Medienprivilegs, für das den Mitgliedstaaten ein Ausge­stal­tungs­spielraum zusteht (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Beschluss v. 06.11.2019 - 1 BvR 16/13 -).

Maßgeblich sind allein Unions­grund­rechte

Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig verein­heit­lichter Regelungen sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern allein die Unions­grund­rechte maßgeblich. Das Unionsrecht hat hier gegenüber den Grundrechten des Grundgesetzes Anwen­dungs­vorrang. Für die Frage, ob vollständig verein­heit­lichte Regelungen gegen Grundrechte verstoßen, entspricht das der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Nichts anderes gilt für die Frage, ob das vollver­ein­heit­lichte Fachrecht grund­rechts­konform angewendet wird.

Die Anwendung der Unions­grund­rechte folgt hier aus der Übertragung von Hoheits­be­fug­nissen auf die Europäische Union. Wenn diese Regelungen schafft, die in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten und einheitlich angewendet werden sollen, muss auch der bei der Anwendung dieser Regelungen zu gewährleistende Grund­rechts­schutz einheitlich sein. Dem steht eine Heranziehung der jeweiligen mitglied­s­taat­lichen Grund­rechts­s­tandards von vorneherein entgegen. Denn derzeit kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese mitglied­s­taat­lichen Grund­rechts­s­tandards über das gemeinsame Fundament der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention hinaus deckungsgleich sind. In ihnen spiegeln sich vielfältig bedingte tatsächliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten wie auch je eigene geschichtliche Erfahrungen. Ebensowenig kann davon ausgegangen werden, dass sich der Grund­rechts­schutz der Grund­recht­echarta gerade mit demjenigen des Grundgesetzes deckt. Damit ist von einem jeweiligen Eigenstand der unions­recht­lichen und der nationalen Grundrechte auszugehen.

Der Anwen­dungs­vorrang des Unionsrechts steht nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts unter dem Vorbehalt, dass der Grund­rechts­schutz durch die Unions­grund­rechte hinreichend wirksam ist. Erforderlich ist deshalb, dass deren Schutz dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grund­rechts­schutz im Wesentlichen gleich zu achten ist. Nach dem derzeitigen Stand des Unionsrechts - zumal unter Geltung der Charta - ist dies der Fall.

Prüfung am Maßstab der Unions­grund­rechte bisher nicht ausdrücklich in Erwägung gezogen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat jetzt erstmals entschieden, dass es die Anwendung des Unionsrechts durch deutsche Stellen selbst am Maßstab der Unions­grund­rechte prüft, soweit diese die deutschen Grundrechte verdrängen. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine Prüfung am Maßstab der Unions­grund­rechte nicht ausdrücklich in Erwägung gezogen. Soweit es die grund­ge­setz­lichen Grundrechte nicht angewendet hat, hat es vielmehr auf eine Grund­rechts­prüfung ganz verzichtet und die Grund­rechts­kon­trolle den Fachgerichten in Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof überlassen. Diese Rechtsprechung bezog sich auf Fallkon­stel­la­tionen, in denen, mittelbar oder unmittelbar, die Gültigkeit von Unionsrecht - also nicht dessen Anwendung - in Frage stand.

Geht es hingegen wie hier um die Frage, ob deutsche Gerichte oder Behörden bei der Anwendung vollver­ein­heit­lichten Unionsrechts den hierbei zu beachtenden Anforderungen der Unions­grund­rechte im Einzelfall genügt haben, kann sich das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht aus der Grund­rechts­prüfung zurückziehen; vielmehr gehört es dann zu seinen Aufgaben, Grund­rechts­schutz am Maßstab der Unions­grund­rechte zu gewährleisten. Die in Art. 23 Abs. 1 GG vorgesehene Öffnung des Grundgesetzes für das Unionsrecht meint nicht einen Rückzug der deutschen Staatsgewalt aus der Verantwortung für die der Union übertragenen Materien; vielmehr sieht sie eine Mitwirkung der deutschen Staatsorgane und damit auch des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts an deren Entfaltung vor. Durch die Einbeziehung der Unions­grund­rechte als Prüfungsmaßstab nimmt das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Verfahren der Verfas­sungs­be­schwerde daher seine Integra­ti­o­ns­ver­ant­wortung wahr.

Verletzung von Unions­grund­rechten kann nicht unmittelbar vor Europäischen Gerichtshof geltend gemacht werden

Maßgeblich ist hierfür vor allem, dass nach dem heutigen Stand des Unionsrechts anderenfalls eine Schutzlücke hinsichtlich der fachge­richt­lichen Anwendung der Unions­grund­rechte entstünde. Denn eine Möglichkeit Einzelner, die Verletzung von Unions­grund­rechten durch die mitglied­s­taat­lichen Fachgerichte unmittelbar vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen, besteht nicht. Das Unionsrecht kennt anders als das deutsche Recht keine Verfas­sungs­be­schwerde. Diese Schutzlücke wird auch nicht durch die schon bisher ausgeübte Kontrolle des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts über die Vorla­ge­ver­pflichtung der Fachgerichte an den Europäischen Gerichtshof hinreichend geschlossen.

BVerfG übt Kontrolle in enger Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof aus

Soweit das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Grundrechte der Grund­recht­echarta als Prüfungsmaßstab anlegt, übt es seine Kontrolle in enger Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof aus. Denn die Zuständigkeit für die letzt­ver­bindliche Auslegung des Unionsrechts und damit auch der Grundrechte der Charta liegt bei diesem. Soweit er deren Auslegung nicht bereits geklärt hat oder die anzuwendenden Ausle­gungs­grundsätze nicht aus sich heraus offenkundig sind - etwa auf der Grundlage einer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte -, wird das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ihm Fragen gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlegen. Ob die Fachgerichte, soweit sie im fachge­richt­lichen Instanzenzug letzt­in­sta­nzlich entscheiden, insoweit ebenfalls vorla­ge­pflichtig bleiben, bedurfte keiner Entscheidung.

Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes oder der Charta hängt von Unterscheidung zwischen vollständig verein­heit­lichtem und gestal­tungs­offenem Unionsrecht ab

Die Frage, ob die Grundrechte des Grundgesetzes oder der Charta anzuwenden sind, hängt maßgeblich von einer Unterscheidung zwischen vollständig verein­heit­lichtem und gestal­tungs­offenem Unionsrecht ab. Dies richtet sich nach einer Auslegung des jeweils anzuwendenden unions­recht­lichen Fachrechts und lässt sich nicht entlang der im deutschen Recht bekannten Abgrenzung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen entscheiden, zwischen denen das Unionsrecht nicht in gleicher Weise unterscheidet wie das deutsche Recht. Es ist vielmehr in Bezug auf die jeweilige Norm des Unionsrechts zu untersuchen, ob sie auf die Ermöglichung von Vielfalt und die Geltendmachung verschiedener Wertungen angelegt ist oder nicht.

Entscheidung des Plenums nicht erforderlich

Obwohl der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts damit erstmals entschieden hat, Verfas­sungs­be­schwerden gegebenenfalls am Kontrollmaßstab der Unions­grund­rechte zu prüfen, bedurfte es keiner Entscheidung des Plenums. Diese ist nach § 16 BVerfGG nur geboten, wenn ein Senat von einer für die Entscheidung tragenden Auffassung des anderen Senats abweichen möchte. Eine solche Abweichung liegt nicht vor, insbesondere nicht von der mit der sogenannten Solange II-Entscheidung des Zweiten Senats begründeten Rechtsprechung beider Senate. Deren Gegenstand war allein, ob und wieweit Unions- und vollver­ein­heit­lichtes inner­staat­liches Recht am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen sind. Demgegenüber zog diese eine Anwendbarkeit der Unions­grund­rechte - und schon gar der erst im Jahr 2009 verbindlich gewordenen Grund­recht­echarta - weder explizit noch implizit in Betracht und traf hierzu weder eine positive noch eine negative Aussage. Nichts anderes ergibt sich aus neueren Entscheidungen des Zweiten Senats.

Verfas­sungs­be­schwerde zulässig, aber ohne Erfolg

Die Beschwer­de­führerin ist beschwer­de­befugt, da sie sich auf die Unions­grund­rechte berufen kann. Indem sie sich auf eine Verletzung ihres Rechts auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit stützt, rügt sie der Sache nach eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Schutz perso­nen­be­zogener Daten nach Art. 7 und Art. 8 GRCh. Dass sie insoweit die Grundrechte des Grundgesetzes und nicht die Grundrechte der Charta nennt, ist unschädlich. Wird nur die falsche Norm benannt, aber in der Sache substantiiert vorgetragen, wird hierdurch die Verfas­sungs­be­schwerde nicht unzulässig.

Verfas­sungs­be­schwerde unbegründet

Die Verfas­sungs­be­schwerde war aber unbegründet. Wie bei der Heranziehung der Grundrechte des Grundgesetzes prüft das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht die richtige Anwendung des einfachen Rechts (hier also die damals geltende Daten­schutz­richtlinie und das Bundes­da­ten­schutz­gesetz), sondern allein, ob die Fachgerichte den Unions­grund­rechten hinreichend Rechnung getragen und zwischen ihnen im Rahmen der gebotenen Abwägung einen vertretbaren Ausgleich gefunden haben. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bejaht.

Grundrechte der Charta gewähren auch Schutz bei privat­recht­lichen Streitigkeiten

Wie die Grundrechte des Grundgesetzes gewährleisten auch die Grundrechte der Charta nicht nur Schutz im Staat-Bürger-Verhältnis, sondern auch in privat­recht­lichen Streitigkeiten. Auf Seiten der Beschwer­de­führerin sind in die Abwägung die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 GRCh und auf Schutz perso­nen­be­zogener Daten aus Art. 8 GRCh einzustellen. Eine Entsprechung haben diese Garantien in Art. 8 EMRK.

Verbot zur Verbreitung von Beiträgen kann zu eigenständiger Einschränkung der Meinungs­freiheit des Dritten führen

Auf Seiten des beklagten Suchma­schi­nen­be­treibers ist sein Recht auf unter­neh­me­rische Freiheit aus Art. 16 GRCh einzustellen, während er sich für die Verbreitung von Suchnachweisen nicht auf die Meinungs­freiheit aus Art. 11 GRCh berufen kann. Einzustellen sind jedoch die von einem solchen Rechtsstreit unmittelbar betroffenen Grundrechte Dritter und damit vorliegend - neben den Infor­ma­ti­o­ns­in­teressen der Nutzer - die Meinungs­freiheit des Norddeutschen Rundfunks. Da es darum geht, ob dem Suchma­schi­nen­be­treiber verboten werden kann, die von einem Dritten, hier dem Norddeutschen Rundfunk, bereit­ge­stellten Beiträge zu verbreiten, kann in einem solchen Verbot zugleich eine eigenständige Einschränkung der Meinungs­freiheit des Dritten liegen. Denn diesem wird dadurch ein bereitstehender Dienstleister genommen und so in Teilen zugleich ein wichtiges Medium für die Verbreitung seiner Berichte. Dies ist nicht ein bloßer Reflex einer Anordnung gegenüber dem Suchma­schi­nen­be­treiber. Vielmehr knüpft die Entscheidung unmittelbar an die Äußerung und an den Gebrauch der Meinungs­freiheit an, da es gezielt darum geht, die Verbreitung des Beitrags wegen seines Inhalts zu beschränken.

Grundlage der Abwägung ist die Tätigkeit des Suchma­schi­nen­be­treibers, die hinsichtlich der damit verbundenen Grund­recht­s­ein­schrän­kungen eigenständig zu beurteilen ist. Die Frage, ob er rechtmäßig gehandelt hat, ist nicht identisch mit der Frage, ob die Veröf­fent­lichung des Beitrags durch den Dritten rechtmäßig war, auch wenn es insoweit Wechsel­wir­kungen geben kann. Damit ist ein Vorgehen gegenüber dem Suchma­schi­nen­be­treiber auch nicht subsidiär zu einem solchen gegenüber dem Dritten als Inhalteanbieter.

Gegen­über­ste­henden Grundrechte sind im vorliegenden Fall gleich­be­rechtigt miteinander abzuwägen

Nach der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ist zwar im Rahmen der Abwägung das Gewicht allein der wirtschaft­lichen Interessen des Suchma­schi­nen­be­treibers grundsätzlich nicht hinreichend schwer, um den Schutzanspruch Betroffener zu beschränken. Allerdings können das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit sowie vor allem einzubeziehende Grundrechte Dritter größeres Gewicht haben. Vorliegend ist die Meinungs­freiheit des durch die Entscheidung belasteten, insoweit grund­rechts­be­rech­tigten Norddeutschen Rundfunks als unmittelbar mitbetroffenes Grundrecht in die Abwägung einzubeziehen. Daher gilt hier - anders als in einigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, die insoweit andere Konstellationen betrafen - keine Vermutung eines Vorrangs des Schutzes des Persön­lich­keits­rechts; vielmehr sind die sich gegen­über­ste­henden Grundrechte gleich­be­rechtigt miteinander abzuwägen. Denn ebensowenig wie Einzelne gegenüber den Medien einseitig darüber bestimmen können, welche Informationen im Rahmen der öffentlichen Kommunikation über sie verbreitet werden, haben sie eine solche Bestim­mungsmacht gegenüber den Suchma­schi­nen­be­treibern.

Maß der Beein­träch­tigung der Persön­lich­keits­ent­faltung durch Verbreitung des streit­be­fangenen Beitrags entscheidend

Bei der Abwägung kommt es für die Gewichtung der Grund­recht­s­ein­schränkung der Betroffenen maßgeblich darauf an, wieweit sie durch die Verbreitung des streit­be­fangenen Beitrags, insbesondere auch unter Berück­sich­tigung der Möglichkeit namensbezogener Suchabfragen, in ihrer Persön­lich­keits­ent­faltung beeinträchtigt werden. Hierfür reicht nicht eine Würdigung der Berich­t­er­stattung in ihrem ursprünglichen Kontext; vielmehr ist auch die leichte und fortdauernde Zugänglichkeit der Informationen durch die Suchmaschine zu berücksichtigen. Dabei ist insbesondere auch der Bedeutung der Zeit zwischen der ursprünglichen Veröf­fent­lichung und deren späterem Nachweis Rechnung zu tragen, wie es nach der aktuellen Rechtslage auch in Art. 17 DSGVO nach dem Leitgedanken eines "Rechts auf Vergessenwerden" normiert ist.

Entscheidung des OLG nicht zu beanstanden

Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Oberlan­des­gericht stellt sowohl den Schutz des Persön­lich­keits­rechts auf Seiten der Beschwer­de­führerin als auch die unter­neh­me­rische Freiheit des Suchma­schi­nen­be­treibers in die Abwägung ein, letztere zu Recht in Verbindung mit der Meinungs­freiheit des Norddeutschen Rundfunks sowie dem Zugangs­in­teresse der Internetnutzer. Die Abwägung des Oberlan­des­ge­richts hält sich im fachge­richt­lichen Wertungsrahmen.

Beschwer­de­führerin muss belastende Wirkungen durch Berich­t­er­stattung auch in privatem Umfeld weitergehend hinnehmen

Zu kurz greift es allerdings, wenn es dabei die Beschwer­de­führerin nur als in ihrer Sozialsphäre betroffen ansieht. Die Auffindbarkeit und Zusammenführung von Informationen mittels namensbezogener Suchabfragen führt heute dazu, dass für deren Auswirkungen zwischen Privat- und Sozialsphäre kaum mehr zu unterscheiden ist. Als Kriterium für die Gewichtung des Gegenstands des Beitrags, nicht der Auswirkungen auf die Betroffenen, behält diese Unterscheidung aber ihre Aussagekraft. Tragfähig legt das Oberlan­des­gericht diesbezüglich dar, dass sich der Beitrag auf ein in die Gesellschaft hineinwirkendes berufliches Verhalten der Beschwer­de­führerin, nicht aber allein auf ihr Privatleben bezieht und in Hinblick hierauf durch ein noch fortdauerndes, wenn auch mit der Zeit abnehmendes öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse gerechtfertigt ist. Diesbezüglich muss die Beschwer­de­führerin belastende Wirkungen - auch in ihrem privaten Umfeld - weitergehend hinnehmen als gegenüber Beiträgen über ihr privates Verhalten.

Bericht und hierauf verweisender Link können nicht als Schmähung angesehen werden

Ergänzend konnte das Oberlan­des­gericht auch darauf abstellen, dass die Beschwer­de­führerin zu dem Interview, das Gegenstand des streitigen Beitrags war, ihre Zustimmung gegeben hatte. Zu Recht beurteilt die angegriffene Entscheidung den Bericht und den hierauf verweisenden Link auch nicht als Schmähung, da es nicht ohne Sachbezug allein um die Verunglimpfung der Person geht.

Anspruch auf Auslistung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gegeben

Das Oberlan­des­gericht hat auch den Zeitfaktor in seine Abwägung eingestellt und geprüft, ob die Weiter­ver­breitung des Beitrags unter Namensnennung angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit, die sowohl das Gewicht des öffentlichen Interesses als auch das der Grund­rechts­be­ein­träch­tigung modifizieren kann, noch gerechtfertigt ist. Letztlich sieht es einen Anspruch auf Auslistung im vorliegenden Fall mit verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Begründung als jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gegeben an. Dies trägt den Garantien der Grund­recht­echarta hinreichend Rechnung und lässt eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von Bedeutung und Tragweite der berührten Unions­grund­rechte nicht erkennen.

Vorlage an den EuGH nicht notwendig

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten. Die Anwendung der Unions­grund­rechte auf den vorliegenden Fall wirft keine Ausle­gungs­fragen auf, die nicht schon aus sich heraus klar oder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - unter ergänzender Berück­sich­tigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh) - hinreichend geklärt sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm/kg)

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