23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.11.2018

Rechtsbegriffe in Zeitungs­ar­tikeln nur eingeschränkt gegen­darstellungs­fähigBei Bewertung von Äußerungen ist auf Verständnis eines durch­schnitt­lichen Zeitungslesers abzustellen

Für einen Gegen­darstellungs­anspruch muss der Aussagegehalt der zu beanstandenden Äußerung eindeutig bestimmbar sein. Enthält die zu beanstandende Äußerung einen Rechtsbegriff, darf das Fachgericht nicht das eigene Fachwissen zugrunde legen. Es hat vielmehr auf das Verständnis des durch­schnitt­lichen Zeitungslesers abzustellen. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und gab der Verfassungs­beschwerde eines Verlags statt, die sich gegen die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegen­dar­stellung richtete.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens verlegt eine überregionale Zeitung. Mit der Schlagzeile "B. EXKLUSIV Millionen-Gläubiger packt aus - B. verpfändete auch das Haus seiner Mutter!" kündigte diese ein Interview mit einem ehemaligen Geschäfts­partner von B. an. Das Interview war auf Seite 3 der Ausgabe abgedruckt. Aus dem Interview ging zutreffend hervor, dass B. unter anderem ein Hausgrundstück, auf dem seine Mutter wohnte, auf eine Sicher­hei­tenliste hatte eintragen lassen. Diese Sicher­hei­tenliste verschaffte seinem Darle­hens­gläubiger einen schuld­recht­lichen Anspruch auf Eintragung eines Grund­pfand­rechts an den gelisteten Grundstücken, begründet aber kein Pfandrecht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Auf Antrag von B. erließ das Landgericht eine einstweilige Verfügung. Danach wurde die Beschwer­de­führerin zum Abdruck folgender Gegendarstellung verpflichtet: "[...] Hierzu stelle ich fest: Ich habe das Haus meiner Mutter nicht verpfändet. [...]".

KG: Beanstandete Äußerung stellt gegen­dar­stel­lungs­fähige Tatsa­che­n­in­for­mation dar

Auf den Widerspruch der Beschwer­de­führerin bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwer­de­führerin verwarf das Kammergericht. Zur Begründung führt das aus, dass die beanstandete Äußerung eine dem Beweis zugängliche Tatsa­che­n­in­for­mation darstelle und damit gegen­dar­stel­lungsfähig sei. Für einen durch­schnitt­lichen Bürger bedeute der Begriff "verpfänden", dass der bisherige Eigentümer nicht mehr über die Sache verfügen könne und der Gläubiger diese Sache gegebenenfalls berech­tig­terweise verwerten dürfe. Auf der Grundlage dieses Verständnisses sei der Begriff "verpfänden" nicht gleichbedeutend mit der Formulierung "als Sicherheit stellen". Die tatsächlich erfolgte, rein schuld­rechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grund­pfand­rechts werde aus Sicht des Lesers daher nicht zutreffend beschrieben.

Zeitung sieht in Schlagzeile wertende Stellungnahme

Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde macht die Beschwer­de­führerin geltend, dass es sich bei der Schlagzeile um eine wertende Stellungnahme handle, gegen die keine Gegen­dar­stellung zulässig sei. Bereits die alltags­sprachliche Verwendung des Begriffs "verpfänden" sei diffus. Die vorgenommene Würdigung des Inhalts der Schlagzeile risse diese aus ihrem Kontext. Die Gegen­dar­stellung, die sie abdrucken müsse, sei zudem unzulässig mehrdeutig, da sie unterschlage, dass B. tatsächlich eine schuld­rechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grund­pfand­rechts eingegangen sei.

BVerfG: Verpflichtung zum Abdruck der Gegen­dar­stellung verletzt Grundrecht auf Pressefreiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde begründet sei. Die Verpflichtung zum Abdruck der Gegen­dar­stellung verletze die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Das Gericht habe bei der Titel­schlagzeile zu Unrecht eine gegen­dar­stel­lungs­fähige Tatsa­chen­be­hauptung angenommen. Eine Titel­schlagzeile sei als solche isoliert gegen­dar­stel­lungsfähig, wenn sie ohne Berück­sich­tigung des damit betitelten oder angekündigten Berichts in ihrem Kern eine gegen­dar­stel­lungs­fähige Tatsa­chen­be­hauptung enthalte. Lasse sich eine Titel­schlagzeile unterschiedlich verstehen, müsse zumindest die für die Gegen­dar­stellung maßgebliche Tatsa­chen­be­hauptung eindeutig bestimmbar sein. Ansonsten werde nicht klar, gegen welche Äußerung sich die betroffene Person mit ihrer Gegen­dar­stellung zur Wehr setzen möchte, so das Bundes­ver­fas­sungs­gericht. Vorliegend sei eine für juristische Laien eindeutig bestimmbare Tatsa­chen­be­hauptung nicht erkennbar. Es sei nicht auszuschließen, dass der in der Schlagzeile verwendete Begriff der "Verpfändung" von einem durch­schnitt­lichen Zeitungsleser auch als Beschreibung einer schuld­recht­lichen Siche­rungs­be­stellung verstanden werden könne. In einem solchen Fall dürften die Fachgerichte nicht auf ihr eigenes juristisches Begriffs­ver­ständnis zurückgreifen, sondern müssten das Verständnis eines Laien zugrunde legen.

Verfas­sungs­rechtlich zulässiger Gegen­dar­stel­lungs­an­spruch muss tatsächlicher Gegen­dar­stellung dienen

Auch der Inhalt der zugesprochenen Gegen­dar­stellung sei zu beanstanden. Die als Gegen­dar­stellung abgedruckte Erklärung "[...] Hierzu stelle ich fest: Ich habe das Haus meiner Mutter nicht verpfändet. [...]" sei ihrerseits inter­pre­ta­ti­o­ns­be­dürftig und stelle laut Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine bloße Negation der Titel­schlagzeile dar. Ein verfas­sungs­rechtlich zulässiger Gegen­dar­stel­lungs­an­spruch müsse jedoch der tatsächlichen Gegen­dar­stellung und nicht der bloßen Gegenbehauptung oder Richtigstellung unvertretbarer Rechts­be­haup­tungen dienen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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