21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil02.03.2010

BVerfG: Konkrete Ausgestaltung der Vorrats­da­ten­spei­cherung nicht verfas­sungsgemäßVorschriften genügen nicht der verfas­sungs­recht­lichen Transparenz und den Rechts­schutz­an­for­de­rungen

Die Regelungen des TKG und der StPO über die Vorrats­da­ten­spei­cherung sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Vorschriften genügen nicht der verfas­sungs­recht­lichen Transparenz und den Rechts­schutz­an­for­de­rungen und sind daher verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Die Verfas­sungs­be­schwerden richten sich gegen §§ 113a, 113b TKG und gegen § 100 g StPO, soweit dieser die Erhebung von nach § 113 a TKG gespeicherten Daten zulässt. Eingeführt wurden die Vorschriften durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung vom 21. Dezember 2007.

Vorsorgliche Speicherung sämtlicher Verkehrsdaten

§ 113 a TKG regelt, dass öffentlich zugängliche Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bieter verpflichtet sind, praktisch sämtliche Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax, SMS, MMS), E-Mail Diensten und Inter­net­diensten vorsorglich anlasslos zu speichern. Die Speiche­rungs­pflicht erstreckt sich im Wesentlichen auf alle Angaben, die erforderlich sind, um zu rekonstruieren, wer wann wie lange mit wem von wo aus kommuniziert hat oder zu kommunizieren versucht hat. Nicht zu speichern ist demgegenüber der Inhalt der Kommunikation, und damit auch, welche Internetseiten von den Nutzern aufgerufen werden. Nach Ablauf der Speiche­rungs­pflicht von sechs Monaten sind die Daten innerhalb eines Monats zu löschen.

Zweck und mögliche Verwendung der gespeicherten Daten

§ 113 b TKG regelt die möglichen Zwecke, für die diese Daten verwendet werden dürfen. Die Vorschrift versteht sich dabei als Scharniernorm: Sie enthält selbst keine Ermächtigung zur Datenabfrage, sondern bezeichnet nur grobmaschig allgemein mögliche Nutzungszwecke, die durch fachrechtliche Regelungen des Bundes und der Länder konkretisiert werden sollen. In Satz 1 Halbsatz 1 werden dabei die möglichen Zwecke der unmittelbaren Nutzung der Daten aufgelistet: Die Verfolgung von Straftaten, die Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und die Erfüllung von nachrich­ten­dienst­lichen Aufgaben. Halbsatz 2 erlaubt darüber hinaus die mittelbare Nutzung der Daten für Auskünfte nach § 113 Abs. 1 TKG in Form eines Auskunfts­an­spruchs gegenüber den Diens­tean­bietern zur Identifizierung von IP Adressen. Behörden können danach, wenn sie etwa durch Anzeige oder durch eigene Ermittlungen eine IP Adresse schon kennen, Auskunft verlangen, welchem Anschlussnehmer diese Adresse zugeordnet war. Der Gesetzgeber erlaubt dies unabhängig von näher begrenzenden Maßgaben zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungs­wid­rig­keiten sowie zur Gefahrenabwehr; ein Richter­vor­behalt ist insoweit ebenso wenig vorgesehen wie Benach­rich­ti­gungs­pflichten.

Regelung zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung

§ 100 g StPO regelt - in Konkretisierung des § 113 b Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 1 TKG - die unmittelbare Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten für die Strafverfolgung. Insgesamt betrachtet ist die Vorschrift dabei weiter und regelt den Zugriff auf Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten überhaupt. Sie erlaubt also auch und ursprünglich nur den Zugriff auf Verbin­dungsdaten, die aus anderen Gründen (etwa zur Geschäfts­ab­wicklung) bei den Diens­tean­bietern gespeichert sind. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, insoweit nicht zwischen der Nutzung der nach § 113 a TKG vorsorglich gespeicherten Daten und anderer Verkehrsdaten zu unterscheiden. Er erlaubt die Nutzung auch der Vorratsdaten unabhängig von einem abschließenden Straf­ta­ten­katalog für die Verfolgung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung sowie darüber hinaus nach Maßgabe einer einzel­fa­ll­be­zogenen Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung auch allgemein zur Verfolgung von Straftaten, die mittels Telekom­mu­ni­kation begangen wurden. Erforderlich ist eine vorherige richterliche Entscheidung; auch kennt die Straf­pro­zess­ordnung insoweit Benach­rich­ti­gungs­pflichten und nachträglichen Rechtsschutz.

Maßnahmen zum Datenschutz bleiben Mitglieds­s­taaten überlassen

Die angegriffenen Vorschriften verstehen sich als Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahre 2006. Nach dieser Richtlinie sind Anbieter von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diensten dazu zu verpflichten, die in § 113 a TKG erfassten Daten für mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre zu speichern und für die Verfolgung von schweren Straftaten bereitzuhalten. Keine näheren Regelungen enthält die Richtlinie zur Verwendung der Daten; auch die Maßnahmen zum Datenschutz werden im Wesentlichen den Mitgliedstaaten überlassen.

Übermittlung der Daten zu Straf­ver­fol­gungs­zwecken bisher nur unter eingeschränkten Bedingungen

Aufgrund der einstweiligen Anordnungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts durften die nach § 113 a TKG gespeicherten Daten zu Straf­ver­fol­gungs­zwecken nach § 113 b Satz 1 Nr. 1 TKG zunächst nur gemäß den in der einstweiligen Anordnung vorgesehenen Maßgaben und die nach § 113 a TKG auf Vorrat gespeicherten Daten für die Gefahrenabwehr (§ 113 b Satz 1 Nr. 2 TKG) von den Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diens­tean­bietern nur unter einschränkenden Bedingungen an die ersuchende Behörde übermittelt werden.

Beschwer­de­führer sehen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heimnis und Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung verletzt

Die Beschwer­de­führer sehen durch die Vorrats­da­ten­spei­cherung vor allem das Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heimnis und das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen für unver­hält­nismäßig. Insbesondere machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und Bewegungs­profile erstellen ließen. Eine Beschwer­de­führerin, die einen Inter­ne­ta­n­ony­mi­sie­rungs­dienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung verbundenen Kosten beein­träch­tigten die Anbieter von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diensten unver­hält­nismäßig in ihrer Berufsfreiheit.

BVerfG: Regelung ist insgesamt verfas­sungs­widrig und nichtig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die Regelungen des TKG und der StPO über die Vorrats­da­ten­spei­cherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Zwar ist eine Speiche­rungs­pflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfas­sungs­widrig. Es fehlt aber an einer dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwen­dungs­zwecke der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den verfas­sungs­recht­lichen Transparenz und Rechts­schutz­an­for­de­rungen. Die Regelung ist damit insgesamt verfas­sungs­widrig und nichtig.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Zur Zulässigkeit

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind nicht unzulässig, soweit die angegriffenen Vorschriften in Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG ergangen sind. Die Beschwer­de­führer erstreben, ohne dass sie dies angesichts ihrer unmittelbar gegen das Umset­zungs­gesetz gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden vor den Fachgerichten geltend machen konnten, eine Vorlage durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht an den Europäischen Gerichtshof, damit dieser im Wege der Vorab­ent­scheidung nach Art. 267 AEUV (vormals Art. 234 EGV) die Richtlinie für nichtig erkläre und so den Weg frei mache für eine Überprüfung der angegriffenen Vorschriften am Maßstab der deutschen Grundrechte. Jedenfalls auf diesem Weg ist eine Prüfung der angegriffenen Vorschriften am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes nach dem Begehren der Beschwer­de­führer nicht von vornherein ausgeschlossen.

Zur Begründetheit

1. Kein Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren vor dem Europäischen Gerichtshof

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht, da es auf einen möglichen Vorrang des Gemein­schafts­rechts nicht ankommt. Die Wirksamkeit der Richtlinie 2006/24/EG und ein sich hieraus möglicherweise ergebender Vorrang des Gemein­schafts­rechts vor deutschen Grundrechten sind nicht entschei­dungs­er­heblich. Der Inhalt der Richtlinie belässt der Bundesrepublik Deutschland einen weiten Entschei­dungs­spielraum. Ihre Regelungen sind im Wesentlichen auf die Speiche­rungs­pflicht und deren Umfang beschränkt und regeln nicht den Zugang zu den Daten oder deren Verwendung durch die Behörden der Mitgliedstaaten. Mit diesem Inhalt kann die Richtlinie ohne Verstoß gegen die Grundrechte des Grundgesetzes umgesetzt werden. Das Grundgesetz verbietet eine solche Speicherung nicht unter allen Umständen.

2. Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG

Die angegriffenen Vorschriften greifen auch soweit es um die Speicherung der Inter­net­zu­gangsdaten und um die Ermächtigung zu Auskünften nach § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG geht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG (Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heimnis) ein. Dass die Speicherung durch private Diensteanbieter erfolgt, steht dem nicht entgegen, da diese allein als Hilfspersonen für die Aufga­be­n­er­füllung durch staatliche Behörden in Anspruch genommen werden.

3. Möglichkeit einer anlasslosen Speicherung von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten

Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrich­ten­dienste, wie sie die §§ 113a, 113b TKG anordnen, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Bei einer Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung trägt, unterfällt eine anlasslose Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten nicht schon als solche dem strikten Verbot einer Speicherung von Daten auf Vorrat im Sinne der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Eingebunden in eine dem Eingriff adäquate gesetzliche Ausgestaltung kann sie den Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen genügen.

Speicherung ermöglicht die Erstellung aussa­ge­kräftiger Persönlichkeits- und Bewegungs­profile jeden Bürgers

Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte erstreckt, lassen sich aus diesen Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefon­ge­sprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesell­schaft­lichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen. Je nach Nutzung der Telekom­mu­ni­kation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussa­ge­kräftiger Persönlichkeits- und Bewegungs­profile praktisch jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu haben. Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchs­mög­lich­keiten, die mit einer solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung. Zumal die Speicherung und Datenverwendung nicht bemerkt werden, ist die anlasslose Speicherung von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.

Rekonstruktion von Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen für effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung

Dennoch kann eine solche Speicherung unter bestimmten Maßgaben mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar sein. Maßgeblich dafür ist zunächst, dass die vorgesehene Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten nicht direkt durch den Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten Diensteanbieter verwirklicht wird. Die Daten werden damit bei der Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt, sondern bleiben verteilt auf viele Einzel­un­ter­nehmen und stehen dem Staat unmittelbar als Gesamtheit nicht zur Verfügung. Eine Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten für sechs Monate stellt sich auch nicht als eine Maßnahme dar, die auf eine Totalerfassung der Kommunikation oder Aktivitäten der Bürger insgesamt angelegt wäre. Sie knüpft vielmehr in noch begrenzt bleibender Weise an die besondere Bedeutung der Telekom­mu­ni­kation in der modernen Welt an und reagiert auf das spezifische Gefah­ren­po­tential, das sich mit dieser verbindet. Eine Rekonstruktion gerade der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen ist daher für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung.

Anlasslose Daten­spei­cherung muss Ausnahme bleiben

Die verfas­sungs­rechtliche Unbedenk­lichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten setzt voraus, dass diese eine Ausnahme bleibt. Dass die Freiheits­wahr­nehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfas­sungs­recht­lichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union erheblich geringer.

4. Verhält­nis­mä­ßigkeit der gesetzlichen Ausgestaltung der Regelung (Maßstäbe)

Angesichts des besonderen Gewichts einer vorsorglichen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrs­da­ten­spei­cherung ist diese nur dann mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar, wenn ihre Ausgestaltung besonderen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen entspricht. Es bedarf insoweit hinreichend anspruchsvoller und normenklarer Regelungen zur Datensicherheit, zur Begrenzung der Datenverwendung, zur Transparenz und zum Rechtsschutz.

Anforderungen an die Datensicherheit

Angesichts des Umfangs und der potentiellen Aussagekraft der mit einer solchen Speicherung geschaffenen Datenbestände ist die Datensicherheit für die Verhält­nis­mä­ßigkeit der angegriffenen Vorschriften von großer Bedeutung. Erforderlich sind gesetzliche Regelungen, die ein besonders hohes Maß an Sicherheit jedenfalls dem Grunde nach normenklar und verbindlich vorgeben. Dabei steht es dem Gesetzgeber frei, die technische Konkretisierung des vorgegebenen Maßstabs einer Aufsichts­behörde anzuvertrauen. Der Gesetzgeber hat dabei jedoch sicherzustellen, dass die Entscheidung über Art und Maß der zu treffenden Schutz­vor­keh­rungen nicht letztlich unkontrolliert in den Händen der jeweiligen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­an­bieter liegt.

Anforderungen an die unmittelbare Datenverwendung

Angesichts des Gewichts der Daten­spei­cherung kommt eine Verwendung der Daten nur für überragend wichtige Aufgaben des Rechts­gü­ter­schutzes in Betracht.

Abruf der Daten setzt begründeten Verdacht einer schwerwiegenden Straftat voraus

Für die Strafverfolgung folgt hieraus, dass ein Abruf der Daten zumindest den durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Straftat voraussetzt. Welche Straf­tat­be­stände hiervon umfasst sein sollen, hat der Gesetzgeber abschließend mit der Verpflichtung zur Daten­spei­cherung festzulegen.

Abruf vorsorglich gespeicherter Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten nur bei konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Personen

Für die Gefahrenabwehr ergibt sich aus dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz, dass ein Abruf der vorsorglich gespeicherten Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten nur bei Vorliegen einer durch bestimmte Tatsachen hinreichend belegten, konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr zugelassen werden darf. Diese Anforderungen gelten, da es auch insoweit um eine Form der Gefah­ren­prä­vention geht, gleichermaßen für die Verwendung der Daten durch die Nachrich­ten­dienste. Eine Verwendung der Daten von Seiten der Nachrich­ten­dienste dürfte damit freilich in vielen Fällen ausscheiden. Dies liegt jedoch in der Art ihrer Aufgaben als Vorfeld­auf­klärung und begründet keinen verfas­sungs­rechtlich hinnehmbaren Anlass, die sich aus dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz ergebenden Voraussetzungen für einen Eingriff der hier vorliegenden Art abzumildern.

Verfas­sungs­rechtlich geboten ist als Ausfluss des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes überdies, zumindest für einen engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen ein grundsätzliches Übermitt­lungs­verbot vorzusehen. Zu denken ist hier etwa an Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit anderen Verschwie­gen­heits­ver­pflich­tungen unterliegen.

Anforderungen an die Transparenz der Daten­über­mittlung

Der Gesetzgeber muss die diffuse Bedrohlichkeit, die die als solche nicht spürbare Daten­spei­cherung und -verwendung für die Bürger erhalten können, durch wirksame Trans­pa­renz­regeln auffangen. Hierzu zählt der Grundsatz der Offenheit der Erhebung und Nutzung von perso­nen­be­zogenen Daten. Eine Verwendung der Daten ohne Wissen des Betroffenen ist verfas­sungs­rechtlich nur dann zulässig, wenn andernfalls der Zweck der Untersuchung, dem der Datenabruf dient, vereitelt wird. Für die Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung der Aufgaben der Nachrich­ten­dienste darf der Gesetzgeber dies grundsätzlich annehmen. Demgegenüber kommt im Rahmen der Strafverfolgung auch eine offene Erhebung und Nutzung der Daten in Betracht. Eine heimliche Verwendung der Daten darf hier nur vorgesehen werden, wenn sie im Einzelfall erforderlich und richterlich angeordnet ist. Soweit die Verwendung der Daten heimlich erfolgt, hat der Gesetzgeber die Pflicht einer zumindest nachträglichen Benach­rich­tigung vorzusehen. Diese muss gewährleisten, dass diejenigen, auf die sich eine Datenabfrage unmittelbar bezogen hat, wenigstens im Nachhinein grundsätzlich in Kenntnis zu setzen sind. Ausnahmen hiervon bedürfen der richterlichen Kontrolle.

Anforderungen an den Rechtsschutz und an Sanktionen

Eine Übermittlung und Nutzung der gespeicherten Daten ist grundsätzlich unter Richter­vor­behalt zu stellen. Sofern ein Betroffener vor Durchführung der Maßnahme keine Gelegenheit hatte, sich vor den Gerichten gegen die Verwendung seiner Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten zur Wehr zu setzen, ist ihm eine gerichtliche Kontrolle nachträglich zu eröffnen.

Schutz vor Persön­lich­keits­rechts­ge­fähr­dungen durch Dritte muss gewahrt bleiben

Eine verhält­nis­mäßige Ausgestaltung setzt weiterhin wirksame Sanktionen bei Rechts­ver­let­zungen voraus. Würden auch schwere Verletzungen des Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heim­nisses im Ergebnis sanktionslos bleiben mit der Folge, dass der Schutz des Persön­lich­keits­rechts angesichts der immateriellen Natur dieses Rechts verkümmern würde, widerspräche dies der Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen und ihn vor Persön­lich­keits­rechts­ge­fähr­dungen durch Dritte zu schützen. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich allerdings einen weiten Gestal­tungs­spielraum. Insoweit darf er auch berücksichtigen, dass bei schweren Verletzungen des Persön­lich­keits­rechts bereits nach geltender Rechtslage sowohl Verwer­tungs­verbote auf der Grundlage einer Abwägung als auch eine Haftung für immaterielle Schäden begründet sein können, und somit zunächst beobachten, ob der besonderen Schwere der Persön­lich­keits­ver­letzung, die in der unberechtigten Erlangung oder Verwendung der hier in Frage stehenden Daten regelmäßig liegt, möglicherweise schon auf der Grundlage des geltenden Rechts hinreichend Rechnung getragen wird.

Anforderungen an die mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung von IP-Adressen

Weniger strenge verfas­sungs­rechtliche Maßgaben gelten für eine nur mittelbare Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten in Form von behördlichen Auskunfts­ansprüchen gegenüber den Diens­tean­bietern hinsichtlich der Anschluss­inhaber bestimmter, bereits bekannter IP Adressen. Von Bedeutung ist hierfür zum einen, dass dabei die Behörden selbst keine Kenntnis der vorsorglich zu speichernden Daten erhalten. Die Behörden rufen im Rahmen solcher Auskunfts­ansprüche nicht die vorsorglich anlasslos gespeicherten Daten selbst ab, sondern erhalten lediglich perso­nen­be­zogene Auskünfte über den Inhaber eines bestimmten Anschlusses, der von den Diens­tean­bietern unter Rückgriff auf diese Daten ermittelt wurde. Systematische Ausforschungen über einen längeren Zeitraum oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungs­profilen lassen sich allein auf Grundlage solcher Auskünfte nicht verwirklichen. Maßgeblich ist zum anderen, dass für solche Auskünfte nur ein von vornherein feststehender kleiner Ausschnitt der Daten verwendet wird, deren Speicherung für sich genommen geringeres Eingriffs­gewicht hat und damit unter deutlich geringeren Voraussetzungen angeordnet werden könnte.

Ermittlung der Identität von Internetnutzern über IP Adressen

Allerdings hat auch die Begründung von behördlichen Auskunfts­ansprüchen zur Identifizierung von IP Adressen erhebliches Gewicht. Mit ihr wirkt der Gesetzgeber auf die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­be­din­gungen im Internet ein und begrenzt den Umfang ihrer Anonymität. Auf ihrer Grundlage kann in Verbindung mit der systematischen Speicherung der Inter­net­zu­gangsdaten hinsichtlich zuvor ermittelter IP Adressen die Identität von Internetnutzern in weitem Umfang ermittelt werden.

Auskunft darf nicht ins Blaue hinein eingeholt werden

Innerhalb des ihm dabei zustehenden Gestal­tungs­spielraums darf der Gesetzgeber solche Auskünfte auch unabhängig von begrenzenden Straftaten oder Rechts­gü­ter­ka­talogen für die Verfolgung von Straftaten, für die Gefahrenabwehr und die Aufga­ben­wahr­nehmung der Nachrich­ten­dienste auf der Grundlage der allgemeinen fachrechtlichen Eingriffs­er­mäch­ti­gungen zulassen. Hinsichtlich der Eingriffs­schwellen ist allerdings sicherzustellen, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt wird, sondern nur aufgrund eines hinreichenden Anfangs­ver­dachts oder einer konkreten Gefahr auf einzel­fa­ll­be­zogener Tatsachenbasis erfolgen darf. Ein Richter­vor­behalt muss für solche Auskünfte nicht vorgesehen werden; die Betreffenden müssen von der Einholung einer solchen Auskunft aber benachrichtigt werden. Auch können solche Auskünfte nicht allgemein und uneingeschränkt zur Verfolgung oder Verhinderung jedweder Ordnungs­wid­rig­keiten zugelassen werden. Die Aufhebung der Anonymität im Internet bedarf zumindest einer Rechts­gut­be­ein­träch­tigung, der von der Rechtsordnung auch sonst ein hervorgehobenes Gewicht beigemessen wird. Dies schließt entsprechende Auskünfte zur Verfolgung oder Verhinderung von Ordnungs­wid­rig­keiten nicht vollständig aus. Es muss sich insoweit aber um auch im Einzelfall besonders gewichtige Ordnungs­wid­rig­keiten handeln, die der Gesetzgeber ausdrücklich benennen muss.

Verant­wort­lichkeit für die Ausgestaltung der Regelungen

Die verfas­sungs­rechtlich gebotene Gewährleistung der Datensicherheit sowie einer den Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen genügenden normenklaren Begrenzung der Datenverwendung ist ein untrennbarer Bestandteil der Anordnung der Speiche­rungs­ver­pflichtung und obliegt deshalb gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG dem Bundes­ge­setzgeber. Hierzu gehören neben den Regelungen zur Sicherheit der gespeicherten Daten auch die Regelungen zur Sicherheit der Übermittlung der Daten sowie hierbei die Gewährleistung des Schutzes der Vertrau­ens­be­zie­hungen. Dem Bund obliegt darüber hinaus auch die Sicherstellung einer den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen entsprechenden, hinreichend präzisen Begrenzung der Verwen­dungs­zwecke der Daten, die mit der Speicherung verfolgt werden. Demgegenüber richtet sich die Verantwortung für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz und Rechts­schutz­be­stim­mungen nach den jeweiligen Sachkompetenzen. Im Bereich der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrich­ten­dienste liegt die Zuständigkeit damit weithin bei den Ländern.

5. Zu den Bestimmungen im Einzelnen (Anwendung der Maßstäbe)

Die angegriffenen Vorschriften genügen diesen Anforderungen nicht. Zwar ist § 113 a TKG nicht schon deshalb verfas­sungs­widrig, weil die Reichweite der Speiche­rungs­pflicht von vornherein unver­hält­nismäßig wäre. Jedoch entsprechen die Regelungen zur Datensicherheit, zu den Zwecken und zur Transparenz der Datenverwendung sowie zum Rechtsschutz nicht den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Damit fehlt es an einer dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz entsprechenden Ausgestaltung der Regelung insgesamt. §§ 113a, 113b TKG und § 100 g StPO, soweit dieser den Abruf der nach § 113 a TKG zu speichernden Daten erlaubt, sind deshalb mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Datensicherheit

Es fehlt schon an der gebotenen Gewährleistung eines besonders hohen Standards hinsichtlich der Datensicherheit. Das Gesetz verweist im Wesentlichen nur auf die im Bereich der Telekom­mu­ni­kation allgemein erforderliche Sorgfalt (§ 113 a Abs. 10 TKG) und relativiert dabei die Sicher­heits­an­for­de­rungen in unbestimmt bleibender Weise um allgemeine Wirtschaft­lich­keits­er­wä­gungen im Einzelfall (§ 109 Abs. 2 Satz 4 TKG). Dabei bleibt die nähere Konkretisierung der Maßnahmen den einzelnen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­dienst­leistern überlassen, die ihrerseits die Dienste unter den Bedingungen von Konkurrenz und Kostendruck anbieten müssen. Den Speiche­rungs­pflichtigen sind insoweit weder die von den Sachver­ständigen im vorliegenden Verfahren nahegelegten Instrumente zur Gewährleistung der Datensicherheit (getrennte Speicherung, asymmetrische Verschlüsselung, Vier-Augen-Prinzip verbunden mit forts­chritt­lichen Verfahren zur Authen­ti­fi­zierung für den Zugang zu den Schlüsseln, revisi­ons­sichere Protokollierung von Zugriff und Löschung) durchsetzbar vorgegeben, noch ist ein vergleichbares Sicher­heits­niveau anderweitig garantiert. Auch fehlt es an einem ausgeglichenen Sankti­o­nen­system, das Verstößen gegen die Datensicherheit kein geringeres Gewicht beimisst als Verstößen gegen die Speiche­rungs­pflichten selbst.

Unmittelbare Verwendung der Daten zur Strafverfolgung

Mit den aus dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz entwickelten Maßstäben unvereinbar sind auch die Regelungen zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung. § 100 g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO stellt nicht sicher, dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern lässt unabhängig von einem abschließenden Katalog generell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen. Erst recht bleibt § 100 g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StPO hinter den verfas­sungs­recht­lichen Maßgaben zurück, indem er unabhängig von deren Schwere jede mittels Telekom­mu­ni­kation begangene Straftat nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung als möglichen Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lässt. Mit dieser Regelung werden die nach § 113 a TKG gespeicherten Daten praktisch in Bezug auf alle Straf­tat­be­stände nutzbar. Ihre Verwendung verliert damit angesichts der forts­chrei­tenden Bedeutung der Telekom­mu­ni­kation im Lebensalltag ihren Ausnah­me­cha­rakter. Der Gesetzgeber beschränkt sich hier nicht mehr auf die Verwendung der Daten für die Verfolgung schwerer Straftaten, sondern geht hierüber und damit auch über die europarechtlich vorgegebene Zielsetzung der Daten­spei­cherung weit hinaus.

§ 100 g StPO lässt Datenabruf auch ohne Wissen des Betroffenen zu

Nicht den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen entspricht § 100 g StPO auch insoweit, als er einen Datenabruf nicht nur für richterlich zu bestätigende Einzelfälle, sondern grundsätzlich auch ohne Wissen des Betroffenen zulässt (§ 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO).

Fehlen einer richterlichen Kontrolle für Absehen von Benach­rich­tigung ist verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden

Demgegenüber sind die gerichtliche Kontrolle der Datenabfrage und Datennutzung sowie die Regelung der Benach­rich­ti­gungs­pflichten im Wesentlichen in einer den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen entsprechenden Weise gewährleistet. Die Erhebung der nach § 113 a TKG gespeicherten Daten bedarf gemäß § 100 g Abs. 2 Satz 1, § 100 b Abs. 1 Satz 1 StPO der Anordnung durch den Richter. Des Weiteren bestehen gemäß § 101 StPO differenzierte Benach­rich­ti­gungs­pflichten sowie die Möglichkeit, nachträglich eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme herbeizuführen. Dass diese Vorschriften einen effektiven Rechtsschutz insgesamt nicht gewährleisten, ist nicht ersichtlich. Verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden ist hingegen das Fehlen einer richterlichen Kontrolle für das Absehen von einer Benach­rich­tigung gemäß § 101 Abs. 4 StPO. Unmittelbare Verwendung der Daten für die Gefahrenabwehr und für die Aufgaben der Nachrich­ten­dienste:

Bereitstellung eines quasi offenen Datenpools mit Verfassung nicht vereinbar

§ 113 b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG genügt den Anforderungen an eine hinreichende Begrenzung der Verwen­dungs­zwecke schon seiner Anlage nach nicht. Der Bundes­ge­setzgeber begnügt sich hier damit, in lediglich genera­li­sie­render Weise die Aufgabenfelder zu umreißen, für die ein Datenabruf nach Maßgabe späterer Gesetzgebung, insbesondere auch der Länder, möglich sein soll. Damit kommt er seiner Verantwortung für die verfas­sungs­rechtlich gebotene Begrenzung der Verwen­dungs­zwecke nicht nach. Vielmehr schafft der Bundes­ge­setzgeber durch die Pflicht der Diensteanbieter zur vorsorglichen Speicherung aller Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten, verbunden gleichzeitig mit der Freigabe dieser Daten für die Verwendung durch die Polizei und die Nachrich­ten­dienste im Rahmen annähernd deren gesamter Aufga­ben­stellung, ein für vielfältige und unbegrenzte Verwendungen offenen Datenpool, auf den nur durch grobe Zielsetzungen beschränkt jeweils aufgrund eigener Entscheidungen der Gesetzgeber in Bund und Ländern zugegriffen werden kann. Die Bereitstellung eines solchen seiner Zwecksetzung nach offenen Datenpools hebt den notwendigen Zusammenhang zwischen Speicherung und Speiche­rungszweck auf und ist mit der Verfassung nicht vereinbar.

Die Ausgestaltung der Verwendung der nach § 113 a TKG gespeicherten Daten ist auch insoweit unver­hält­nismäßig, als für die Übermittlung keinerlei Schutz von Vertrau­ens­be­zie­hungen vorgesehen ist. Zumindest für einen engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen ist ein solcher Schutz grundsätzlich geboten.

Mittelbare Nutzung der Daten für Auskünfte der Diensteanbieter

Nicht in jeder Hinsicht genügt auch § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Zwar begegnet es keinen Bedenken, dass nach dieser Vorschrift Auskünfte unabhängig von einem Straftaten oder Rechts­gü­ter­katalog zulässig sind. Nicht mit der Verfassung zu vereinbaren ist demgegenüber, dass solche Auskünfte ohne weitere Begrenzung auch allgemein für die Verfolgung von Ordnungs­wid­rig­keiten ermöglicht werden. Auch fehlt es an Benach­rich­ti­gungs­pflichten im Anschluss an solche Auskünfte.

6. Vereinbarkeit mit Art. 12 GG

Demgegenüber sind die angegriffenen Vorschriften hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG, soweit in diesem Verfahren hierüber zu entscheiden ist, keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken ausgesetzt. Die Auferlegung der Speiche­rungs­pflicht wirkt gegenüber den betroffenen Diens­tean­bietern typischerweise nicht übermäßig belastend. Unver­hält­nismäßig ist die Speiche­rungs­pflicht insbesondere nicht in Bezug auf die finanziellen Lasten, die den Unternehmen durch die Speiche­rungs­pflicht nach § 113 a TKG und die hieran knüpfenden Folge­ver­pflich­tungen wie die Gewährleistung von Datensicherheit erwachsen. Der Gesetzgeber ist innerhalb seines insoweit weiten Gestal­tungs­spielraums nicht darauf beschränkt, Private nur dann in Dienst zu nehmen, wenn ihre berufliche Tätigkeit unmittelbar Gefahren auslösen kann oder sie hinsichtlich dieser Gefahren unmittelbar ein Verschulden trifft. Vielmehr reicht insoweit eine hinreichende Sach- und Verant­wor­tungsnähe zwischen der beruflichen Tätigkeit und der auferlegten Verpflichtung. Gegen die den Speiche­rungs­pflichtigen erwachsenden Kostenlasten bestehen danach keine grundsätzlichen Bedenken. Der Gesetzgeber verlagert auf diese Weise die mit der Speicherung verbundenen Kosten entsprechend der Privatisierung des Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­sektors insgesamt in den Markt. So wie die Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen die neuen Chancen der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­technik zur Gewinnerzielung nutzen können, müssen sie auch die Kosten für die Einhegung der neuen Sicher­heits­risiken, die mit der Telekom­mu­ni­kation verbunden sind, übernehmen und in ihren Preisen verarbeiten.

7. Nichtigkeit der angegriffenen Vorschriften

Der Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ge­heim­nisses nach Art. 10 Abs. 1 GG führt zur Nichtigkeit der §§ 113 a und 113b TKG sowie von § 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO, soweit danach Verkehrsdaten gemäß § 113 a TKG erhoben werden dürfen. Die angegriffenen Normen sind daher unter Feststellung der Grund­rechts­ver­letzung für nichtig zu erklären (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 1 und § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG).

Die Entscheidung ist hinsichtlich der europa­recht­lichen Fragen, der formellen Verfas­sungs­mä­ßigkeit und der grundsätzlichen Vereinbarkeit der vorsorglichen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrs­da­ten­spei­cherung mit der Verfassung im Ergebnis einstimmig ergangen. Hinsichtlich der Beurteilung der §§ 113 a und 113b TKG als verfas­sungs­widrig ist sie im Ergebnis mit 7:1 Stimmen und hinsichtlich weiterer materi­ell­recht­licher Fragen, soweit aus den Sondervoten ersichtlich, mit 6:2 Stimmen ergangen.

Dass die Vorschriften gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG für nichtig und nicht nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären sind, hat der Senat mit 4:4 Stimmen entschieden. Demzufolge können die Vorschriften auch nicht in eingeschränktem Umfang übergangsweise weiter angewendet werden, sondern verbleibt es bei der gesetzlichen Regelfolge der Nichti­g­er­klärung.

Sondervotum des Richters Schluckebier

1. In der Speicherung der Verkehrsdaten für die Dauer von sechs Monaten bei den Diens­tean­bietern liegt kein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG von solchem Gewicht, dass er als "besonders schwer" und damit gleichermaßen klassifiziert werden könnte wie ein unmittelbarer Zugriff durch die öffentliche Gewalt auf Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte. Die Verkehrsdaten verbleiben in der Sphäre der privaten Diensteanbieter, bei denen sie aus betrie­bs­tech­nischen Gründen anfallen und von denen der einzelne Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmer aufgrund der vertraglichen Bindung erwarten kann, dass diese sie in ihrer Sphäre strikt vertraulich behandeln und schützen. Wird die nach dem Stand der Technik mögliche Datensicherheit gewährleistet, so fehlt deshalb auch eine objektivierbare Grundlage für die Annahme eines speiche­rungs­be­dingten Einschüch­te­rungs­effekts beim Bürger. Die Speicherung erstreckt sich nicht auf den Inhalt der Telekom­mu­ni­kation. Bei der Gewichtung des Eingriffs muss deshalb eine wahrnehmbare Distanz zu solchen besonders schweren Eingriffen gewahrt bleiben, wie sie bei der akustischen Wohnrau­m­über­wachung, der inhaltlichen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung oder der so genannten Online-Durchsuchung infor­ma­ti­o­ns­tech­nischer Systeme durch unmittelbaren Zugriff staatlicher Organe vorliegen, und bei denen in besonderem Maße das Risiko besteht, dass der absolut geschützte Kernbereich privater Lebens­ge­staltung betroffen wird. Besonders eingriff­sin­tensiv ist danach nicht bereits die Speicherung der Verkehrsdaten beim Diensteanbieter, sondern erst der Abruf und die Nutzung der Verkehrsdaten durch staatliche Stellen im Einzelfall nach den dafür bestehenden Rechts­grundlagen; diese wie auch die richterliche Anordnung der Verkehrs­da­te­n­er­hebung unterliegen ihrerseits den strikten Anforderungen der Verhält­nis­mä­ßigkeit.

Aufklärung von Straftaten und wirksame Gefahrenabwehr nicht per se Bedrohung für die Freiheit der Bürger

2. Die angegriffenen Regelungen sind im Grundsatz nicht unangemessen, den Betroffenen zumutbar und damit verhältnismäßig im engeren Sinne. Der Gesetzgeber hat sich mit der Pflicht zur Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten für die Dauer von sechs Monaten, einer Verwen­dungs­zweck­re­gelung und der straf­pro­zess­recht­lichen Erhebungs­re­gelung in dem ihm von Verfassungs wegen zukommenden Gestal­tungs­rahmen gehalten. Die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern schließt die Aufgabe ein, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern oder sie aufzuklären und die Verantwortung für Rechts­guts­ver­let­zungen zuzuweisen. In diesem Sinne zählt die Gewährleistung des Schutzes der Bürger und ihrer Grundrechte sowie der Grundlagen des Gemeinwesens und die Verhinderung wie die Aufklärung bedeutsamer Straftaten zugleich zu den Voraussetzungen eines friedlichen Zusammenlebens und des unbeschwerten Gebrauchs der Grundrechte durch den Bürger. Effektive Aufklärung von Straftaten und wirksame Gefahrenabwehr sind daher nicht per se eine Bedrohung für die Freiheit der Bürger.

Gesetzgeber muss Einschätzungs- und Gestal­tungs­spielraum zukommen

In dem Spannungs­ver­hältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechts­gü­ter­schutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der wider­strei­tenden Interessen zu erreichen. Ihm kommt dabei ein Einschätzungs- und Gestal­tungs­spielraum zu. Ziel des Gesetzgebers war es hier, den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen, rechts­s­taat­lichen Straf­rechts­pflege angesichts einer grundlegenden Veränderung der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mög­lich­keiten und des Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ver­haltens der Menschen in den letzten Jahren Rechnung zu tragen. Dieses Ziel setzt grundsätzlich die Ermittelbarkeit der zur Aufklärung erforderlichen Tatsachen voraus. Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass gerade Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten aufgrund der technischen Entwicklung hin zu Flatrates oftmals entweder überhaupt nicht gespeichert werden oder bereits wieder gelöscht sind, bevor eine richterliche Anordnung zur Auskunft­s­er­teilung erwirkt werden kann oder auch nur die für einen entsprechenden Antrag erforderlichen Informationen ermittelt sind. Die Tatsache, dass elektronische oder digitale Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel in nahezu alle Lebensbereiche vorgedrungen sind und deshalb in bestimmten Bereichen die Strafverfolgung und auch die Gefahrenabwehr erschweren, berücksichtigt die Senatsmehrheit zwar bei der Prüfung der Geeignetheit und Erfor­der­lichkeit der Verkehrs­da­ten­spei­cherung, gewichtet sie aber bei der Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung im engeren Sinne unter dem Aspekt der Angemessenheit und Zumutbarkeit nicht in dem gebotenen Maße.

Die Senatsmehrheit schränkt damit zugleich den Einschätzungs- und Gestal­tungs­spielraum des Gesetzgebers, auf dem Felde der Straf­ta­ten­auf­klärung und der Gefahrenabwehr zum Schutz der Menschen angemessene und zumutbare Regelungen zu treffen, im praktischen Ergebnis nahezu vollständig ein. Dadurch trägt sie auch dem Gebot verfas­sungs­rich­ter­licher Zurückhaltung ("judicial self-restraint") gegenüber konzeptionellen Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers nicht hinreichend Rechnung. Das Urteil gibt eine Speicherdauer von sechs Monaten also dem durch die EG-Richtlinie geforderten Mindestmaß als an der Obergrenze liegend und verfas­sungs­rechtlich allenfalls recht­fer­ti­gungsfähig vor, schreibt dem Gesetzgeber regelungs­technisch vor, dass die Verwen­dungs­zweck­re­gelung zugleich die Zugriffs­vor­aus­set­zungen enthalten muss, beschränkt ihn auf eine Katalog­ta­ten­technik im Strafrecht, schließt die Möglichkeit der Nutzung der Verkehrsdaten auch zur Aufklärung von mittels Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mitteln begangenen schwer aufklärbaren Straftaten aus und erweitert die Benach­rich­ti­gungs­pflichten in bestimmter Art. Danach bleibt dem Gesetzgeber kein nennenswerter Spielraum mehr für eine Ausgestaltung in eigener politischer Verantwortung.

Gesetzgeber muss durch Regelung von erheblichen Aufklä­rungs­schwie­rig­keiten ausgehen

Der Senat verwehrt dem Gesetzgeber insbesondere die Abrufbarkeit der nach § 113 a TKG gespeicherten Verkehrsdaten für die Aufklärung von Straftaten, die nicht im derzeitigen Katalog des § 100 a Abs. 2 StPO bezeichnet, aber im Einzelfall von erheblicher Bedeutung sind, sowie von solchen Taten, die mittels Telekom­mu­ni­kation begangen sind (§ 100 g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO). Hinsichtlich der letztgenannten Taten wird nicht genügend gewichtet, dass der Gesetzgeber hier von erheblichen Aufklä­rungs­schwie­rig­keiten ausgeht. Da es Sache des Gesetzgebers ist, eine wirksame Strafverfolgung zu gewährleisten und keine beträchtlichen Schutzlücken entstehen zu lassen, kann es ihm nicht versagt sein, auch bei Straftaten, die zwar nicht besonders schwer sind, aber Rechtsgüter von Gewicht schädigen den Zugriff auf die Verkehrsdaten zu eröffnen, weil nach seiner Einschätzung nur so das Entstehen faktisch weitgehend rechtsfreier Räume und ein weitgehendes Leerlaufen der Aufklärung ausgeschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass sich der Gesetzgeber bei der Gestaltung der straf­pro­zes­sualen Zugriffs­be­fugnis an Kriterien orientiert hat, die der Senat in seinem Urteil vom 12. März 2003 (BVerfGE 107, 299 <322>) zur Herausgabe von Verbin­dungsdaten der Telekom­mu­ni­kation gebilligt hat.

3. Im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch hätte es auch auf der Grundlage der verfas­sungs­recht­lichen Würdigung der Senatsmehrheit unter Rückgriff auf eine ständige Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nahe gelegen, dem Gesetzgeber eine Frist für eine Neuregelung zu setzen und die bestehenden Vorschriften in Anlehnung an die Maßgaben der vom Senat erlassenen einstweiligen Anordnungen für vorübergehend weiter anwendbar zu erklären, um nachhaltige Defizite insbesondere bei der Aufklärung von Straftaten, aber auch bei der Gefahrenabwehr zu vermeiden.

Sondervotum Richter Eichberger

Das Sondervotum schließt sich der Kritik des Richters Schluckebier an der Beurteilung der Eingriff­sin­tensität der Speicherung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten als Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG im Wesentlichen an. Die den §§ 113a, 113b TKG zugrunde liegende gesetz­ge­be­rische Konzeption einer gestuften legislativen Verantwortung für die Speiche­rungs­a­n­ordnung auf der einen Seite und den Datenabruf auf der anderen Seite steht im Grundsatz mit der Verfassung in Einklang. Dies gilt insbesondere für die in § 100 g StPO geregelte Verwendung der nach § 113 a TKG gespeicherten Daten zu Zwecken der Strafverfolgung. Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen die Verhält­nis­mä­ßigkeit der Abrufregelung ausschließlich an dem größtmöglichen Eingriff eines umfassenden, letztlich auf ein Bewegungs- oder Sozialprofil des betroffenen Bürgers abzielenden Datenabrufs zu messen, sondern darf berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Datenabfragen weitaus geringeres Gewicht haben, über deren Zumutbarkeit im Einzelfall der hierzu berufene Richter zu entscheiden hat.

Quelle: ra-online, BVerfG

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