21.11.2024
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Dokument-Nr. 6957

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Beschluss15.10.2008Bundesverfassungsgericht2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MMR 2009, 36Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2009, Seite: 36
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss15.10.2008

Vorratsdaten­speicherung: BVerfG weist Eilantrag gegen Neuregelung der Telefon­über­wachung in der Straf­pro­zess­ordnung abNachteile nicht so schwerwiegend - umfassende Prüfung im Haupt­sa­che­ver­fahren

Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekom­mu­ni­kations­überwachung und anderer verdeckter Ermittlungs­maßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG wurden neben der sogenannten Vorratsdaten­speicherung auch einzelne Vorschriften der Straf­pro­zess­ordnung neugefaßt. Die Antragsteller in den hier zu entscheidenden Verfahren wenden sich gegen die Neufassungen der § 100 a Abs. 2 und Abs. 4 (Überwachung der Telekom­mu­ni­kation) und § 100 f StPO (Abhören außerhalb der Wohnung) durch Art. 1 Nr. 7 und Nr. 11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekom­mu­ni­kations­überwachung sowie die durch Art. 1 Nr. 12 dieses Gesetzes neu eingeführte Bestimmung des § 110 Abs. 3 StPO (Durchsicht elektronischer Speichermedien).

Die Antragsteller im Verfahren 2 BvR 236/08 wenden sich zudem gegen den durch Art. 1 Nr. 13a des Gesetzes zur Neuregelung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung neu eingefügten § 160 a StPO (Schutz zeugnis­ver­wei­ge­rungs­be­rech­tigter Berufs­ge­heim­nis­träger). Sie haben neben ihren erhobenen Verfas­sungs­be­schwerden einen Eilantrag gestellt, mit dem sie die einstweilige Aussetzung der durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­über­wachung eingeführten Vorratsdatenspeicherung von Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit in § 111, § 113 a Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz und der Änderungen und Neueinführung der § 100 a Abs. 2 und Abs. 4, § 100f, § 110 Abs. 3 und § 160 a StPO begehren.

Nachdem verschiedene Verfas­sungs­be­schwerden beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht eingegangen waren, hat der zuständige Ausschuss in diesen Verfahren die Zuständigkeit gem. § 14 Abs. 5 BVerfG geklärt. Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat in einem Paral­lel­ver­fahren bereits über den Eilantrag auf Aussetzung der Regelungen zur Vorrats­da­ten­spei­cherung von Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten eine einstweilige Anordnung erlassen (Eilantrag: Bundes­ver­fas­sungs­gericht schränkt "Vorrats­da­ten­spei­cherung" ein).

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat in den vorliegenden Verfahren die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verworfen, soweit sich die Antragsteller gegen die Neuregelungen in § 100 f und § 110 Abs. 3 StPO n.F. wenden, weil die in der Hauptsache erhobenen Verfas­sungs­be­schwerden wegen Zeitablaufs und mangelnder Beschwer von vornherein unzulässig sind.

Soweit sich die Antragsteller gegen die Regelungen in § 100 a Abs. 2 und Abs. 4 sowie § 160 a StPO n.F. wenden, sind die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden. Die in diesen Verfas­sungs­be­schwerden aufgeworfenen Fragen bedürfen einer umfassenden Prüfung im Haupt­sa­che­ver­fahren und können insoweit als offen angesehen werden. Deshalb sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfas­sungs­be­schwerden später aber Erfolg hätten, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, den Verfas­sungs­be­schwerden aber der Erfolg zu versagen wäre. Insoweit konnte das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Belange für den Bereich der straf­pro­zes­sualen Eingriffs­maß­nahmen auch unter Berück­sich­tigung nicht auszu­schlie­ßender Einwirkungen auf das Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ver­halten der Bürger durch den Senat nicht festgestellt werden.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat schon in früheren Entscheidungen die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheits­er­mittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechts­s­taat­lichen Gemeinwesens bezeichnet. Blieben die hier angegriffenen Regelungen des § 100 a Abs. 2 und Abs. 4 StPO n.F., die den Katalog der Anlasstaten und den Schutz des Kernbereichs privater Lebens­ge­staltung bei der Überwachung der Telekom­mu­ni­kation betreffen, in Kraft und hätten die Verfas­sungs­be­schwerden im Haupt­sa­che­ver­fahren Erfolg, würden zwar möglicherweise Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­vorgänge der Antragsteller und anderer Grund­recht­s­träger überwacht und aufgezeichnet werden, die bei engerer Fassung der Vorschriften nicht erfasst würden. Allerdings könnten dann zur Aufklärung von Straftaten relevante Ermitt­lungs­maß­nahmen nicht durchgeführt werden, wenn der Vollzug der angegriffenen Regelung des § 100 a Abs. 2 StPO n.F. vorläufig ausgesetzt und der Vollzug des § 100 a Abs. 4 StPO n.F. lediglich noch mit der Maßgabe gestattet würde, dass die Maßnahme nur angeordnet werden darf, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung keinerlei Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebens­ge­staltung erfasst werden. Damit entfiele die Möglichkeit, bestimmte Daten und Informationen zur Aufklärung von Straftaten zu nutzen. Dies beträfe auch Straftaten, die der Gesetzgeber durch die Aufnahme in den Katalog des § 100 a Abs. 2 StPO als so schwer eingestuft hat, dass sie nach seiner Einschätzung eine Überwachung der Telekom­mu­ni­kation rechtfertigen (vgl. Beschluss des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 11. März 2008 - 1 BvR 256/08).

Dasselbe gilt für die Regelung über den Schutz zeugnis­ver­wei­ge­rungs­be­rech­tigter Berufs­ge­heim­nis­träger (§ 160 a StPO). Auch hier ergibt die im Verfahren der einstweiligen Anordnung erforderliche Abwägung, dass das öffentliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung gegenüber dem Einzelinteresse überwiegt. Bliebe diese Norm in Kraft und hätte die Verfas­sungs­be­schwerde im Haupt­sa­che­ver­fahren Erfolg, würden möglicherweise Ermitt­lungs­maß­nahmen gegen Zeugnis­ver­wei­ge­rungs­be­rechtigte nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 StPO nach Verhält­nis­mä­ßig­keits­er­wä­gungen angeordnet oder gewonnene Erkenntnisse aus einer Ermitt­lungs­maßnahme gegen eine andere Person, über die eine der in § 160 a Abs. 2 StPO n.F. genannten Personen das Zeugnis verweigern dürfte, zu Beweiszwecken nach einer Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung verwertet werden. Damit wären die praktischen Wirkungen und damit auch die Funktion der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 3b, Nr. 5 StPO niedergelegten Zeugnis­ver­wei­ge­rungs­rechte beschränkt. In die Abwägung wären insoweit das öffentliche Interesse an den von den Berufs­ge­heim­nis­trägern wahrgenommenen Aufgaben und das individuelle Interesse an der Geheimhaltung von anvertrauten Tatsachen einzustellen. Würde hingegen im Wege der einstweiligen Anordnung die angegriffene Vorschrift nur mit der Maßgabe für anwendbar erklärt, dass für sämtliche in § 53 StPO genannten Zeugnis­ver­wei­ge­rungs­be­rechtigte ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwer­tungs­verbot bestünde, könnte dies dazu führen, dass zahlreiche Ermitt­lungs­maß­nahmen nicht durchgeführt werden dürften. Dies könnte zur Folge haben, dass die Aufklärung gewichtiger Straftaten nicht möglich wäre, weil einzelne Ermitt­lungs­maß­nahmen von vornherein nicht ergriffen oder erlangte Erkenntnisse nicht verwertet werden dürften.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 93/08 des BVerfG vom 07.11.2008

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