25.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.07.2015

Identitäts­fest­stellung von Versammlungs­teil­nehmern nur bei konkreter Gefahr für polizeiliches Schutzgut zulässigEingriff in Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung verfassungs­rechtlich nicht gerechtfertigt

Fertigt die Polizei Filmaufnahmen von einer Versammlung an, ist sie nicht ohne Weiteres berechtigt, die Identität von Versammlungs­teil­nehmern festzustellen, die die Polizeikräfte ihrerseits filmen. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und hob hierzu ergangene verwaltungs­gerichtliche Entscheidungen mangels ausreichender Begründung auf. Die Identitäts­fest­stellung ist nur bei konkreter Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut zulässig. Im vorliegenden Fall wären daher tragfähige Anhaltspunkte dafür erforderlich gewesen, dass die Filmaufnahmen der Versammlungs­teilnehmer später veröffentlicht werden sollen und nicht anderen Zwecken, etwa der Beweissicherung, dienen. Denn das Kunst­ur­he­ber­gesetz verbietet und bestraft nicht bereits die Anfertigung von Bildern, sondern erst deren unbefugte Verbreitung und Zurschau­stellung.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens befand sich im Januar 2011 auf einer angemeldeten Versammlung, bei der die Polizei Ton- und Bildaufnahmen der Versamm­lungs­teil­nehmer anfertigte. Dort wurde er von Polizeibeamten aufgefordert, sich auszuweisen. Seine Begleiterin erweckte den Eindruck, als filme sie ihrerseits die eingesetzten Polizeibeamten. Der Beschwer­de­führer kam der Aufforderung durch Aushändigung seines Perso­na­l­aus­weises nach. Die gegen die Maßnahme gerichtete Klage blieb vor dem Verwal­tungs­gericht und dem Oberver­wal­tungs­gericht ohne Erfolg.

BVerfG rügt unzulässigen Eingriff in Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung des Beschwer­de­führers verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt ist. Die Feststellung der Identität einer Person durch Befragen und die Aufforderung, dass sie mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt, greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein. Zwar ist das Gewicht des Grund­recht­s­ein­griffs verhältnismäßig gering, da die Identitätsfeststellung weder heimlich noch anlasslos erfolgt und die Persön­lich­keits­re­levanz der im Zusammenhang mit einer Identi­täts­fest­stellung erhobenen Informationen von vornherein begrenzt ist. Gleichwohl bedarf der Eingriff der verfas­sungs­recht­lichen Rechtfertigung im Einzelfall. Bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts - hier § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Nieder­säch­sischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - sind die Gerichte gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung hinreichend zu berücksichtigen.

Bloße Möglichkeit strafbarer Verletzungen des Rechts am eigenen Bild für Identi­täts­fest­stellung nicht ausreichend

Beabsichtigt die Polizei, wegen Lichtbildern und Videoaufnahmen präven­tiv­po­li­zeilich einzuschreiten, erfordert dies eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Dies ist eine Frage der tatsächlichen Umstände im Einzelfall. Dementsprechend geht die verwal­tungs­rechtliche Rechtsprechung grundsätzlich in verfas­sungs­kon­former Auslegung der §§ 22, 23 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunstUrhG) davon aus, dass unzulässige Lichtbilder nicht auch stets verbreitet werden. Gehen die Sicher­heits­be­hörden demgegenüber davon aus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht, eine solche unzulässige Verbreitung sei ebenfalls zu befürchten, bedarf es hierfür hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte. Die bloße Möglichkeit einer strafbaren Verletzung des Rechts am eigenen Bild genügt nicht, um eine Identi­täts­fest­stellung durchzuführen, da der Betreffende sonst aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen wird.

Videoaufnahmen könnten lediglich bloße Reaktion auf polizei­li­cherseits angefertigte Bild- und Tonauf­zeich­nungen sein

Dem genügen die angegriffenen Entscheidungen mit Blick auf die Identi­täts­fest­stellung nicht. Diesen zufolge hätten die eingesetzten Polizeibeamten schon deshalb davon ausgehen dürfen, dass die Aufnahmen im Internet veröffentlicht werden sollten, weil ein anderer Grund für die Beamten nicht ersichtlich gewesen sei. Dabei verkennen sie, dass der Anlass für die Aufnahmen hier darin lag, dass die Polizei selbst Bild- und Tonaufnahmen der Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung anfertigte. Fertigen Versamm­lungs­teil­nehmer in dieser Situation ihrerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten an, kann nicht ohne nähere Begründung von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KunstUrhG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschau­stellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizei­li­cherseits gefertigten Bild- und Tonauf­zeich­nungen, etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtss­trei­tig­keiten, handelt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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