14.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.07.2011

BVerfG: Grundrechte gelten auch für juristische Personen aus der EUVerfas­sungs­gericht verneint jedoch Urheber­rechts­verstoß bei aufgestellten Nachbildungen von Le-Corbusier-Möbeln

Auch ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben, können Träger materieller Grundrechte des Grundgesetzes seien. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Nach dem Urheber­rechts­gesetz (UrhG) steht dem Urheber eines Werkes das alleinige Verbrei­tungsrecht zu. § 17 Abs. 1 UrhG definiert das Verbrei­tungsrecht als das Recht, das Original oder Verviel­fäl­ti­gungs­stücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Die Vorschrift dient unter anderem der Umsetzung von Art. 4 der europäischen Urheber­rechts­richtlinie 2001/29/EG. Der Begriff der Verbreitung umfasste nach bislang allgemeiner Auffassung jede Handlung, durch die das Werk der allgemeinen Öffentlichkeit zugeführt wurde, wofür jede Besitz­über­lassung ausreichte. Daneben enthält § 96 UrhG ein Verwer­tungs­verbot für rechtswidrig hergestellte Verviel­fäl­ti­gungs­stücke.

Sachverhalt

Die Beschwer­de­führerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach italienischem Recht mit Sitz in Italien, produziert Möbel nach Entwürfen des 1965 verstorbenen Architekten und Möbeldesigners Le Corbusier und nimmt in Lizenz dessen Urheberrechte wahr. Die Beklagte des Ausgangs­ver­fahrens, eine Zigar­ren­her­stellerin, richtete in einer Kunst- und Ausstel­lungshalle eine Zigarrenlounge ein, in der sie Nachbildungen von Le-Corbusier-Möbeln aufstellte. Mit ihrer hiergegen gerichteten Unter­las­sungsklage obsiegte die Beschwer­de­führerin vor dem Landgericht und dem Oberlan­des­gericht.

BGH verneint Verstoß gegen Verbrei­tungsrecht Verwer­tungs­verbot

Der Bundes­ge­richtshof wies dagegen die Klage mit der Begründung ab, dass das Aufstellen der Möbel weder das Verbrei­tungsrecht verletze noch gegen das Verwer­tungs­verbot verstoße. Er stützte seine Entscheidung auf ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der in einem Paral­lel­ver­fahren auf eine Vorlage des Bundes­ge­richtshofs hin entschieden hatte, dass eine Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Urheber­rechts­richtlinie nur bei Übertragung des Eigentums vorliege. Danach sei - so der Bundes­ge­richtshof - das Verbrei­tungsrecht nicht verletzt, wenn Nachbildungen urheber­rechtlich geschützter Möbel der Öffentlichkeit lediglich zum Gebrauch zugänglich gemacht würden. Die Urheber­rechts­richtlinie stelle eine verbindliche Regelung im Sinne eines Maximalschutzes dar, über den ein mitglied­s­taat­liches Gericht nicht hinausgehen dürfe.

Beschwer­de­führerin fühlt sich in verfas­sungs­mäßigem Eigentumsrecht verletzt

Die Beschwer­de­führerin sieht sich dadurch in ihrem verfas­sungs­mäßigen Eigentumsrecht verletzt. Zudem rügt sie eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter, weil der Bundes­ge­richtshof vorab dem EuGH die Fragen hätte vorlegen müssen, ob die Gebrauchs­über­lassung von Werkstücken überhaupt in den Anwen­dungs­bereich der Urheber­rechts­richtlinie falle und ob die Richtlinie einen Maximalschutz begründe.

BVerfG weist Verfas­sungs­be­schwerde als unbegründet zurück

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde als unbegründet zurückgewiesen. Zwar ist die Beschwer­de­führerin als ausländische juristische Person mit Sitz in der Europäischen Union Trägerin von Grundrechten des Grundgesetzes. Sie ist im Streitfall jedoch nicht in ihren verfas­sungs­mäßigen Rechten verletzt.

Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat sich mit der Frage befasst, ob ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben, Träger materieller Grundrechte des Grundgesetzes sein können, und dies bejaht.

Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Auch wenn es sich bei juristischen Personen aus Mitgliedstaaten der EU nicht um „inländische“ im Sinne des Grundgesetzes handelt, entspricht eine Anwen­dungs­er­wei­terung des Grund­rechts­schutzes auf diese juristische Personen den durch die europäischen Verträge übernommenen vertraglichen Verpflichtungen, die insbesondere in den europäischen Grundfreiheiten und dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit zum Ausdruck kommen. Diese verpflichten die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. Die europa­recht­lichen Vorschriften verdrängen Art. 19 Abs. 3 GG nicht, sondern veranlassen lediglich die Erstreckung des Grund­rechts­schutzes auf weitere Rechtssubjekte des Europäischen Binnenmarkts. Die Gleichstellung setzt einen hinreichenden Inlandsbezug der juristischen Person voraus, der regelmäßig vorliegen wird, wenn die ausländische juristische Person in Deutschland tätig wird und hier vor den Fachgerichten klagen und verklagt werden kann.

Zivilgerichte müssen bei Auslegung des Urheberrechts Eigentumsschutz nach dem Grundgesetz beachten

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte weiter zu klären, ob und inwieweit die Fachgerichte das von ihnen anzuwendende, ganz oder teilweise unionsrechtlich harmonisierte deutsche Recht am Maßstab des deutschen Grundgesetzes und des Rechts der Europäischen Union zu messen haben und inwieweit das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die fachge­richtliche Auslegung seinerseits am Grundgesetz überprüft. Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung des Urheberrechts den Eigentumsschutz nach dem Grundgesetz zu beachten, soweit das europäische Recht hierbei Ausle­gungs­spielräume lässt. Halten die Gerichte eine Vollha­r­mo­ni­sierung durch das Unionsrecht für eindeutig, ohne ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen an den EuGH zu richten, unterliegt dies der Überprüfung durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, das hierbei nicht auf eine bloße Willkür­kon­trolle beschränkt ist. Fehlt es an einem mitglied­s­taat­lichen Ausle­gungs­spielraum, müssen die Gerichte das anwendbare Unionsrecht bei gegebenem Anlass auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Unionsrechts prüfen und, wenn erforderlich, ein Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren zum EuGH einleiten.

BVerfG verneint Urheber­rechts­ver­letzung

Nach diesen Maßstäben ist die Beschwer­de­führerin durch das angegriffene Urteil nicht in ihrem von Art. 14 Abs. 1 GG umfassten Urheberrecht, die Verbreitung von Verviel­fäl­ti­gungs­stücken der Möbel zu kontrollieren, verletzt. Die Annahme des Bundes­ge­richtshofs, die Urheber­rechts­richtlinie in der Auslegung durch den EuGH lasse keinen Spielraum für die Einbeziehung der bloßen Gebrauchs­über­lassung von Möbelplagiaten in den Schutz des Urheberrechts, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der EuGH hat im Paral­lel­ver­fahren etwaige Umset­zungs­spielräume nicht erwähnt und Erweiterungen des Verbrei­tungs­be­griffs ausdrücklich dem Unions­ge­setzgeber vorbehalten. Der Bundes­ge­richtshof konnte davon ausgehen, dass das Urteil des EuGH ihm keinen Spielraum für eine verfas­sungs­konforme Auslegung von § 17 UrhG lässt.

Vorlagepflicht seitens des Bundes­ge­richtshofs nicht verletzt

Das angegriffene Urteil entzieht die Beschwer­de­führerin nicht ihrem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Nach der Rechtsprechung des EuGH muss ein nationales letzt­in­sta­nz­liches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemein­schafts­rechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entschei­dungs­er­heblich ist, dass sie bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des Gemein­schafts­rechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht überprüft nur, ob die Anwendung dieser Regeln offensichtlich unhaltbar ist. Indem der Bundes­ge­richtshof die von ihm für entschei­dungs­er­heblich gehaltenen Fragen im Paral­lel­ver­fahren dem EuGH vorgelegt hat, hat er seine Vorlagepflicht auch im Streitfall nicht grundsätzlich verkannt. Dem angegriffenen Urteil ist die vertretbare Überzeugung zu entnehmen, dass Art. 4 Abs. 1 der Urheber­rechts­richtlinie eine vollha­r­mo­ni­sierte Regelung des Verbrei­tungs­rechts darstellt und der EuGH die Auslegung des Verbrei­tungs­be­griffs der Richtlinie abschließend und umfassend geklärt hat.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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