21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.09.2010

BVerfG: Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" durch Greenpeace nicht verfas­sungs­widrigMilchkonzern begehrt erfolglos Unterlassung der öffentlichen Verwendung des Begriffs "Gen-Milch"

Milch von Kühen, die auch gentechnisch veränderter Futtermittel erhalten haben, darf als "Gen-Milch" bezeichnet werden. Die Versagung des Anspruchs eines Milchkonzerns auf Unterlassung der öffentlichen Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" ist nicht verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­suns­gericht.

Die Beschwer­de­führerin leitet als Oberge­sell­schaft einen Konzern international tätiger Unternehmen für Milch- und Molke­rei­produkte. Diese verarbeiten in ihren Produkten Milch von Kühen, die auch gentechnisch veränderter Futtermittel erhalten haben. Der Beklagte des Ausgangs­ver­fahrens ist ein Verein, der sich u. a. zum Ziel gesetzt hat, die Verbraucher über seiner Ansicht nach bestehenden Risiken infolge des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen bei der Lebens­mit­te­ler­zeugung aufzuklären. Deshalb forderte er die Beschwer­de­führerin auf, ihren Milch­lie­fe­ranten zur Auflage zu machen, auf gentechnisch veränderte Futtermittel zu verzichten. Nachdem die Beschwer­de­führerin dieser Forderung nicht nachgekommen war, bezeichnete der Beklagte die von der Klägerin vertriebene Milch in verschiedenen öffentlichen Aktionen als "Gen-Milch", um so auf sein Anliegen aufmerksam zu machen.

Begriff "Gen-Milch" genieße Schutz des Grundrechts auf Meinungs­freiheit

Die Beschwer­de­führerin sieht in der Formulierung "Gen-Milch" in Bezug auf ihre Erzeugnisse die unwahre Tatsachenbehauptung, dass die von ihren Unternehmen verarbeitete Milch ihrerseits behandelt sei, und nahm den Beklagten vor den Zivilgerichten auf Unterlassung in Anspruch. Der Bundes­ge­richtshof wies ihr Unter­las­sungs­be­gehren zurück. Der Gebrauch des Begriffs "Gen-Milch" durch den Beklagten genieße den Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, dem bei der gebotenen Abwägung der Vorrang gegenüber den ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen der Beschwer­de­führerin zukomme. Der Begriff "Gen-Milch" sei für sich genommen substanzarm. Sein Bedeu­tungs­gehalt ergebe sich erst aus dem Kontext, in dem er geäußert worden sei. Danach enthalte die beanstandete Formulierung keine unwahre Tatsa­chen­be­hauptung, denn der Beklagte habe unzweideutig bei allen Aktionen zum Ausdruck gebracht, dass sich sein Protest gegen die Verwendung von gentechnisch veränderten Futtermitteln richte. Auf den Vorwurf, die von den Unternehmen der Beschwer­de­führerin verwendete Milch selbst sei gentechnisch verändert, könne nicht geschlossen werden. Mit ihrer dagegen erhobenen Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin neben einer Verletzung ihrer Berufsfreiheit eine verfas­sungs­widrige Beein­träch­tigung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annah­me­vor­aus­set­zungen nicht vorliegen, sie insbesondere keine Aussicht auf Erfolg hat.

Unter­las­sungs­be­gehren kann bei Mehrdeutigkeit stattgegeben werden

Das angegriffene Urteil begegnet keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Insbesondere durfte der Bundes­ge­richtshof den auf die Produkte der Beschwer­de­führerin bezogenen Begriff "Gen-Milch" als substanzarme Äußerung ansehen und seine Verwendung im konkreten Kontext als zulässig beurteilen. Zwar kann einem Unter­las­sungs­be­gehren stattzugeben sein, wenn die fragliche Tatsa­chen­be­hauptung einen mehrdeutigen Gehalt aufweist und in einer der nicht fern liegenden Deutungs­va­rianten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von ihr Betroffenen verletzt. Es bedarf hierzu aber zunächst der sorgfältigen Auslegung, ob eine solche Mehrdeutigkeit tatsächlich vorliegt. Dem Unter­las­sungs­be­gehren ist demgegenüber unter diesem Gesichtspunkt nicht bei schlag­wort­artigen Äußerungen statt zu geben, die auch für die Erklä­rungs­emp­fänger von vorneherein vieldeutig erscheinen, so dass sie nicht als eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts verstanden werden, sondern als Kurzformel, die erst aus einem weiteren Kontext näheren Inhalt bekommt. In einem solchen Fall fehlt es an einer konkreten Tatsa­chen­be­hauptung, die beim Empfänger der Äußerung zu Fehlvor­stel­lungen aufgrund falscher Sachaussagen führen könnte. Dass der Bundes­ge­richtshof den hier streit­ge­gen­ständ­lichen Begriff "Gen-Milch" in diesem Sinn als erkennbar ergän­zungs­be­dürftige, schlag­wort­artige Äußerung, die ihren genauen Sinn erst im Rahmen einer Gesamtkampagne erhält, beurteilt hat, überschreitet seinen fachge­richt­lichen Wertungsrahmen nicht.

Kritik an Geschäfts­gebaren entbehrt nicht jeglicher zutreffender Tatsa­chen­grundlage

Vor diesem Hintergrund durfte der Bundes­ge­richtshof dem durch die Meinungs­freiheit geschützten Äußerungs­in­teresse der Beklagten den Vorrang vor dem entge­gen­ste­henden Unter­las­sungs­in­teresse der Beschwer­de­führerin einräumen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob außer dem Grundrecht der Berufsfreiheit auch die weiteren von der Beschwer­de­führerin geltend gemachten Rechts­po­si­tionen grund­recht­lichen Schutz genießen, da das Abwägungs­er­gebnis des Bundes­ge­richtshofs in jedem Fall verfas­sungs­rechtlich vertretbar ist. Der Bundes­ge­richtshof durfte bei seiner Abwägung zwischen den beiderseits betroffenen rechtlich geschützten Interessen maßgeblich darauf abstellen, dass die Unternehmen der Beschwer­de­führerin jedenfalls nicht im gesamten Produk­ti­o­ns­prozess auf gentechnische Verfahren verzichten und somit die Kritik an ihrem Geschäfts­gebaren nicht jeglicher zutreffender Tatsa­chen­grundlage entbehrt. Hinzu kommt, dass nach den unangegriffenen fachge­richt­lichen Feststellungen dieser Bezug lediglich auf die Verwendung von gentechnisch veränderten Futtermitteln in sämtlichen Fällen, in denen der Beklagte den Begriff "Gen-Milch" verwendete, aus dem Äußerungs­kontext deutlich werde.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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