21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.10.2013

Verfassungs­beschwerden gegen den Anspruch auf Vergü­tungs­an­passung im Urheberrecht erfolglosÜbersetzer haben Anspruch auf angemessene Honorare

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Verfassungs­beschwerden gegen Entscheidungen des Bundes­ge­richtshofs zur Angemessenheit von Überset­zer­ho­noraren im Verlagswesen zurückgewiesen. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die maßgeblichen Vorschriften des Urheberrechts verstoßen demnach gegen die Verfassung. Um sozialen oder wirtschaft­lichen Ungleich­ge­wichten entge­gen­zu­wirken, darf der Gesetzgeber die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzel­ver­traglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen. Eine urheber­rechtliche Regelung, die einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit vertraglich vereinbarter Vergütungen für die Werknutzung gewährt, ist daher mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Verfas­sungs­be­schwerden des zugrunde liegenden Verfahrens richten sich gegen eine im Jahr 2002 novellierte Regelung im Urheber­rechts­gesetz sowie gegen zwei darauf beruhende Entscheidungen des Bundes­ge­richtshofs zur Angemessenheit von Überset­zer­ho­noraren im Verlagswesen. Die Beschwer­de­führerin ist ein Hardcover-Verlag.

Hintergrund

§ 32 Urheber­rechts­gesetz (UrhG) gibt Urhebern die Möglichkeit, Verträge über die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung gerichtlich auf die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung überprüfen zu lassen. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, so dass dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. Diese Regelung trat zum 1. Juli 2002 in Kraft. § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG bestimmte ergänzend, dass die Regelung auch auf Verträge anwendbar ist, die seit dem 1. Juni 2001 und bis zum 30. Juni 2002 geschlossen worden sind, sofern von dem eingeräumten Recht oder der Erlaubnis nach dem 30. Juni 2002 Gebrauch gemacht wird.

Neuregelung soll Urheber angemessen an wirtschaft­lichem Nutzen ihrer Arbeit und Werke beteiligen

Mit der Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Rechtsstellung der Urheber als regelmäßig schwächerer Partei gegenüber den Verwer­tungs­un­ter­nehmen zu stärken. Das Urheberrecht beruhe auf dem Grundgedanken, Urheber angemessen an dem wirtschaft­lichen Nutzen ihrer Arbeit und ihrer Werke zu beteiligen. Dieser Gedanke sei zum Teil umgesetzt, nicht aber dort, wo freiberuflichen Urhebern, etwa literarischen Übersetzern, strukturell überlegene Verwerter gegenüber stünden.

BGH bejaht Anspruch auf prozentuale Beteiligung am Erlös verkaufter Bücher

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens 1 BvR 1843/11 übersetzte aufgrund eines Vertrags mit der Beschwer­de­führerin das Sachbuch „Destructive Emotions - Dialog mit dem Dalai Lama“. Die Vereinbarung umfasste ein Seitenhonorar von 19 Euro pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei Verkauf von mehr als 15.000 Exemplaren und eine Beteiligung an Lizenzerlösen aus der Verwertung von Nebenrechten. Die Beschwer­de­führerin bezahlte rund 13.500 Euro an den Kläger. Dessen Klage auf Vertrags­an­passung blieb vor dem Landgericht und dem Oberlan­des­gericht erfolglos. Der Bundes­ge­richtshof hob diese Urteile in seiner Entscheidung vom 20. Januar 2011 teilweise auf und verurteilte die Beschwer­de­führerin dazu, in eine Anhebung der Absatz- und Neben­rechts­be­tei­ligung einzuwilligen, Auskunft zu erteilen und 6.841,22 Euro nachzuzahlen.

BGH verurteilt Beschwer­de­führerin zur Einwilligung in Anhebung der Absatz- und Neben­rechts­be­tei­ligung

Der Kläger im Ausgangs­ver­fahren 1 BvR 1842/11 übersetzte aufgrund eines Vertrags mit der Beschwer­de­führerin vom Februar/März 2002 den Roman „Drop City“ von T. C. Boyle. Vereinbart wurden ein Seitenhonorar von 18,50 Euro pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei Verkauf von mehr als 20.000 Exemplaren und eine Beteiligung an Lizenzerlösen. Der Kläger erhielt rund 18.000 Euro von der Beschwer­de­führerin. Auch in diesem Verfahren hob der Bundes­ge­richtshof klagabweisende Urteile des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts teilweise auf (Urteil vom 20. Januar 2011 - I ZR 20/09 -). Er verurteilte die Beschwer­de­führerin, in eine Anhebung der Absatz- und Neben­rechts­be­tei­ligung einzuwilligen, Auskunft zu erteilen und 13.073,04 Euro nachzuzahlen.

Entgelt für berufliche Leistungen darf verbindlich ausgehandelt werden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass § 32 UrhG mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Dieses Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen verbindlich auszuhandeln. Der Gesetzgeber darf diese Freiheit durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaft­lichen Ungleich­ge­wichten entge­gen­zu­wirken. Dabei hat er die kollidierenden Grund­rechts­po­si­tionen zu erfassen und - unter Berück­sich­tigung des sozial­staat­lichen Auftrags - nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Gesetzgeber verfügt über weiten Beurteilungs- und Gestal­tungs­spielraum

Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestal­tungs­spielraum. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmen­be­din­gungen liegt in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung.

§ 32 UrhG soll Urhebern mit schwacher Verhand­lungs­po­sition und niedrigen Einkommen helfen

Der Gesetzgeber ist in nachvoll­ziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaft­lichen Nutzen ihrer Arbeit und Werke nur teilweise gewährleistet ist. § 32 UrhG soll insbesondere Urhebern mit schwacher Verhand­lungs­po­sition und niedrigen Einkommen helfen, ihr Urheberrecht auch wirtschaftlich zu realisieren. Die Regelung der gerichtlichen Angemes­sen­heits­prüfung von Urheber­ver­gü­tungen bringt die Grundrechte der Betroffenen zu einem angemessenen Ausgleich. Grundgedanke des Urheberrechts ist die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaft­lichen Nutzen ihrer Werke, was im Betei­li­gungs­grundsatz des § 11 Satz 2 UrhG gesetzlich geregelt ist. Der Anspruch des Urhebers auf eine angemessene Vergütung ist auch Gegenstand völker- und europa­recht­licher Gewähr­leis­tungen.

Regelung beeinträchtigt Berufs­aus­übungs­freiheit der Verwerter in nicht unerheblicher Weise

Allerdings wird die Berufs­aus­übungs­freiheit der Verwerter durch die Regelung nicht unerheblich beeinträchtigt. Die Freiheit, den Inhalt der Vergü­tungs­ver­ein­ba­rungen mit Urhebern aushandeln zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Berufsausübung. Zugleich gehört die Vereinbarung des geschuldeten Preises für eine Leistung zum Kern der Privatautonomie und wird in der Regel dem Markt­me­cha­nismus überlassen. Zudem wird die Funktion eines Vertrags, für beide Seiten Rechts- und Planungs­si­cherheit zu schaffen, durch § 32 UrhG geschmälert.

Beschränkung der Berufs­aus­übungs­freiheit der Verwerter im Hinblick auf Interessen der Urheber an angemessener Beteiligung gerechtfertigt

Jedoch steht die Beein­träch­tigung der Berufs­aus­übungs­freiheit der Verwerter bei einer Gesamt­be­trachtung nicht außer Verhältnis zu dem Schutz des Interesses der Urheber an einer angemessenen Beteiligung am wirtschaft­lichen Nutzen ihrer Werke. § 32 UrhG nimmt den Verwertern nicht jeglichen Verhand­lungs­spielraum hinsichtlich Höhe und Modalitäten der Urheber­ver­gütung, sondern schließt lediglich die Vereinbarung einer unangemessen niedrigen Vergütung aus. Die Vorschrift fordert insofern eine umfassende Berück­sich­tigung aller relevanten Umstände. Ein verfah­rens­recht­licher Schutz gegen unberechtigte Änderungs­ver­langen wird dadurch bewirkt, dass es dem Urheber obliegt, die Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Korrektur des Vertrags darzulegen und zu beweisen. Den Interessen der Verwerter trägt auch Rechnung, dass sie mit den Urhebern gemeinsame Vergü­tungs­regeln im Sinne von § 36 UrhG aufstellen können, deren Angemessenheit in gerichtlichen Verfahren unwiderleglich vermutet wird. Der Gesetzgeber durfte typisierend auf das von ihm angenommene strukturelle Ungleichgewicht zwischen Urhebern und Verwertern reagieren und war nicht gehalten, auch eine zugunsten der Verwerter anwendbare Preiskontrolle vorzusehen.

Rückwirkung der Neuregelung gerechtfertigt

Soweit die Überg­angs­re­gelung des § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG anordnet, dass § 32 UrhG auch auf Verträge anwendbar ist, die vor Inkrafttreten der Neuregelung geschlossen wurden, verstößt dies nicht gegen das rechts­s­taatliche Rückwir­kungs­verbot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Durch die Rückwirkung wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Werke, bei denen nach bereits geschlossenen Verträgen keine zusätzliche Vergütung zu zahlen wäre, mit jenen in Konkurrenz treten, deren Nutzungsrechte nach der Neuregelung übertragen wurden. Dies genügt zur Rechtfertigung der Rückwirkung der Neuregelung über den kurzen Zeitraum von 13 Monaten.

Bestimmung der angemessenen Vergütung verletzt Beschwer­de­führerin nicht in Grundrechten

Die Bestimmung der angemessenen Vergütung durch den Bundes­ge­richtshof verletzt die Beschwer­de­führerin nicht durch objektiv willkürliche Rechtsanwendung in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das gilt insbesondere auch für die Anknüpfung der Beteiligung des Übersetzers an den Erlösen aus der Neben­rechts­vergabe an den Anteil des ausländischen Autors („Autorenanteil“). Es wird Aufgabe der Fachgerichte sein, den Umfang des Autorenanteils unter Berück­sich­tigung der Anhörungs­rü­ge­be­schlüsse des Bundes­ge­richtshofs insbesondere hinsichtlich der Anteile von einbezogenen Agenten und des ausländischen Verlags näher zu bestimmen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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