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Dokument-Nr. 34734

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.11.2024

Tübingen darf Verpa­ckungs­steuer verlangenVerfas­sungs­be­schwerde einer Franchise-Nehmerin von McDonald’s gegen Tübinger Verpa­ckungs­steu­er­satzung gescheitert

50 Cent pro Box und 20 Cent für Besteck müssen Restaurants in Tübingen bezahlen, wenn ihre Verpackungen nicht wiederverwendet werden können. Dies ist in der Satzung der Univer­si­tätsstadt Tübingen über die Erhebung einer Verpa­ckungs­steuer (Verpa­ckungs­steu­er­satzung) geregelt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat eine Verfas­sungs­be­schwerde gegen diese Satzung, die von einer McDonald's Franchise-Nehmerin eingereicht worden war, nun zurückgewiesen.

Mit der Verpa­ckungs­steu­er­satzung erhebt die Univer­si­tätsstadt Tübingen seit dem 1. Januar 2022 eine Steuer auf den Verbrauch nicht wieder­ver­wendbarer Verpackungen sowie nicht wieder­ver­wendbaren Geschirrs und Bestecks, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

Die Beschwer­de­führerin betrieb ein Schnell­re­staurant im Gebiet der Univer­si­tätsstadt Tübingen. Gegen die Besteuerung des Verbrauchs der von ihr verwendeten Einwegartikel stellte sie einen Normen­kon­trol­lantrag, den das Bundes­ver­wal­tungs­gericht mit Urteil vom 24. Mai 2023 im Wesentlichen abgelehnt hat.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde blieb ohne Erfolg. Insbesondere handelt es sich bei der Verpackungssteuer auch insoweit um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 Grundgesetz (GG), als der Verbrauch von Einwegartikeln beim Verkauf von „mitnehmbaren take-away-Gerichten oder -Getränken“ besteuert wird. Der mit der Verpa­ckungs­steu­er­satzung bezweckte Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen widerspricht auch keiner seit ihrem Inkrafttreten maßgeblichen Konzeption des bundes­recht­lichen Abfallrechts.

Sachverhalt

Nach der am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Verpa­ckungs­steu­er­satzung erhebt die Univer­si­tätsstadt Tübingen eine Verbrauchsteuer auf nicht wieder­ver­wendbare Verpackungen sowie nicht wieder­ver­wendbares Geschirr und Besteck, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

Die Beschwer­de­führerin, welche ein Schnell­re­staurant im Gebiet der Univer­si­tätsstadt Tübingen betrieb, stellte einen Normen­kon­trol­lantrag, auf welchen der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg die Verpa­ckungs­steu­er­satzung mit Urteil vom 29. März 2022 für unwirksam erklärte. Soweit die Steuer auf die für den Verkauf von Speisen und Getränken „als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk“ verwendeten Einwegartikel erhoben werde, fehle es an der „Örtlichkeit“ des Verbrauchs dieser Artikel im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG und damit an der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz. Dies habe die Gesam­tun­wirk­samkeit der Satzung zur Folge.

Mit Urteil vom 24. Mai 2023 hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht das Urteil des Verwal­tungs­ge­richtshofs abgeändert und den Normen­kon­trol­lantrag im Wesentlichen abgelehnt. Die normative Gestaltung des Steuer­tat­be­stands gewährleiste bei sachgerechtem Verständnis den verfas­sungs­rechtlich geforderten örtlichen Bezug des Verbrauchs auch insoweit, als die Steuerpflicht an den Verkauf von Speisen und Getränken „als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk“ anknüpfe. Die Verpa­ckungs­steuer sei auch im Übrigen mit der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufs­aus­übungs­freiheit der Endverkäufer vereinbar.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwer­de­führerin mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde ist unbegründet. Zwar greift die Erhebung der als Lenkungsteuer ausgestalteten Verpa­ckungs­steuer in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Endverkäufer ein. Dieser Eingriff ist jedoch formell und materiell verfas­sungsgemäß.

I. Die Univer­si­tätsstadt Tübingen kann sich für die Verpa­ckungs­steu­er­satzung auf die Steuer­ge­setz­ge­bungs­kom­petenz der Länder für die Erhebung örtlicher Verbrauch­steuern nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, § 9 Abs. 4 Kommu­na­l­ab­ga­ben­gesetz Baden-Württemberg berufen. Insbesondere handelt es sich bei der Verpa­ckungs­steuer um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG.

1. Nach § 1 Abs. 1 Alt. 1 Verpa­ckungs­steu­er­satzung knüpft die Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial an, das beim Verkauf von Speisen und Getränken „für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle“ Verwendung findet und stellt insoweit den notwendigen Ortsbezug des Verbrauchs ohne weiteres her. Danach ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Speisen und Getränke in atypischen Fällen bestim­mungs­widrig in räumlicher Entfernung vom Verkaufsort außerhalb des Gemeindegebiets verzehrt werden, solche atypischen Verhal­tens­weisen stellen jedoch nicht in Frage, dass mit der Tatbe­stands­vor­aus­setzung eines Verkaufs „zum Verbrauch an Ort und Stelle“ der typische Fall des örtlichen Verbrauchs erfasst ist.

2. a) Die Örtlichkeit kann auch bei Waren gegeben sein, die nicht „zum Verbrauch an Ort und Stelle“ des Verkaufs bestimmt sind, wenn der Verbrauch typischerweise im Gemeindegebiet erfolgt. Hierfür kann insbesondere die Beschaffenheit der Ware sprechen und sind die weiteren Gegebenheiten zu berücksichtigen wie etwa die Versor­gungs­struktur oder die Größe der Gemeinde. Eine darauf bezogene Steuerpflicht setzt voraus, dass im Steuer­tat­bestand diejenigen Waren benannt oder aufgrund konkreter Kriterien bestimmbar sind, die im Anschluss an den Verkauf typischerweise noch innerhalb der Grenzen der jeweiligen Gemeinde verbraucht werden; dem Normgeber kommt hierbei ein Einschät­zungs­spielraum zu.

b) Ausgehend davon ist die Örtlichkeit für die Anknüpfung der Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial beim Verkauf von „mitnehmbaren take-away-Gerichten oder -Getränken“ nach § 1 Abs. 1 Alt. 2 Verpa­ckungs­steu­er­satzung ebenfalls gewahrt. Nach der von der Beschwer­de­führerin nicht zulässig angegriffenen verfas­sungs­kon­formen Auslegung durch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht ist steuerpflichtig danach nur die Abgabe des Einwegzubehörs für solche Speisen und Getränke, die in der Regel unmittelbar nach dem Erwerb verbraucht werden, weil sich ihre für die Verzehrqualität maßgebliche Temperatur, Konsistenz oder Frische schon nach kurzer Zeit nachteilig verändert. Anhand dieser Kriterien können diejenigen „mitnehmbaren take-away-Gerichte und -Getränke“ noch hinreichend sicher bestimmt werden, deren Verkauf die Besteuerung des dabei verwendeten Einwegzubehörs auslöst. Die auf den Tatsa­chen­fest­stel­lungen des Verwal­tungs­ge­richtshofs Baden-Württemberg beruhende, mindestens implizite Annahme des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts, die Satzung bilde mit diesen Kriterien die Örtlichkeit reali­täts­gerecht ab, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Der Verwal­tungs­ge­richtshof ist davon ausgegangen, dass der Verzehr von take-away-Gerichten und -Getränken „auf die Schnelle“ am häufigsten im Stadtgebiet erfolge. Die Beschwer­de­führerin hat keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die diese Annahme erschüttern könnten.

II. Die Verpa­ckungs­steuer der Univer­si­tätsstadt Tübingen verletzt keine sich aus dem Grundsatz der Wider­spruchs­freiheit der Rechtsordnung oder aus dem Grundsatz der Bundestreue abzuleitenden Schranken.

1. Nach dem rechts­s­taat­lichen Grundsatz der Wider­spruchs­freiheit der Rechtsordnung ist die Ausübung der Steuer­ge­setz­ge­bungs­kom­petenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich nur zulässig, wenn dadurch die Rechtsordnung nicht widersprüchlich wird.

Es kann offenbleiben, welche Reichweite oder konkrete Bedeutung dem Grundsatz der Wider­spruchs­freiheit der Rechtsordnung in seiner Ausprägung als Schranke für die Ausübung der Steuer­ge­setz­ge­bungs­kom­petenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich zukommt. Denn die mit der Verpa­ckungs­steuer verfolgten Lenkungszwecke stehen zu dem seit Inkrafttreten der Verpa­ckungs­steu­er­satzung am 1. Januar 2022 geltenden Abfallrecht des Bundes weder hinsichtlich dessen Gesamt­kon­zeption noch hinsichtlich konkreter Einzel­re­ge­lungen in Widerspruch.

2. Der Erhebung der Verpa­ckungs­steuer steht auch nicht mit Blick auf die Erhebung der Einweg­kunst­stof­f­abgabe nach der bundes­ge­setz­lichen Regelung des § 12 Einweg­kunst­stoff­fonds­gesetz der Grundsatz der Bundestreue in seiner Ausprägung als Kompe­ten­z­aus­übungs­schranke entgegen. Denn jedenfalls entzieht die Verpa­ckungs­steuer dem Einweg­kunst­stofffonds nicht missbräuchlich die finanzielle Grundlage.

III. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zur Erzielung von Einnahmen geeignete und erforderliche Verpa­ckungs­steuer der Univer­si­tätsstadt Tübingen die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit unzumutbar beeinträchtigt. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine die Geschäfts­aufgabe erzwingende Wirkung der Verpa­ckungs­steuer in Bezug auf durch­schnittlich ertragsstarke Betriebe im Gebiet der Univer­si­tätsstadt Tübingen. Im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren sind keine Anhaltspunkte für verstärkte Geschäfts­aufgaben betroffener Unternehmen im Anschluss an das Inkrafttreten der Verpa­ckungs­steu­er­satzung vorgebracht worden.

Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Endverkäufer durch ihre Indienstnahme als Zahlstelle ist verhältnismäßig. Die Indienstnahme ist geeignet und erforderlich, um die Verpa­ckungs­steuer vereinnahmen zu können. Die mildere Alternative einer nicht indirekt an den Verkauf, sondern direkt an den Verbrauch der Einwegartikel durch die Endverbraucher als dem eigentlichen Steuer­ge­genstand anknüpfenden Steuerpflicht wäre nicht praktikabel und daher kein gleich geeignetes Mittel zur Zielerreichung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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