03.12.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.06.2017

Stadt Hamburg muss G20-Protestcamp vorsorglich den Regeln des Versamm­lungs­rechts unterstellenUmfang des Camps kann begrenzt und mit Auflagen versehen werden

Das Bundes­verfassungs­gericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung der Stadt Hamburg aufgegeben, über die Duldung des im Stadtpark geplanten Protestcamps versammlungs­rechtlich zu entscheiden. Die Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts beruht auf einer Folgenabwägung. Nicht Gegenstand der Entscheidung war die Frage, ob und wieweit das Protestcamp in Blick auf die öffentliche Sicherheit beschränkt oder möglicherweise auch untersagt werden kann.

Der Antragsteller des zugrunde liegenden Verfahrens ist Anmelder und vorgesehener Leiter einer geplanten Veranstaltung, die vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 in der Form eines politischen Protestcamps auf der großen Festwiese des Hamburger Stadtparks stattfinden soll. Es werden etwa 10.000 Personen aus aller Welt erwartet, die in 3.000 Zelten wohnen und übernachten sollen. Während seiner Dauer soll das Camp einen durchgängig bei Tag und bei Nacht wahrnehmbaren Ort des Protestes gegen das am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg stattfindende Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20-Gipfel) darstellen.

OVG: Protestcamp hat nicht Charakter einer geschützten Versammlung

Die Freie und Hansestadt Hamburg ordnete das geplante Protestcamp nicht als Versammlung ein und untersagte die Veranstaltung unter Verweis auf ein grünan­la­gen­recht­liches Verbot, auf öffentlichen Grün- und Erholungs­anlagen zu zelten. Das hiergegen angerufene Verwal­tungs­gericht verpflichtete die Stadt dazu, den Aufbau des Protestcamps bis zur Bekanntgabe eines versamm­lungs­recht­lichen Bescheids zu dulden. Auf die Beschwerde der Stadt hat das Oberver­wal­tungs­gericht den Antrag des Antragstellers mit der Begründung abgelehnt, dass das Protestcamp nicht den Charakter einer von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung habe. Mit seinem beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgt der Antragsteller sein Anliegen weiter, die Stadt Hamburg zu verpflichten, die Vorbereitung, den Aufbau und die Durchführung des Protestcamps zu dulden.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht nimmt Folgenabwägung vor

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Die Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens muss das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine Folgenabwägung vornehmen.

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet; sie wirft vielmehr schwierige und in der verfas­sungs­recht­lichen Rechtsprechung ungeklärte Fragen auf, die im vorläufigen Rechts­schutz­ver­fahren nicht abschließend beurteilt werden können. Danach ist schon unklar, ob oder wieweit das Protestcamp als Versammlung von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt ist.

Demnach war auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Sie fällt teilweise zugunsten des Antragstellers aus.

Bei Zulässigkeit des Protestcamps könnte Versamm­lungsrecht nachhaltig entwertet werden

Erginge eine einstweilige Anordnung nicht, stellte sich im Haupt­sa­che­ver­fahren dann aber heraus, dass zumindest Teile des Protestcamps unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fielen und damit jedenfalls grundsätzlich zulässig wären, bliebe es dem Antragsteller beim derzeitigen Sachstand vollständig verwehrt, im Rahmen des bevorstehenden G 20-Gipfels von seinem Versamm­lungs­grundrecht in Form der Durchführung eines Protestcamps Gebrauch zu machen. Damit würde sein Versamm­lungsrecht bei einem besonders herausragenden politischen Großereignis nachhaltig entwertet.

Bei Unzulässigkeit des Protestcamps würde Öffentlichkeit unberechtigt um Erholungsgebiet gebracht und Parkanlage nachhaltig geschädigt

Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde die Stadt Hamburg zur Duldung des Aufbaus, Betriebs und Abbaus des Protestcamps im Zeitraum vom 28. Juni bis zum 11. Juli 2017 verpflichtet, stellte sich dann aber im Haupt­sa­che­ver­fahren heraus, dass das geplante Protestcamp nicht unter den Schutz der Versamm­lungs­freiheit fiele, so würde nicht nur die Öffentlichkeit für rund drei Wochen unberechtigt um ein Erholungsgebiet gebracht, sondern würde der öffentlichen Hand ohne Grund auch das Risiko aufgebürdet, dass die Parkanlage nachhaltig Schaden nimmt.

Versamm­lungs­behörde muss geplantes Protestcamp vorsorglich den Regeln des Versamm­lungs­rechts unterstellen

Angesichts der sich insoweit gegen­über­ste­henden Nachteile ist als Regelung im Rahmen des Eilrechts­schutzes ein Ausgleich geboten, der dem Antragsteller die Durchführung eines Protestcamps anlässlich des G20-Gipfels möglichst weitgehend ermöglicht, anderseits müssen aber nachhaltige Schäden des Stadtparks verhindert und die diesbezüglichen Risiken für die öffentliche Hand möglichst gering gehalten werden. Danach ist anzuordnen, dass die Versamm­lungs­behörde das vom Antragsteller geplante Protestcamp vorsorglich den Regeln des Versamm­lungs­rechts zu unterstellen hat. Dabei ist sie hierbei jedoch mit einem angemessenen Entschei­dungs­spielraum auszustatten, der sie - soweit möglich in Kooperation mit dem Veranstalter - berechtigt, den Umfang des Camps so zu begrenzen und mit Auflagen zu versehen, dass eine nachhaltige Beein­träch­tigung des Stadtparks durch langfristige Schäden hinreichend ausgeschlossen ist.

Stadt darf anderen Ort für Durchführung des geplanten Protestcamps zuweisen

Ist dies in einer dem Anliegen des Antragstellers entsprechenden Weise nicht möglich - wie nach den Akten durchaus naheliegend ist und wie sich im Übrigen insbesondere im Blick auf (hier noch nicht berücksichtigte) Sicher­heits­belange ergeben kann -, kann sie ihm stattdessen auch einen anderen Ort für die Durchführung des geplanten Protestcamps zuweisen, der in Blick auf die erstrebte Wirkung dem Anliegen des Antragstellers möglichst nahe kommt. Auch insoweit ist sie zum Erlass von Auflagen befugt, die eine Schädigung der Anlagen des zugewiesenen Ersatzortes möglichst weitgehend verhindern, soweit erforderlich auch unter Beschränkung des Umfangs des geplanten Protestcamps. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Maßnahmen notwendige Infrastruktur zu eigenständigen Versamm­lungs­ele­menten darstellen und wieweit sie darüber hinausgehen. Insbesondere sind die Behörden berechtigt, die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungs­kundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.

Beschränkung des Protestcamps im Hinblick auf Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit nicht Gegenstand der Entscheidung

Da der vorliegende Beschluss auf den rechtlichen Verfah­rens­ge­genstand des Ausgangs­ver­fahrens beschränkt ist, bleiben Fragestellungen hinsichtlich möglicher Gefahren, die von der geplanten Veranstaltung ausgehen, ausgeklammert. Diesbezügliche weitere Entscheidungen, insbesondere zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, bleiben den Behörden - unter Beachtung der allgemeinen verfas­sungs­recht­lichen Maßstäbe - unbenommen. Ob und wieweit sie das Protestcamp unter diesen Gesichtspunkten weiter beschränken oder auch untersagen können, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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