21.11.2024
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Dokument-Nr. 15825

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Beschluss31.03.2013Bundesverfassungsgericht1 BvR 1314/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GE 2013, 741Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft (GE), Jahrgang: 2013, Seite: 741
  • IMR 2013, 230Zeitschrift: Immobilien- und Mietrecht (IMR), Jahrgang: 2013, Seite: 230
  • K&R 2013, 474Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2013, Seite: 474
  • NJW 2013, 2180Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 2180
  • NZM 2013, 376Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2013, Seite: 376
  • WuM 2013, 413Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2013, Seite: 413
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss31.03.2013

BVerfG: Verbot von "Satel­li­ten­schüsseln" durch den Vermieter nur nach konkreter Inter­es­se­n­ab­wägung im Einzelfall möglichInstallation einer Parabolantenne ist vom Schutzbereich des Grundrechts auf Informations­freiheit umfasst

Das Bundes­ver­fassungs­gericht hat die Grundsätze bekräftigt, die in zivil­ge­richt­lichen Streitigkeiten über die Anbringung von Parabolantennen durch Mieter zu beachten sind. Die Zivilgerichte haben demnach eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen, in die die Eigentümer­interessen des Vermieters an der - auch optisch - ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses und die Informations­interessen des Mieters an der Nutzung allgemein zugänglicher Infor­ma­ti­o­ns­quellen einzustellen sind. Zu berücksichtigen ist auch das Interesse ausländischer Mieter am Empfang von Rundfunk­pro­grammen aus ihrer Heimat, einschließlich der besonderen Situation sprachlicher und kultureller Minderheiten.

Die Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Streitfalls sind türkische Staats­an­ge­hörige turkmenischer Abstammung. Sie fühlen sich einer in der Türkei lebenden turkmenischen Minderheit zugehörig, die eigenen Traditionen und der turkmenischen Sprache verbunden geblieben ist.

Mieter installieren ohne Zustimmung der Vermieterin Parabolantenne

An der Gebäudefassade ihrer Mietwohnung hatten die Beschwer­de­führer - ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung der Vermieterin - eine Parabolantenne angebracht. Mit dieser wollten sie ein nur über Satellit verfügbares Programm über die turkmenische Region sowie die dort lebenden Menschen empfangen, das ganztägig in türkischer und turkmenischer Sprache ausgestrahlt wird.

Beschwer­de­führer rügen Verletzung ihrer Infor­ma­ti­o­ns­freiheit durch Beseitigung der Parabolantenne

Die Vermieterin nahm die Beschwer­de­führer auf Beseitigung der Parabolantenne bzw. Unterlassung ihrer Anbringung in Anspruch. Sie obsiegte hiermit sowohl vor dem Amtsgericht als auch in der Berufungs­instanz vor dem Landgericht. Gegen diese beiden Entscheidungen richtet sich die Verfas­sungs­be­schwerde. Die Beschwer­de­führer rügen die Verletzung ihrer Infor­ma­ti­o­ns­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz GG.

Die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen werden aufgehoben.

Gerichte müssen fallbezogen zwischen Interessen des Vermieters an Erhaltung des Wohnhauses und Infor­ma­ti­o­ns­in­teressen des Mieters abwägen

Die Installation einer Parabolantenne ist vom Schutzbereich des Grundrechts auf Infor­ma­ti­o­ns­freiheit der Beschwer­de­führer umfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.02.1994 - 1 BvR 1687/92 = BVerfGE 90, 27). Dieses Grundrecht muss auch in der vorliegenden zivil­ge­richt­lichen Streitigkeit beachtet werden. Die Infor­ma­ti­o­ns­freiheit findet ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die miet- und eigen­tums­recht­lichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehören, die die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern festlegen. Die Verfassung verlangt aber, dass bei deren Auslegung die betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden. In der Regel haben die Gerichte hierzu eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen, bei der die Eigen­tü­me­r­in­teressen des Vermieters an der - auch optisch - ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses und die Infor­ma­ti­o­ns­in­teressen des Mieters an der Nutzung zugänglicher Infor­ma­ti­o­ns­quellen zu berücksichtigen sind.

Zur Verfügung gestellter Kabelanschluss nicht immer ausreichend

In der Regel entspricht es diesen Anforderungen, wenn die Zivilgerichte den Vermieter dann nicht für verpflichtet halten, eine Parabolantenne des Mieters zu dulden, wenn er dem Mieter einen Kabelanschluss bereitstellt. Dem besonderen Informationsinteresse dauerhaft in Deutschland lebender ausländischer Staats­an­ge­höriger trägt dieser Grundsatz jedoch nicht in allen Fällen ausreichend Rechnung. Sie sind daran interessiert, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen, um sich über das dortige Geschehen unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung zu ihrem Heimatland aufrecht­er­halten zu können. Ist eine angemessene Zahl von Programmen aus dem jeweiligen Heimatland nicht über den vom Vermieter bereit­ge­stellten Kabelanschluss, sondern nur über eine Parabolantenne zu empfangen, so ist das Interesse der ausländischen Mieter am Empfang von Rundfunk­pro­grammen ihres Heimatlandes bei der Abwägung mit den Eigen­tü­me­r­in­teressen des Vermieters zu berücksichtigen. Zulässige Abwägungs­ge­sichts­punkte sind hierbei, in welchem Umfang der Mieter Programme seines Heimatlandes bereits ohne eigene Parabolantenne empfangen kann und ob er über die bereitgestellte Empfangsanlage gegen angemessenes Entgelt ein zusätzliches Programmangebot nutzen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. 01.2005 - 1 BvR 1953/00 - = NJW-RR 2005, 661).

Nach diesen Maßstäben verletzen das Urteil des Amtsgerichts und der Beschluss des Landgerichts die Beschwer­de­führer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz GG.

Spezifisches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse nicht ausreichend berücksichtigt

Beide Gerichte haben zwar erkannt, dass es zur Infor­ma­ti­o­ns­freiheit der Beschwer­de­führer gehört, Zugang zu Rundfunk­pro­grammen in ihrer Sprache zu haben, und dass dies bei der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen ist. Sie haben aber das spezifische Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Beschwer­de­führer nicht ausreichend berücksichtigt und damit die Bedeutung des Grundrechts der Infor­ma­ti­o­ns­freiheit verkannt.

Würdigung und Gewichtung des spezifischen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses durch das Landgericht nicht nachvollziehbar

Das Amtsgericht hat das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Beschwer­de­führer schon deshalb nicht ausreichend berücksichtigt, weil es seiner Abwägung - ohne sachhaltige Ausein­an­der­setzung mit dem Vorbringen der Beschwer­de­führer - die Annahme zugrunde gelegt hat, Turkmenisch sei lediglich ein türkischer Dialekt, nicht aber eine eigene Sprache. Das Landgericht hat zwar zumindest auch hilfsweise die Annahme zugrunde gelegt, Turkmenisch sei eine eigene Sprache. Es hat dann aber mit einem schlichten feststellenden Satz das Ergebnis der amtsge­richt­lichen Inter­es­se­n­ab­wägung bestätigt, ohne dies irgendwie weiter zu begründen. Damit ist nicht nachvollziehbar, ob und wie das Landgericht das spezifische Interesse der Beschwer­de­führer, in turkmenischer Sprache Informationen über die turkmenische Minderheit in der Türkei zu erhalten, gewürdigt und gewichtet hat.

Amtsgericht muss erforderliche fallbezogene Abwägung nachholen

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, um die erforderliche fallbezogene Abwägung nachzuholen. In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die Beschwer­de­führer glaubhaft machen, dass ihr Lebensalltag tatsächlich vom Gebrauch der turkmenischen Sprache und turkmenischen Traditionen geprägt ist, obwohl sie nie in den turkme­nisch­spra­chigen Herkunfts­ge­bieten ihrer Vorfahren gewohnt haben, und ob das von ihnen geltend gemachte besondere Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse auch mittels der türkischen Programme gedeckt werden kann, die über die vorhandene zentrale Satel­li­ten­emp­fangs­anlage verfügbar sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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