18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.05.2022

Verfassungs­beschwerde gegen Gastronomie­beschränkungen durch die "Bundesnotbremse" erfolglosVorübergehende Beschränkung des Betriebs der Gaststätten auf Auslieferung und Außer-Haus-Verkauf verfassungs­rechtlich gerechtfertigt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die in § 28 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (§ 28 b IfSG a. F.) geregelte Untersagung der Öffnung von Gaststätten zur Eindämmung der Corona-Pandemie richtete.

In Anknüpfung an die Entscheidung des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - zur sogenannten "Bundesnotbremse" hat die Kammer entschieden, dass auch die vorübergehende Beschränkung des Betriebs der Gaststätten auf die Auslieferung und den Außer-Haus-Verkauf von Speisen und Getränken als Maßnahme zur Pande­mie­be­kämpfung verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt war. Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Entscheidungs- und Gestal­tungs­spielraum auch insoweit nicht überschritten.

Restau­rant­be­treiberin rügte Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit

Am 23. April 2021 trat das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft. Zentraler Gegenstand des Gesetzes war der in das Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz eingefügte § 28 b IfSG a. F., der bei Überschreiten eines Werts von 100 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohner an drei aufein­an­der­fol­genden Tagen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zu geset­ze­s­un­mit­telbaren Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens führte. Die Beschränkungen waren an die Feststellung einer "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" durch den Bundestag gebunden und liefen mit dem 30. Juni 2021 aus. § 28 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG a. F. untersagte die Öffnung von Gaststätten, Speiselokalen und ähnlichen Betrieben bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der "Bundesnotbremse"; erlaubt blieben nur die Auslieferung und der Außer-Haus-Verkauf von Speisen und Getränken (letzterer mit Ausnahme der Zeit von 22 bis 5 Uhr). Die Beschwer­de­führerin betreibt in Berlin, wo die Regelungen zwischen dem 24. April und dem 18. Mai 2021 Wirkung entfalteten, ein Restaurant. Sie rügt insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Gesundheits- und Lebensschutz rechtfertigen den Eingriff

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. § 28 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG a. F. griff zwar in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin aus Art. 12 Abs. 1 GG ein, war jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat bereits mit Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - im Hinblick auf die allgemeinen Kontakt­be­schrän­kungen des § 28 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG a. F. die Legitimität der Zwecke sowie die Eignung und Erfor­der­lichkeit der Maßnahme festgestellt. Diese Einschätzung gilt auch für die hier angegriffene Beschränkung der Berufsfreiheit durch die Untersagung der Öffnung von Gaststätten. Der Schutz von Gesundheit und Leben ist ein legitimer Zweck, dessen Verfolgung selbst schwere Eingriffe in die Berufsfreiheit zu rechtfertigen vermag. Die angegriffene Regelung war trotz ihres erheblichen Eingriffs­ge­wichts auch angemessen

Dynamik des Infek­ti­o­ns­ge­schehens erforderte Handeln

Dem Eingriff in die Berufsfreiheit kommt zwar erhebliches Gewicht zu. Eine berufliche Betätigung in der von der Beschwer­de­führerin gewählten Form war während der Geltung der Vorschrift nicht möglich. Verstärkt wurde die Eingriffs­wirkung dadurch, dass die Beschwer­de­führerin ihren Betrieb bereits seit November 2020 unter ähnlichen Bedingungen geschlossen halten musste. Gemindert wurde das Eingriffs­gewicht jedoch durch den tatbestandlich vorgesehenen regional diffe­ren­zie­renden Ansatz und die Befristung der Maßnahme. Eine gewisse Minderung des Eingriffs­ge­wichts wurde zudem dadurch bewirkt, dass der Außer-Haus-Verkauf außerhalb der Nachtstunden und die Auslieferung von Speisen und Getränken von der Schlie­ßungs­a­n­ordnung nicht erfasst waren. Schließlich wurde das Eingriffs­gewicht auch durch die für die betroffenen Betriebe vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert. Dem gewichtigen Eingriff in die Berufsfreiheit ist jedoch gegen­über­zu­stellen, dass angesichts der Dynamik des Infek­ti­o­ns­ge­schehens im April 2021 eine besondere Dringlichkeit bestand, zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funkti­o­ns­fä­higkeit des Gesund­heits­systems tätig zu werden. Dabei ist der grundsätzliche Ansatz, den Schutz dieser Gemein­wohl­belange primär durch Maßnahmen der Kontakt­be­schränkung an Kontaktorten zu erreichen - wozu auch die Schließung von Gaststätten zu zählen ist - verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Verfas­sungs­mäßiger Ausgleich gelungen

In der geforderten Abwägung zwischen dem Eingriff in Grundrechte und entge­gen­ste­henden Belangen hat der Gesetzgeber einen verfas­sungs­gemäßen Ausgleich gefunden. Hier ist der Wirtschaftszweig der Gastronomie insgesamt stark belastet worden. Doch sorgten die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemein­wohl­be­langen und den erheblichen Grund­rechts­be­ein­träch­ti­gungen. Durch die Befristung und die am jeweiligen örtlichen Pande­mie­ge­schehen ausgerichtete Differenzierung wurde die Belastung durch die angegriffene Regelung begrenzt und bewirkt, dass die Regelung faktisch in keinem Gebiet Deutschlands die Höchstdauer von zwei Monaten erreichte. Ein teilweiser Ausgleich der Belastungen wurde zudem durch die in der Regelung verankerte weiterhin bestehende Möglichkeit zum Außer-Haus-Verkauf und der Lieferung von Speisen und Getränken geschaffen. Darüber hinaus wurden die wirtschaft­lichen Auswirkungen der angegriffenen Regelung durch die von der Bundesregierung aufgelegten Hilfsprogramme gedämpft.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/cc)

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