23.11.2024
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Dokument-Nr. 14384

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Beschluss13.08.2012Bundesverfassungsgericht1 BvR 1098/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2012, 3714Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2012, Seite: 3714
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.08.2012

Verfas­sungs­be­schwerde gegen überlange Dauer eines sozial­ge­richt­lichen Verfahrens erfolglosMangels Wieder­ho­lungs­gefahr besteht kein Rechts­schutz­be­dürfnis für Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer durch Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat eine Verfas­sungs­be­schwerde gegen die überlange Dauer eines sozial­ge­richt­lichen Verfahrens nicht zur Entscheidung angenommen. In Anbetracht des Rechts der Beschwer­de­führerin auf effektiven Rechtsschutz begegnet zwar die Untätigkeit des Sozialgerichts über einen Zeitraum von 30 Monaten erheblichen Bedenken. Allerdings besteht mangels Wieder­ho­lungs­gefahr kein Rechts­schutz­be­dürfnis dafür, eine überlange Dauer des - mittlerweile abgeschlossenen - Verfahrens durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht feststellen zu lassen. Denn angesichts des Ende 2011 in Kraft getretenen Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichts­ver­fahren und straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren stehen nunmehr Rechtsbehelfe innerhalb der Sozial­ge­richts­barkeit zur Verfügung.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht begründete seine Entscheidung im zugrunde liegenden Fall damit, dass zwar die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken begegnet. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen. Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozess­be­tei­ligten sowie deren eigenes Prozess­ver­halten von Bedeutung sein.

Untätigkeit des Sozialgerichts über einen Zeitraum von 30 Monaten unangemessen

Vor diesem Hintergrund war die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen. Insbesondere die Untätigkeit des Sozialgerichts über einen Zeitraum von 30 Monaten ist mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar, sofern man den Umstand ausblendet, dass auch die Beschwer­de­führerin selbst das Verfahren in dieser Zeit nicht betrieben hat. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht.

Knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts kein ausreichender Grund für lange Verfahrensdauer

Soweit die zuständige Landes­jus­tiz­ver­waltung in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Es obliegt den Ländern, in ihrem Zustän­dig­keits­bereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Recht­spre­chungs­auftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt.

Für Beschwer­de­führerin besteht nach inzwischen abgeschlossenem Verfahren kein Rechts­schutz­be­dürfnis mehr

Gleichwohl ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Das fachge­richtliche Verfahren ist inzwischen abgeschlossen. Daher hat die Beschwer­de­führerin kein Rechts­schutz­be­dürfnis mehr für ihr Ziel, durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine überlange Verfahrensdauer feststellen zu lassen. Zwar hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechts­schutz­be­dürfnis wegen Wieder­ho­lungs­gefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt. Jedoch ist am 3. Dezember 2011 das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichts­ver­fahren und straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren in Kraft getreten. Dadurch stehen - auch im sozial­ge­richt­lichen Verfahren - fachge­richtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichts­ver­fahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. GVG). Diese schließen den Fortbestand einer Wieder­ho­lungs­gefahr aus.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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