Dokument-Nr. 28688
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.04.2020
Kein generelles Verbot von Gottesdiensten wegen CoronaGottesdienste müssen in Ausnahmefällen möglich sein
Das Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss das Verbot von Gottesdiensten in Kirchen, Moscheen und Synagogen sowie von Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften zur gemeinsamen Religionsausübung nach der Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen im Wege der einstweiligen Anordnung insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als danach ausgeschlossen ist, auf Antrag im Einzelfall Ausnahmen von dem Verbot zuzulassen.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller, ein eingetragener Verein mit rund 1300 Mitgliedern, beabsichtigt, insbesondere in den noch ausstehenden Wochen des Fastenmonats Ramadan das Freitagsgebet in der von ihm genutzten Moschee durchzuführen. Er hat beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eine Normenkontrollklage mit dem Ziel eingelegt, das in der niedersächsischen Corona-Verordnung enthaltene Verbot von Gottesdiensten insoweit für ungültig zu erklären, als die für Verkaufsstellen und Ladengeschäfte geltenden Schutzvorkehrungen eingehalten werden.
OVG: Verbot zur Vermeidung von Infektionen weiterhin erforderlich
Den mit der Normenkontrollklage verbundenen Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des Verbots lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Zwar stelle das ausnahmslose Verbot des gemeinsamen Freitagsgebets im Fastenmonat Ramadan einen überaus schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit dar. Dem Freitagsgebet komme insbesondere in dieser Zeit eine zentrale liturgische Bedeutung zu. Das Verbot sei jedoch zur Vermeidung von Infektionen weiterhin erforderlich. Das Gefährdungspotenzial von Gottesdiensten sei wesentlich höher als bei Einkäufen in Verkaufsstellen und Ladengeschäften. Im Unterschied zu Einkäufen seien Gottesdienste durch gezielte, auf längere Dauer ausgerichtete gemeinsame Aktivitäten geprägt, bei denen insbesondere wegen der Gleichzeitigkeit von Gebeten und Gesängen mit einem hohen Virenausstoß zu rechnen sei.
Beim Gottesdienst höheres Infektionsrisiko als in Geschäften
Das Bundesverfassungsgerichts hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in dem oben genannten Umfang stattgegeben. Einstweiliger Rechtsschutz ist zu gewähren, weil ein Abwarten bis zum Abschluss eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens die vom Antragsteller vor allem erstrebte Durchführung von Freitagsgebeten während des Fastenmonats Ramadan mit hoher Wahrscheinlichkeit vereiteln und ihm auf lange Zeit das gemeinsame Beten als eine wesentliche Form der Ausübung seiner Religion unmöglich machen würde, obwohl eine Verfassungsbeschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts voraussichtlich Erfolg hätte.
Gefährdungslage kann bei Gottesdiensten höher als in Geschäften sein
Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Gefährdungslage bei Einkäufen und Gottesdiensten unterschiedlich zu beurteilen sein kann. Aus dem Vorbringen des Antragstellers selbst ergibt sich, dass die Einschätzung des Risikos von Infektionen durch Kontakte zwischen Personen bei der Veranstaltung von Gottesdiensten in Moscheen in größerem Umfang von den konkreten Umständen des Einzelfalles etwa hinsichtlich der Größe und Struktur der jeweiligen Glaubensgemeinschaft abhängt als bei der Erledigung von Einkäufen in Verkaufsstellen. So weist er etwa darauf hin, dass es auf die jeweils vertretene Lehre ankomme, ob beim Freitagsgebet gesungen und das Gemeinschaftsgebet von allen Gläubigen laut gesprochen werde. Außerdem macht er für seinen Fall geltend, dass ihm die Mitglieder seiner Gemeinde bekannt seien, was es ihm ermögliche, diese individuell zu jeweils einem Freitagsgebet einzuladen, wodurch Warteschlangen vor der Moschee vermieden werden könnten.
Verbot ohne Ausnahme nicht vertretbar
Jedoch ist mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit, den das Verbot von Gottesdiensten in Moscheen nach dem Vorbringen des Antragstellers jedenfalls insoweit bedeutet, als auch Freitagsgebete während des Fastenmonats Ramadan erfasst sind, kaum vertretbar, dass die Verordnung keine Möglichkeit für eine ausnahmsweise Zulassung solcher Gottesdienste in Einzelfällen eröffnet, in denen bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände – eventuell unter Hinzuziehung der zuständigen Gesundheitsbehörde – eine relevante Erhöhung der Infektionsgefahr zuverlässig verneint werden kann. Das gilt jedenfalls angesichts der derzeitigen Gefahrensituation und der sich hieran anschließenden aktuellen Strategie zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahren. Es ist nicht erkennbar, dass eine einzelfallbezogene positive Einschätzung in keinem Fall erfolgen kann.
Besondere Schutzvorkehrungen möglich
Das Vorbringen des Antragstellers macht deutlich, welche Möglichkeiten insoweit in Betracht kommen. Er weist darauf hin, dass in den von ihm durchgeführten Freitagsgebeten nicht gesungen werde und beim Gemeinschaftsgebet nur der Imam laut vorbete. Als Schutzvorkehrungen werden angeboten eine Pflicht der Gläubigen zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz, die Markierung derjenigen Stellen in der Moschee, welche die Gläubigen zum Gebet einnehmen können und eine Vergrößerung des Sicherheitsabstands gegenüber den für Verkaufsstellen geltenden Vorgaben um das Vierfache, um eine gegenüber der Einkaufssituation erhöhte Infektionsgefahr durch das längere Beisammensein einer größeren Personengruppe zu vermeiden. Auch habe er nach Rücksprache mit den zuständigen theologischen Instanzen die Genehmigung erhalten, in der von ihm genutzten Moschee mehrere Freitagsgebete durchzuführen und damit die einzelnen Veranstaltungen klein zu halten.
Freitagsgebete im Einzelfall möglich
Bei einem Antrag auf ausnahmsweise Zulassung von Gottesdiensten, wie er nunmehr auch vom Antragsteller eingelegt werden kann, ist maßgeblich für die Risikoeinschätzung das Gewicht des mit dem Verbot verbundenen Eingriffs in die Glaubensfreiheit, das hier insbesondere hinsichtlich des Freitagsgebets im Fastenmonat Ramadan besonders groß ist, aber auf der anderen Seite unter anderem auch die Möglichkeit, die Einhaltung von Auflagen und Beschränkungen effektiv kontrollieren zu können, die örtlichen Gegebenheiten sowie Struktur und Größe der jeweiligen Glaubensgemeinschaft und nicht zuletzt die – gegebenenfalls auch auf die Region bezogene – aktuelle Einschätzung der von sozialen Kontakten ausgehenden Gefährdungen für Leib und Leben.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.05.2020
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)
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