24.11.2024
24.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss01.05.2001

BVerfG: Versamm­lungs­freiheit gilt auch für die NPDBVerfG hebt Demon­s­tra­ti­o­ns­verbot für die NPD am 1. Mai auf

Eine Behörde, die über eine Versammlung entscheidet, darf sich nicht auf Mutmaßungen und Erfahrungen in der Vergangenheit stützen und die Versammlung (hier: NPD 1. Mai Demonstration) mit der Begründung verbieten , es sei zu erwarten, dass die geäußerten Meinungen gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Einer solchen Argumentation stehen die Grundrechte auf Meinungs- und Versamm­lungs­freiheit entgegen. Auch wenn gegen die Partei ein Partei­en­ver­bots­ver­fahren beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht anhängig ist, stellt dies keinen Grund dar, der Partei das Versamm­lungsrecht zu untersagen. Solange eine Partei noch nicht verboten sei, kann sie auch das Versamm­lungsrecht in Anspruch nehmen.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung einer Demonstration des Landesverbandes der NPD in Essen ermöglicht. Das Oberver­wal­tungs­gericht Nordrhein-Westfalen hat seine letzt­in­sta­nzliche Bestätigung des Demonstrations-Verbots im Wesentlichen darauf gestützt, dass von der Demonstration eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe, weil von der NPD die Verbreitung natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts zu erwarten sei

Solange eine Partei nicht verboten ist, kann sie die Grundrechte in Anspruch nehmen

Die Einschätzung des Oberver­wal­tungs­ge­richts ist rechtlich nicht tragfähig. Das Gericht verkennt die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach das Bundes­ver­fas­sungs­gericht - und nur dieses - über die Verfas­sungs­wid­rigkeit einer Partei entscheidet. Solange das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine politische Partei nicht verboten hat, kann diese zwar politisch bekämpft werden, ist aber in ihrer politischen Aktivität von rechtlichen Behinderungen frei, soweit sie mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitet. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit einer Partei bis zur Feststellung ihrer Verfas­sungs­wid­rigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Folglich ist es ausgeschlossen, die Grund­rechts­ausübung der NPD allein mit Rücksicht darauf zu unterbinden, dass sie vom Bundestag, vom Bundesrat, von der Bundesregierung, von einer Verwal­tungs­behörde oder von einem Gericht als verfas­sungs­widrig eingeschätzt wird oder dass ein Verbots­ver­fahren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht anhängig ist.

Kein Versamm­lungs­verbot wegen bloßer Erwartung, dass die Versammlung gegen öffentliche Ordnung verstößt

Wie das Gericht mehrfach festgestellt hat, kann eine Versammlung nicht mit dem Argument verboten werden, es sei zu erwarten, dass die geäußerten Meinungen gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Einer solchen Argumentation stehen die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegen. Das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung verbieten Meinung­s­äu­ße­rungen nur unter engen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, gilt der Grundsatz der Freiheit der Rede. Die Kraft eines Rechtsstaats zeigt sich auch daran, dass er den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden rechts­s­taat­lichen Grundsätzen unterwirft. Für das Verbot von Parteien oder die Verwirkung des Grund­rechts­schutzes bestimmter Personen hat das Grundgesetz formelle und materielle Grenzen in den Art. 18 und 21 GG aufgestellt. Diese dürfen nicht deshalb außer Acht gelassen werden, weil ein Oberver­wal­tungs­gericht deren Schutzwirkung nicht als ausreichend bewertet. Das Grundgesetz dokumentiert nicht nur mit einzelnen Normen, wie Art. 139 GG, sondern auch im Aufbau allgemeiner rechts­s­taat­licher Sicherungen die Absage an den Natio­nal­so­zi­a­lismus. Deren Fehlen hat das menschen­ver­achtende Regime des Natio­nal­so­zi­a­lismus mit geprägt. In der Beachtung dieser rechts­s­taat­licher Sicherungen liegt eine wichtige Garantie gegen das Wiedererstehen eines Unrechtstaates. Zu diesen rechts­s­taat­lichen Garantien gehört die Versamm­lungs­freiheit einschließlich ihrer in Art. 8 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen, auch und gerade für Minderheiten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 50/01 des BVerfG vom 11.05.2001

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss5018

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI