Dokument-Nr. 5018
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Bundesverfassungsgericht Beschluss01.05.2001
BVerfG: Versammlungsfreiheit gilt auch für die NPDBVerfG hebt Demonstrationsverbot für die NPD am 1. Mai auf
Eine Behörde, die über eine Versammlung entscheidet, darf sich nicht auf Mutmaßungen und Erfahrungen in der Vergangenheit stützen und die Versammlung (hier: NPD 1. Mai Demonstration) mit der Begründung verbieten , es sei zu erwarten, dass die geäußerten Meinungen gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Einer solchen Argumentation stehen die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegen. Auch wenn gegen die Partei ein Parteienverbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, stellt dies keinen Grund dar, der Partei das Versammlungsrecht zu untersagen. Solange eine Partei noch nicht verboten sei, kann sie auch das Versammlungsrecht in Anspruch nehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung einer Demonstration des Landesverbandes der NPD in Essen ermöglicht. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat seine letztinstanzliche Bestätigung des Demonstrations-Verbots im Wesentlichen darauf gestützt, dass von der Demonstration eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe, weil von der NPD die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts zu erwarten sei
Solange eine Partei nicht verboten ist, kann sie die Grundrechte in Anspruch nehmen
Die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts ist rechtlich nicht tragfähig. Das Gericht verkennt die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach das Bundesverfassungsgericht - und nur dieses - über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet. Solange das Bundesverfassungsgericht eine politische Partei nicht verboten hat, kann diese zwar politisch bekämpft werden, ist aber in ihrer politischen Aktivität von rechtlichen Behinderungen frei, soweit sie mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitet. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit einer Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Folglich ist es ausgeschlossen, die Grundrechtsausübung der NPD allein mit Rücksicht darauf zu unterbinden, dass sie vom Bundestag, vom Bundesrat, von der Bundesregierung, von einer Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht als verfassungswidrig eingeschätzt wird oder dass ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist.
Kein Versammlungsverbot wegen bloßer Erwartung, dass die Versammlung gegen öffentliche Ordnung verstößt
Wie das Gericht mehrfach festgestellt hat, kann eine Versammlung nicht mit dem Argument verboten werden, es sei zu erwarten, dass die geäußerten Meinungen gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Einer solchen Argumentation stehen die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegen. Das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung verbieten Meinungsäußerungen nur unter engen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, gilt der Grundsatz der Freiheit der Rede. Die Kraft eines Rechtsstaats zeigt sich auch daran, dass er den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen unterwirft. Für das Verbot von Parteien oder die Verwirkung des Grundrechtsschutzes bestimmter Personen hat das Grundgesetz formelle und materielle Grenzen in den Art. 18 und 21 GG aufgestellt. Diese dürfen nicht deshalb außer Acht gelassen werden, weil ein Oberverwaltungsgericht deren Schutzwirkung nicht als ausreichend bewertet. Das Grundgesetz dokumentiert nicht nur mit einzelnen Normen, wie Art. 139 GG, sondern auch im Aufbau allgemeiner rechtsstaatlicher Sicherungen die Absage an den Nationalsozialismus. Deren Fehlen hat das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus mit geprägt. In der Beachtung dieser rechtsstaatlicher Sicherungen liegt eine wichtige Garantie gegen das Wiedererstehen eines Unrechtstaates. Zu diesen rechtsstaatlichen Garantien gehört die Versammlungsfreiheit einschließlich ihrer in Art. 8 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen, auch und gerade für Minderheiten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.02.2005
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 50/01 des BVerfG vom 11.05.2001
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