21.11.2024
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Dokument-Nr. 9735

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Beschluss14.04.2010Bundesverfassungsgericht1 BvL 8/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JuS 2010, 837 (Michael Sachs)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2010, Seite: 837, Entscheidungsbesprechung von Michael Sachs
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.04.2010

Ungleich­be­handlung von Arbeit­neh­mer­gruppen bei Privatisierung der Kliniken der Stadt Hamburg verfas­sungs­widrigReini­gungs­kräfte unzulässig benachteiligt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat Entschieden, dass die Privatisierung der Kliniken der Stadt Hamburg zu einer Ungleich­be­handlung von Arbeit­neh­mer­gruppen geführt hat und diese Benachteiligung verfas­sungs­widrig ist.

Im Jahr 1995 wurde der Betrieb Landes­kran­ken­häuser Hamburg (LBK Hamburg), eine rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts, gegründet, deren Träger die Freie und Hansestadt Hamburg war. Die Arbeits­ver­hältnisse der bisher in den städtischen Krankenhäusern tätigen Arbeitnehmer gingen auf den LBK Hamburg über. Für den Fall der Privatisierung wurde allen in den Kliniken der Stadt tätigen Arbeitnehmern ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst gewährt.

Sachverhalt

Ab dem 1. Januar 2000 beauftragte der LBK Hamburg ein hundert­pro­zentiges Tochter­un­ter­nehmen, die C. GmbH, mit der Durchführung der Reini­gungs­a­r­beiten in den Krankenhäusern. Die Arbeits­ver­hältnisse der im Reini­gungs­bereich tätigen Arbeitnehmer gingen im Wege eines Betrie­bs­tei­l­übergangs gemäß § 613 a BGB auf die C. GmbH über.

Anfang 2005 wurde die Betriebsanstalt LBK Hamburg errichtet und in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die LBK Hamburg GmbH, umgewandelt. Diese wurde kraft Gesetzes Arbeitgeberin eines Großteils der bereits 1995 von der Stadt auf den LBK Hamburg übergeleiteten Arbeitnehmer, aber nicht der weiterhin bei der C. GmbH beschäftigten Reini­gungs­kräfte. Mehrheits­ge­sell­schafter der LBK Hamburg GmbH blieb vorerst die Stadt.

In § 17 Satz 1 des Gesetzes über den Hamburgischen Versor­gungsfonds - Anstalt öffentlichen Rechts - (HVFG) vom 21. November 2006 wurde das den Arbeitnehmern für den Fall der Veräußerung der Anteilsmehrheit eingeräumte Rückkehrrecht nunmehr auf die Mitarbeiter der LBK Hamburg GmbH beschränkt. Am 1. Januar 2007 ging die Mehrheit der Anteile an der LBK Hamburg GmbH von der Stadt auf einen privaten Träger über.

Klägerin verlangt Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst

Die Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens ist seit 1987 als Reinigungskraft im Allgemeinen Krankenhaus Altona tätig. Ihr Arbeits­ver­hältnis ging 1995 von der Stadt auf den LBK Hamburg über, und seit 2000 ist sie Arbeitnehmerin der C. GmbH. Sie klagte gegen die Stadt auf Feststellung, dass ihr ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst zustehe. Das Landes­a­r­beits­gericht legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Wege der konkreten Normenkontrolle die Frage vor, ob § 17 HVFG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht verpflichtet Landes­ge­setzgeber zur Neuregelung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass § 17 Satz 1 HVFG sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Der Landes­ge­setzgeber hat bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung zu treffen.

Rückkehrrecht unzulässig auf Mitarbeiter der LBK Hamburg GmbH beschränkt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: § 17 Satz 1 HVFG führt zu einer Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer, deren Arbeits­ver­hältnisse 1995 von der Stadt auf den LBK Hamburg übergeleitet wurden. Ursprünglich wurde den Reini­gungs­kräften wie den anderen an den Kliniken der Stadt bei der Gründung des LBK Hamburg beschäftigten Arbeitnehmern für den Fall der Privatisierung ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst gewährt. Durch § 17 Satz 1 HVFG wird ihnen ein solches Rückkehrrecht aber verwehrt, weil es auf die Mitarbeiter der LBK Hamburg GmbH beschränkt ist.

Beschäftigung in privatrechtlich organisierten Unternehmen kein Grund für die Benachteiligung der Reini­gungs­kräfte

Diese Ungleich­be­handlung ist nicht gerechtfertigt und daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Ein tragfähiger Grund für die Benachteiligung der Reini­gungs­kräfte liegt nicht darin, dass sie schon vor der das Rückkehrrecht nach § 17 Satz 1 HVFG auslösenden Privatisierung in einem privatrechtlich organisierten Unternehmen beschäftigt waren. Für die Arbeitnehmer, die die gesetzlichen Voraussetzungen des Rückkehrrechts zur Stadt erfüllen, gilt nämlich nichts anderes. Ihr Arbeitgeber war seit Anfang 2005 ebenfalls eine GmbH.

Reini­gungs­kräften blieb keine Ausweichoption ohne nennenswertes rechtliches oder wirtschaft­liches Risiko

Die Argumentation der Stadt, die Reini­gungs­kräfte hätten ihre Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst bei ihrer Ausgliederung am 1. Januar 2000 durch Erklärung eines Widerspruchs gemäß § 613 a Abs. 6 BGB gegen den Arbeit­ge­ber­wechsel aufrecht erhalten können, zeigt keinen recht­s­er­heb­lichen Unterschied zu den übrigen Arbeitnehmern auf. Den Reini­gungs­kräften kann nicht unterstellt werden, sich im Jahr 2000 bewusst gegen einen Verbleib im öffentlichen Dienst entschieden zu haben. Vielmehr haben sie den Betrie­bs­tei­l­übergang vom LBK Hamburg auf die damals noch von der Stadt beherrschte C. GmbH lediglich widerspruchslos hingenommen. Damit haben sie den Umstruk­tu­rie­rungs­maß­nahmen der Stadt im Kranken­h­aus­bereich Folge geleistet und insofern sogar ihre Solidarität mit der städtischen Personalplanung unter Beweis gestellt. Zudem war die Rechtslage für beide Arbeit­neh­mer­gruppen in dem Zeitpunkt, in dem der LBK Hamburg aus der Arbeit­ge­ber­stellung zu ihnen ausschied, identisch. Auch die anderen Arbeitnehmer hätten anlässlich der Umwandlung des LBK Hamburg in eine GmbH den Fortbestand ihres Arbeits­ver­hält­nisses mit der Stadt durch Erklärung eines Widerspruchs herbeiführen können, weil der Landes­ge­setzgeber die entsprechende Anwendbarkeit des § 613 a Abs. 6 BGB vorgesehen hatte. Ein rechtlich beachtlicher Unterschied kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Reini­gungs­kräfte im Januar 2000 einen erheblichen Anlass zum Widerspruch gegen den Arbeit­ge­ber­wechsel gehabt hätten, die anderen Arbeitnehmer zum Jahreswechsel 2004/2005 hingegen nicht. Denn eine tatsächliche, auf Dauer angelegte Beschäf­ti­gungs­mög­lichkeit bestand nach dem Betrie­bs­tei­l­übergang für die Reini­gungs­kräfte nur noch bei der C. GmbH. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Reini­gungs­kräfte eine Ausweichoption gehabt hätten, mit der sie sich keinem nennenswerten rechtlichen oder wirtschaft­lichen Risiko ausgesetzt hätten.

Grund für Weiter­be­schäf­tigung von nur bestimmten Arbeit­neh­mer­gruppen im öffentlichen Dienst nicht erkennbar

Die Benachteiligung der Reini­gungs­kräfte kann auch nicht überzeugend darauf gestützt werden, dass die Gebäu­de­r­ei­nigung keine unmittelbar dem Gesund­heitswesen zuzuordnende Dienstleistung ist. Die Stadt hat sämtliche Bereiche der Krankenhäuser privatisiert und keine Notwendigkeit gesehen, einzelne Bereiche in öffentlicher Hand zu belassen. Daher kann es nicht überzeugen, dass nur bestimmte Arbeit­neh­mer­gruppen eine Weiter­be­schäf­tigung im öffentlichen Dienst verlangen dürfen.

Regelung führt zudem zu geschlechts­s­pe­zi­fischen Diskriminierung

Darüber hinaus ist die Regelung in § 17 Satz 1 HVFG mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar, da sie zu einer geschlechts­s­pe­zi­fischen Diskriminierung führt. Durch die Beschränkung des Rückkehrrechts hat der Landes­ge­setzgeber ganz überwiegend und ohne tragfähige Recht­fer­ti­gungs­gründe Arbeit­neh­me­rinnen benachteiligt. Die geschlechts­s­pe­zi­fische Wirkung der Sonderregelung für Reini­gungs­kräfte folgt daraus, dass sie mit einem Anteil von 93,5 % hauptsächlich Frauen trifft. Dieser Anteil liegt wesentlich über dem im Klinikbereich ohnehin hohen Frauenanteil.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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