18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.07.2010

Abführung von Vermö­gens­rechten nicht auffindbarer Miterben an den Entschä­di­gungsfonds verfas­sungsgemäßMiterbin vom Erbanteil an einem Grundstück ausgeschlossen

Der § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen (EntschG), soweit die Rechte von Miterben betroffen sind, musste vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht überprüft werden und wurde für verfas­sungsgemäß erklärt.

In der DDR standen zahlreiche Vermögenswerte - vor allem Grundstücke -, die nicht enteignet worden waren, unter staatlicher Zwangs­ver­waltung, die den Betroffenen bei formalem Fortbestand seines Eigentumsrechts in seinen Nutzungs- und Verfü­gungs­be­fug­nissen über den ihm gehörenden Vermögenswert beschränkte und damit in ihren wirtschaft­lichen Wirkungen weitgehend einer Enteignung gleichzusetzen war. Mit dem durch die Novelle des Vermö­gens­ge­setzes vom 14. Juli 1992 neu eingefügten § 11 a VermG wurde die Aufhebung der staatlichen Verwaltung aller betroffenen Vermögenswerte unmittelbar kraft Gesetzes zum 31. Dezember 1992 angeordnet. Danach waren allerdings viele der ehemals staatlich verwalteten Grundstücke "faktisch herrenlos", weil der jeweilige Eigentümer oder dessen Aufenthalt immer noch nicht bekannt war. Nach dem am 1. Dezember 1994 in Kraft getretenen Entschä­di­gungs­gesetz sind solche faktisch herrenlosen Vermögenswerte, deren Eigentümer nicht ermittelbar ist und sich auch nach Durchführung eines Aufge­bots­ver­fahrens nicht meldet, an den Entschä­di­gungsfonds abzuführen, der durch das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen verwaltet wird. Aus dem Entschä­di­gungsfonds werden u.a. Entschädigungen nach dem Entschä­di­gungs­gesetz und dem NS-Verfolg­ten­ent­schä­di­gungs­gesetz sowie Ausgleichs­leis­tungen für nicht mehr rückgängig zu machende Enteignungen erbracht. Durch das Änderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 wurde in § 10 Abs. 1 Satz 7 Nr. 7 Satz 2 EntschG schließlich bestimmt, dass auch solche Vermögensrechte der Abführung an den Entschä­di­gungsfonds unterliegen, die nicht bekannten oder nicht auffindbaren Miteigentümern oder Miterben zustehen. In Folge dessen wird der Entschä­di­gungsfonds Mitglied der Eigentümer- bzw. Erbengemeinschaft in Bezug auf den ehemals staatlich verwalteten Vermögenswert. Ansprüche auf eine Rückerstattung des an den Entschä­di­gungsfonds übergeführten Miteigentums- oder Miterbenanteils für den Fall, dass sich der ausgeschlossene Rechtsinhaber oder seine Rechts­nach­folger später noch melden sollten, kennt das geltende Recht nicht.

Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen schloss Klägerin vom Miterbenanteil aus

Die Klägerin, vertreten durch einen Abwesen­heits­pfleger, ist zu einem Drittel Miterbin nach ihrem Vater, der Eigentümer eines Grundstücks in Brandenburg war. Ihre beiden Schwestern haben ihre Erbansprüche rechtzeitig geltend gemacht. Die Klägerin war bereits 1965 nach Großbritannien verzogen und konnte trotz intensiver Recherche nicht ermittelt werden. Daraufhin schloss das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Klägerin von ihrem Miterbenanteil an dem Grundstück aus und stellte fest, dass dieser auf die Bundesrepublik Deutschland - Entschä­di­gungsfonds - übergehe. Die vom Abwesen­heits­pfleger dagegen erhobene Klage führte zur Vorlage des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG durch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht, das die Vorschrift für unvereinbar mit Art. 14 Abs. 1 GG hält, soweit sie die Rechte von unauffindbaren Miterben betrifft.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass § 10 Abs. 1 Satz 1Abs. 7 Satz 2 EntschG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit danach ein nicht auffindbarer Miterbe von seinen Rechten hinsichtlich ehemals staatlich verwalteter Vermögenswerte auch dann ausgeschlossen werden kann, wenn zumindest ein weiterer Miterbe bekannt und aufgefunden ist.

Unauf­find­barkeit von Miterben kann zu eingeschränkten Handlungs­fä­hig­keiten führen

Folgende Erwägungen liegen der Entscheidung zugrunde:

Eine auf der Grundlage früheren DDR-Rechts erworbene Miter­ben­stellung genießt den Schutz des Grundrechts auf Eigentum (Art. 14 GG). Der Eingriff in diese Rechtsposition durch die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz EntschG geregelte Entziehung der Rechtsstellung des unauffindbaren Miterben genügt jedoch den Anforderungen, die bei einer Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung des Eigentums an einen gerechten Inter­es­se­n­aus­gleich zu stellen sind. Die Vorschrift dient dem legitimen Gemeinwohlziel, durch die Beseitigung einer faktischen Herrenlosigkeit der ehemals im Beitrittsgebiet staatlich verwalteten Vermögenswerte endgültige Eigen­tums­ver­hältnisse zu schaffen und auf diese Weise die Verkehrs­fä­higkeit von Grundstücken zu verbessern. Sie trägt damit zu einer geordneten Rechts- und Wirtschaft­s­ent­wicklung in den neuen Ländern bei. Der Gesetzgeber durfte im Rahmen des ihm bei der Förderung der wirtschaft­lichen Entwicklung in den neuen Ländern zustehenden Beurtei­lungs­spielraums davon ausgehen, dass gerade die Unauf­find­barkeit eines Miterben die Handlungs­fä­higkeit der Erben­ge­mein­schaft einschränkt. Diese kann ohne diesen unauffindbaren Miterben nur Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung oder der Notge­schäfts­führung ergreifen. Auch durch die Bestellung eines Vertreters oder Pflegers für lediglich bestimmte Maßnahmen können solche Hemmnisse nicht mit gleicher Schnelligkeit beseitigt werden wie durch eine Überführung des Erbanteils an den Entschä­di­gungsfonds, der regelmäßig die Veräußerung des Vermögenswertes betreiben wird.

An Entschä­di­gungsfonds abgeführter Wert dient nicht allgemein fiskalischen Zwecken

§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG führt für den ausge­schlossenen unauffindbaren Miterben auch nicht zu einer unver­hält­nis­mäßigen und unzumutbaren Belastung. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nur solche Vermögenswerte betroffen sind, die seit geraumer Zeit vom Berechtigten, der trotz Ausschöpfung aller zumutbaren Ermitt­lungs­mög­lich­keiten unauffindbar geblieben ist, nicht in Anspruch genommen worden sind, obwohl hierzu die Möglichkeit bestanden hat. Der unauffindbare Miterbe hatte hier 13 Jahre lang Gelegenheit, sich um sein Erbe zu bemühen. Hinzu kommt, dass die Einleitung eines Aufge­bots­ver­fahrens erst zulässig ist, nachdem das Bundesamt seiner Pflicht zur Ermittlung des Berechtigten mit den zu Gebote stehenden Mitteln genügt hat. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die besondere Situation nach der Wieder­her­stellung der Einheit Deutschlands überwiegt das öffentliche Interesse an der Belebung des Grund­s­tücks­verkehrs und der Wirtschaft­s­ent­wicklung. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Entzug der Rechtsstellung des unauffindbaren Miterben kompen­sa­ti­onslos erfolgt. Denn der an den Entschä­di­gungsfonds abgeführte Wert dient nicht allgemein fiskalischen Zwecken, sondern kommt anderen Personen zugute, die mit dem ursprünglichen Rechtsinhaber als Opfer wieder­gutz­u­ma­chender Vermö­gens­schä­di­gungen im selben Lager stehen.

Ungleich­be­handlung durch Beschränkung des Eigentumsrechts verfas­sungs­rechtlich zulässig

Die Beschränkung des Eigentumsrechts ist auch gleich­heits­gerecht (Art. 3 Abs. 1 GG) ausgestaltet. Zwar können bei der Durchführung der Wieder­gut­machung nach dem Vermögensgesetz durch Rückübertragung (Restitution) entzogener Vermögenswerte ebenfalls Erben­ge­mein­schaften mit unauffindbaren Miterben entstehen, deren Erbanteile jedoch keinem Aufge­bots­ver­fahren unterliegen. Diese Ungleich­be­handlung ist aber angesichts des weiten Gestal­tungs­spielraums des Gesetzgebers verfas­sungs­rechtlich zulässig. Sie ist sachlich gerechtfertigt und damit nicht willkürlich. Der Gesetzgeber durfte dem Umstand Rechnung tragen, dass der faktischen Herrenlosigkeit nach Aufhebung der staatlichen Verwaltung durch Gesetz zum 31. Dezember 1992 eine gänzlich andere Bedeutung zukam als sonst bei Wieder­gut­ma­chungen nach dem Vermögensgesetz.

Grund­rechts­po­sition des Erblassers ist nicht berührt

Weder die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebende grundrechtliche Stellung der anderen, präsenten Miterben noch die des Erblassers ist verletzt. Soweit den weiteren Miterben der Entschä­di­gungsfonds als Mitglied der ungeteilten Erben­ge­mein­schaft aufgezwungen wird, ist das für sich gesehen kein Eingriff in eine vermögenswerte Rechtsposition, zumal die Erben­ge­mein­schaft ohnehin nicht auf Dauer angelegt ist. Die Grund­rechts­po­sition des Erblassers ist nicht berührt, da der hier in Rede stehende Eingriff nicht seine Testierfreiheit oder sein Recht, sein Vermögen nach den gesetzlichen Regeln der Verwand­te­nerbfolge zu vererben, betrifft sondern allein die Rechtsstellung desjenigen, der auf dieser Grundlage Miterbe geworden ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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